Knapp vor seinem 30-jährigen Bestehen wurde der Nationalfonds einer umfassenden Reform unterzogen.
Von Nini Schand
Erweitert um neue Aufgabenfelder wie einem Jugendschwerpunkt wird er auch künftig eine Schlüsselrolle bei der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Österreich sowie im Kampf gegen Antisemitismus einnehmen. Neuordnung und Reorganisation begannen vor mehreren Jahren auf Initiative des Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP) in seiner Funktion als Kuratoriumsvorsitzender des Fonds und schließlich auf Basis eines Initiativantrags der Abgeordneten Martin Engelberg (ÖVP) und Eva Blimlinger (Die Grünen) im Juli letzten Jahres. Unter Einbindung der Stellungnahmen der im Kuratorium vertretenen NS-Opferorganisationen und nach einstimmiger Beschlussfassung der Gesetzesnovelle trat die Neuausrichtung des Fonds mit 1. Jänner des Jahres in Kraft.
Der Nationalfonds ist seit seiner Gründung 1995 zu einem unverzichtbaren Instrument der historischen Auseinandersetzung Österreichs mit seiner Geschichte und den Opfern des Nationalsozialismus geworden. In den vergangenen Jahren hat diese Einrichtung allerdings einen Bedeutungswandel erfahren, der nicht zuletzt auch der Tatsache geschuldet ist, dass ein Hauptziel des Fonds, sogenannte einmalige „Gestezahlungen“ und andere Unterstützungszahlungen an Überlebende der Shoah zu leisten, zu einem natürlichen Ende kommt.
Doch die Aufgabenstellung hat sich schon in den letzten 15 Jahren zunehmend verändert und erweitert. 2010 kam beispielsweise die Abwicklung der Sanierung der jüdischen Friedhöfe hinzu – der Bestand des Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe wird mit der Novelle um weitere zwanzig Jahre verlängert. Die Organisation der Neugestaltung der 2021 eröffneten Österreich-Ausstellung im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau stellte ab 2009 ein neues Tätigkeitsfeld des Fonds dar, das nun abgeschlossen ist. Die laufende Betreuung der 2021 eröffneten Shoah Namensmauern Gedenkstätte am Otto-Wagner-Platz im neunten Wiener Gemeindebezirk liegt ebenso in der Verantwortung des Fonds wie die Abwicklung des 2020 auf Initiative von Sobotka ins Leben gerufenen, jährlich ausgelobten Simon Wiesenthal Preises. Seit Inkrafttreten des neuen Staatsbürgerschaftsgesetzes vor drei Jahren ist der Fonds auch damit betraut, Opfer des Nationalsozialismus und deren Nachkommen bei der Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu unterstützen bzw. als Sachverständiger bei Anfragen der zuständigen Behörden zu fungieren.
Wissenschaft und Kunst
Ein wichtiges und unverzichtbares Standbein des Fonds ist seit Bestehen die Förderung wissenschaftlicher und künstlerischer Projekte; in rund dreißig Jahren konnte deshalb eine Fülle von Forschungs-, Kunst- und Gedenkprojekten realisiert werden, die einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung der NS-Zeit und auch zur öffentlichen Debatte liefern. Mit Themenschwerpunkten soll diesem Bereich künftig ein größerer Stellenwert eingeräumt werden, um etwa mehr multi- und transdisziplinäre Projektarbeit und verstärkte Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft anzustoßen. Eigenen Beirat dafür wird es nicht geben, aber mit der geplanten Erweiterung des Komitees um Fachleute aus Wissenschaft und Kunst sowie der nun explizit verankerten internationalen Kooperation wird dem wissenschaftlich-künstlerischen Fokus zusätzlich Rechnung getragen. Um die Tätigkeit des Fonds und der von ihm geförderten Projekte sichtbarer zu machen, den Kontakt zu wissenschaftlichen und künstlerischen Einrichtungen zu intensivieren, interessierten Kreisen mehr Zugang zur Arbeit des Fonds zu ermöglichen sowie den öffentlichen Diskurs zu vertiefen, ist eine jährliche Konferenz geplant.
Neue Jugendförderung
Seit einigen Jahren liegt der Vorschlag eines Schüleraustausches bereits am Tisch, nun wird er in die Tat umgesetzt und auch gesetzlich verankert: Israelische und österreichische Schüler und Schülerinnen beziehungsweise Lehrlinge absolvieren einen mehrtägigen Aufenthalt im jeweils anderen Land, um „gegenseitiges Verständnis zu fördern und langfristige Freundschaften zu etablieren“, wie es in der Begründung heißt. Bei Antisemitismusbekämpfung und der Aufarbeitung des Nationalsozialismus verstärkt auf die Jugend zuzugehen und mögliche Vorurteile abzubauen bzw. am besten gar nicht erst entstehen zu lassen: diese langfristige Wirkung dieser Programme ist nicht hoch genug einzuschätzen.
Die zweite Jugendschiene betrifft eine Aufwertung der seit langem erfolgreich etablierten Gedenkdienste im Ausland. Vorgesehen ist, dass der Nationalfonds künftig alle Gedenkdienst leistenden Personen mit bis zu vierhundert Euro unterstützt – nicht zuletzt, um mehr Jugendliche zu ermutigen, sich dafür zu entscheiden.
Dokumentation und Digitalisierung
Seit vielen Jahren wurde diskutiert, wie der Schatz an Dokumenten und Lebensgeschichten umfassend aufgearbeitet und gesichert werden kann. Dazu zählt auch die Arbeit des 2022 aufgelösten Entschädigungsfonds. Dass die Digitalisierung des außergewöhnlichen Aktenbestands des Nationalfonds und des 2022 aufgelösten Entschädigungsfonds nun forciert und in Zukunft vermehrt in digitaler Form auch für externe Forschungen zur Verfügung gestellt wird, ist ein Meilenstein.
Die einzurichtende Internetplattfom des Fonds wird ebenfalls zu mehr Überblick und offenem Austausch über die laufenden Projekte beitragen. Insgesamt soll der Prävention vor Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und Homophobie mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. In diesem Sinne ist unter anderem auch erstmals vorgesehen, eine eigene Gedenkstätte für Opfer der Roma und Sinti zu errichten sowie auch deren Gräberpflege zu unterstützen.
Schließlich wurde die Leitungsstruktur des Fonds an die neuen Vorgaben angepasst und anstelle einer Generalsekretärin ein Zweiervorstand eingerichtet. Die Führung des Nationalfonds obliegt künftig Judith Pfeffer gemeinsam mit Hannah Lessing. Pfeffer war bisher Stellvertreterin von Lessing. Dass die Stärkung und Absicherung des Nationalfonds 85 Jahre nach Ausbruch der Novemberpogrome 1938 erfolgte, mag zufällig sein, hat jedoch Symbolwert.