Bücher über den unsterblichen Literatenzirkel „Jung-Wien“ und den unverwüstlichen Arik Brauer. Zum Nachlesen oder Entdecken.
Von Gregor Auenhammer
„Ich war unter den ersten, die für Maeterlinck, Klimt und Moissi warben“, notierte Hermann Bahr 1919 in sein Tagebuch. „Ich war’s, der zuerst den jungen Hofmannsthal erkannt hat. Ich bilde mir darauf gar nichts ein, es ist eine Gabe der Witterung für Eigenart und Persönlichkeit, wie mancher ein gutes Gehör oder ein scharfes Gesicht hat.“ Doch Bahr war nicht nur als Literatur- und Kulturtheoretiker des Wiener Fin de Siècle wesentlich an der Definition neuer Stilrichtungen beteiligt. Er verfasste über vierzig Theaterstücke, zehn Romane, vierzig Bände kritischer Schriften sowie eine Autobiografie – und er galt als wichtige Stimme der Künstlervereinigung „Jung-Wien“. Auf diesen Zusammenschluss richtet David Österle in Freunde sind wir ja eigentlich nicht sein Interesse.
Österles Gruppenbiografie nähert sich dem bedeutenden Literatenkreis in kaleidoskopischer Weise: Er betrachtet das Werk dieser Autoren am Übergang von Tradition und Moderne, zwischen Historismus und Erneuerung, Ästhetik und Engagement. Österle untersucht das soziokulturelle Bewusstsein zwischen Bürgertum und Aristokratie, erkundet Themen wie Liebe, Geschlechterrollen, Reisen, Schaffens- und Freizeiträume, Erfolge und Niederlagen – und nicht zuletzt auch die komplizierten „freundschaftlichen“ Beziehungen untereinander. In den Blick gerückt werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Verbindendes und Trennendes sowie Fragen der individuellen und kollektiven Identität der Autoren.
Neben dem als Netzwerker und „Gründer“ des „Jungen Wien“ im Hintergrund werkenden Bahr zählten der Dandy Richard Beer-Hofmann (der später für Max Reinhardt als Regisseur tätig sein sollte), Arthur Schnitzler, das literarische „Wunderkind” Hugo von Hofmannsthal, Felix Salten, Leopold von Andrian (Der Garten der Erkenntnis), der auch als Journalist tätige Paul Goldmann, Karl Kraus, Peter Altenberg sowie Stefan Zweig zum mythenumwobenen Kreis der Literaten mit dem Café Griensteidl als Kommunikationszentrum.
Goscherte Chuzpe
„Am Zoll fragt mich der Grenzer: ‚Was is drin in dieser Tasche?‘ / ‚Geweihtes Wasser vom Wunderrabbi – nur a ganz a kleine Flasche.‘ / Der Grenzer zieht den Stöpsel und schluckt a Schlückerl runter, / Das Wasser schmeckt nach Schligowitz – scho wieder so a Wunder!“ So lautet eines der – Kennern seiner Protestlieder bekannt vorkommenden – Gstanzln, die Arik Brauer in A Jud und keck a no präsentiert. Es ist eine fein komponierte Sammlung jüdischer Witze, Chochmes (Weisheiten) und Lozelach (Humoresken) aus eigener und fremder Hand, satirisch und kongenial illustriert. Keck ist ein Begriff, der auch auf den 91-Jährigen bestens zutrifft: unangepasst, unbeirrbar, kontroversiell. Mit Ironie ist Brauer auch gesegnet, mit Herz und Hirn, mit Zweifel und Selbstbewusstsein. Und mit Demut vor dem Leben, das ihm geschenkt wurde.
Dieses und sein Schaffen Revue passieren lässt er übrigens – sekundiert von Danielle Spera und Daniela Pscheiden – in dem Kompendium Alle meine Künste, das sämtliche Facetten des reichen Œuvres des Universalkünstlers auslotet: Arik Brauer als Maler, Autor, Chansonnier, Architekt und Bühnenmensch.
Als wunderbares Beispiel für die Gelassenheit, goscherte Chuzpe und Selbstironie eines großen Weisen, der sich weder Meinung noch Mund verbieten lässt, sei folgendes Couplet angeführt: „Rabbi, sag ich: ‚Dein Profil ist doch von Gott verlassen! Besser steck zum Fenster raus den Hintern statt der Nasen.‘ / ‚Das woll’n wir gleich versuchen‘, sagt der Rabbi ziemlich sauer, / Er tut es, und was sagen die Leut‘? ‚An guten Tag, Herr Brauer!‘ “
David Österle
Freunde sind wir ja eigentlich nicht
Kremayr & Scheriau, Wien 2019,
224 S., EUR 24,–
Arik Brauer
A Jud und keck a no
Amalthea, Wien 2019,
112 S., EUR 22,–
Arik Brauer
Alle meine Künste. All of my Arts
Hg. v. Danielle Spera, Daniela Pscheiden
Amalthea, Wien 2019,
208 S., EUR 29,95–