Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg
In der Tora wird schriftlich dargestellt, dass das Medium, mit dem der Ewige seine Messages an die Juden sandte, die Sprache war. Zumeist wurden die Inhalte vom Ewigen an einzelne prophetische Gestalten übermittelt. Zunächst schon an Adam und Eva, die natürlich noch keine Juden waren, dann an die Urväter und als Höhepunkt an unseren Lehrer Moshe am Berge Sinai. Dort sprach der Ewige nicht nur zu Moshe, sondern zum ganzen Volk Israel. Interessant und wichtig ist vielleicht, an dieser Stelle zu erwähnen, dass noch vor den eigentlichen Aussagen das Volk um den Berg Sinai versammelt werden musste. Dies geschah unter Blitz und Donner. Es heißt, dass das ganze Volk den zehn Geboten und anderen Inhalten lauschen musste, aber nicht auf den Berg steigen durfte, sondern um den Berg Sinai lagern sollte.
Die Tora wird aber auch schriftliche Lehre genannt, weil diese Erzählung handschriftlich niedergelegt wurde und so die Basis der jüdischen Lehre ergab. Da wir Juden gern unsere Sprache in Diskussionen erproben, wurde sofort klargestellt, dass am Berge Sinai nicht nur jene Worte überliefert wurden, die in der Tora niedergeschrieben sind, sondern zugleich eine dazugehörende „mündliche“ Lehre. Hier gibt es eine theologische Aussage, wonach nicht nur der Text der Tora, sondern auch der später von den Gelehrten formulierte Talmud schon vom Berge Sinai stammt. So heißt bis heute die Tora die schriftliche Lehre und der Talmud die mündliche Lehre.
Die Texte wurden im Altertum natürlich handschriftlich verfasst. Wir Juden sind bekanntlich oft die ersten, die eine neue Technik in Beschlag nehmen. So war es auch mit dem Buchdruck, der gerade von Juden begeistert aufgenommen wurde, und mit dessen Hilfe die jüdische Lehre eine größere Verbreitung fand. Doch Bücher waren damals teuer, heute bekommt jedes Kind seine eigene Bibel. Die jemenitischen Juden waren so arm, dass sie nicht an jeden Schüler eine Bibel verteilen konnten. Also gab es eine Tora in der Mitte, und die Schüler saßen im Kreis herum. Als die Jemeniten nach Israel kamen, fiel auf, dass jemenitische Schüler hebräisch in alle Richtungen lesen konnten – eine Folge davon, dass sie nur eine Tora hatten.
Diese Neugierde gegenüber technischen Neuerungen gilt natürlich auch für audiovisuelle Medien, die zunächst der Unterhaltung dienten, dann aber gerade von den Juden sehr schnell genutzt wurden, um die Lehre zu verbreiten. Zunächst waren es Kassetten mit Tora-Vorträgen von Rabbinern für zu Hause – natürlich nur solche, die an Wochentagen aufgenommen worden waren. Das Interesse wuchs, und bei besonders beliebten Vortragenden lief automatisch ein Rekorder mit. Die Aufnahme wurde auch vervielfältigt, und es gab eigene Geschäfte, in denen man diese Vorträge auf Kassetten, später CDs günstig erwerben konnte. Aber diese Tonträger haben weder die Rabbiner noch die Bücher verdrängt, sondern ganz im Gegenteil unterstützt: nicht zuletzt deshalb, weil sie ja am Schabbat nicht verwendet werden dürfen.
Lange Zeit waren Religionssendungen im ORF fast ausschließlich dem Christentum vorbehalten. Nachdem ich in den frühen 1980er Jahren nach meinem Studium in Israel zurück nach Wien gekommen war und als Rabbiner in der Israelitischen Kultusgemeinde tätig wurde, wurde an mich der Wunsch herangetragen, dass ich die jüdische Gemeinde auch in den Medien vertreten solle, vor allem im ORF. Humorvolle Menschen witzelten damals, jetzt sei ORF die Abkürzung für Oberrabbiner-Fernsehen geworden. Vorher hatte es nicht nur keine jüdischen, sondern auch keine islamischen oder buddhistischen Sendungen gegeben. Wir, die Vertreter dieser Religionen, wurden einander vorgestellt, und so entwickelte sich zwischen uns auch ein interreligiöser Dialog. Eine Episode: Als ich gemeinsam mit dem muslimischen Vertreter durchs ORF-Zentrum geführt wurde, gab man uns Erklärungen zur Technik. Weil der Imam ein würdevoller alter Mann und ich noch verhältnismäßig jung war, wollte ich ihm immer den Vortritt lassen. Er aber bestand darauf, dass ich zuerst durch die Türen gehe, mit den Worten: Das Judentum ist älter als der Islam.
Ich springe in die Gegenwart: Heute kann ich am Computer von tausenden Rabbinern zu jedem Thema Vorträge hören. Besondere Freude macht mir, wenn ich die Shiurim meines Sohnes, des Rabbiners David Eisenberg, voller Stolz hören kann. Manche Rabbiner warnen vor ungefilterter Verwendung des Internet. Denn wie wir in letzter Zeit feststellen müssen, werden dort nicht nur weise Gedanken, sondern auch negative Inhalte wie Hasspostings verschickt. Dafür hat der Ewige das Internet nicht erfinden lassen. Sondern auch im globalen Dorf gilt der Grundsatz der Tora: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Oder, anders gesagt: Verschick’ keine Hasspostings!