Verwerfungen der Seele

Ein Foto von Franz Kafka aus 1923. ©FRANZ KAFKA PICTURES OF A LIFE BY KLAUS WAGENBACH

Von Gregor Auenhammer

Am Anfang war das Wort; am Ende der Tod. Kafkaesk verläuft bisweilen die Suche nach der Seele. Am 3. Juni jährte sich zum 100. Mal der Todestag Franz Kafkas (1883-1924), eines der großen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, dessen Œuvre von der Conditio humana geprägt ist wie wenige davor. Sein Werk, das von surrealen Elementen, psychologischer Tiefe und existenzieller Thematik bestimmt ist, hat nicht nur die Welt der Literatur nachhaltig beeinflusst, sondern auch das Verständnis der menschlichen Seele bereichert. Kafka inspiriert heute immer noch zahlreiche Schriftsteller, Künstlerinnen, Philosophen weltweit. Unterschiedliche Aspekte seines Lebens sind naturgemäß in seinen Texten selbst nachzulesen, aber interessant ist auch manch Auseinandersetzung anderer Künstler damit.
Regisseur David Schalko setzte in einem TV-Vierteiler dem Jubilar ein cinematographisches Denkmal. In psychedelischen Bildern versuchte er eine Art Fährtenlese der Seele. Ein weiteres, ungleich leiseres filmisches Dokument ist aber hervorzuheben. Als wertvolles Kleinod darf man den Spielfilm “Die Herrlichkeit des Lebens” von Georg Maas und Judith Kaufmann bezeichnen – mit Sabin Tambrea, Manuel Rubey (als Max Brod) und Henriette Confurius als Dora Diamant, eine jüdische Lehrerin aus Berlin und Kafkas letzte Liebe. Der von Melancholie und Empathie beseelte Film, der das letzte Lebensjahr des Ausnahmeliteraten nachzeichnet, seziert luzide die Zerrissenheit und gleichzeitige Klarheit Franz Kafkas. Sensibel thematisiert der Film auch Kafkas intensive und differenzierte Auseinandersetzung mit seinen eigenen jüdischen Wurzeln, die Rolle des assimilierten Vaters, das Umfeld des christlich-jüdischen Abendlands inmitten der Hegemonie des zerbrochenen Vielvölkerstaates der k.u.k. Monarchie sowie den in den Untergang mäandernden europäische Kontinent nach dem Ersten Weltkrieg.
Am Anfang war das Wort; am Anfang von “Brief an den Vater” steht die omnipräsente Frage, warum der Sohn Furcht vor ihm hat. Kafkaesk verläuft bisweilen die Suche nach der Seele. Unterschiedliche Aspekte über Franz Kafkas Leben sind naturgemäß aus seinen Texten selbst herauszulesen. Werk und Rezeption beleuchtet auch Helmut Schlaiß. “Kafkas Kosmos” ist aber weit mehr als eine „fotografische Spurensuche“, die der deutsche Fotograf, Jahrgang 1953, offiziell vorgibt zu unternehmen. Die aus der Zeit gefallene, karg schwarz-weiß gehaltene Dokumentation entlang der Orte und Stationen in Prag, Zürau und Umgebung ist vielmehr eine künstlerische Auseinandersetzung mit Sprache, Leben und Tod, dem jüdisch-christlichen Abendland, Physischem und Metaphysischem. Spiegelungen, Reflexionen, kontrastreich und spannungsgeladen, entsprechen der Sprengkraft von Kafkas Wortkaskaden. „Mit stärkstem Licht kann man die Welt auflösen“, hat Kafka einst in sein Tagebuch notiert. „Es ist nicht notwendig, daß du aus dem Hause gehst. Bleib bei deinem Tisch und horche. Horche nicht einmal, warte nur. Warte nicht einmal, sei völlig still und allein. Anbieten wird sich dir die Welt zur Entlarvung.“ Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen.
Am Anfang war das Wort; am Ende der Tod. Und darüber hinaus? Der Sprengkraft von Franz Kafkas klar formulierten, wohl komponierten Wortkaskaden versuchen Hans Fronius und Michaela Weiss bildnerisch gerecht zu werden. Spannungsgeladen beleuchtet Hans Fronius den Kosmos der Seele, der Sprache, von Leben und Tod. Seine über Jahrzehnte hinweg entstandenen Grafiken dekuvrieren Geheimnisse, illustrieren Seelenzustände, Ängste, Physisches und Metaphysisches. Kafkas literarischer Metapher der menschlichen Gesellschaft als Mäuse näherte sich Michaela Weiss. „Vielleicht werden wir also gar nicht sehr viel entbehren, Josefine aber, erlöst von der irdischen Plage, die aber ihrer Meinung nach Auserwählten bereitet ist, wird (…) in gesteigerter Erlösung vergessen sein wie alle ihre Brüder.“ heißt es am Ende der Parabel “Josefine, die Sängerin”. Bestechend in Brillanz, Präzision und Ausdruckskraft das grafische Werk sowohl bei Weiss als auch bei Fronius. Herausragend aus dem schier endlosen Reigen der zum Jubiläum publizierten Bücher.
„Das Glück ist am größten, wenn es ganz klein ist“, notierte Franz Kafka kurz vor seinem Tod in sein Tagebuch.


Franz Kafka, „Brief an den Vater“. € 13,– / 72 Seiten. Publikation PN°1 / Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2024
Helmut Schlaiß, „Kafkas Kosmos“. € 51,40 / 176 S. Edition Manesse in der Penguin-Random-House-Gruppe, München 2024
Hans Fronius, „Hans Fronius zu Franz Kafka. Bildwerke von 1926 bis 1988“. Hrsg.: Peter Assmann. € 44,– / 328 Seiten. Publikation PN°1 / Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2024.
Franz Kafka, „Josefine, die Sängerin“. Radierungen von Michaela Weiss. € 18,– / 68 Seiten. Verlag Bibliothek der Provinz, 2024

Die mobile Version verlassen