Nach Bill Clintons „Parametern“ und George W. Bushs „Road Map“ legte Donald Trump mit seinem „Jahrhundert-Deal“ als dritter US-Präsident einen Lösungsvorschlag für den israelisch-palästinensischen Konflikt auf den Tisch. Hochverrat oder Friedenslösung?
Es ist der detaillierteste Lösungsvorschlag, der erstmals auch eine Landkarte enthält. Wer sich Sorgen um die Zweistaatenlösung gemacht oder befürchtet hat, Trumps „Jahrhundert-Deal“, ausgehandelt von dessen Schwiegersohn Jared Kushner, verunmögliche die israelisch-palästinensischen Verhandlungen, kann beruhigt sein. Weder Trump noch Netanjahu scheinen eine Alternative zur Zweistaatenlösung zu sehen. Und Trumps Ideen, die von Netanjahu so begeistert begrüßt wurden, werden ohne Direktverhandlungen mit den Palästinensern nicht umsetzbar sein. Die größten Unbekannten in der neuen Gleichung sind allerdings, was man unter „Staat“ zu verstehen hat, und ob die Palästinenser bereit sein werden, sich mit den Israelis an einen Tisch zu setzen.
Im Dezember 2017 hatte Trump, der sich gerne als „israelfreundlichster US-Präsident aller Zeiten“ sieht, Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt. Im Mai 2018 wurde die US-Botschaft dorthin verlegt. Im März 2019 anerkannte Trump die Annexion der Golanhöhen durch den jüdischen Staat. Und zuletzt bestätigte er im Jänner 2020 die Rechtmäßigkeit des israelischen Anspruchs auf Judäa und Samaria.
Durch Frieden zum Wohlstand
Das Dokument mit dem Titel „Peace to Prosperity“ umfasst 181 Seiten. Die Grundidee ist, dass es zwei Staaten geben soll. Dabei genießt die Sicherheit Israels höchste Priorität. Im Prinzip akzeptiert Trumps „Jahrhundert-Deal“ die gegenwärtige Lage als Realität, anerkennt sie und zementiert sie rechtlich.
Vorgesehen ist, dass die Vereinigten Staaten Israels Siedlungen im Westjordanland und seine Oberhoheit über den Großteil von Jerusalem anerkennen. Israel darf alle Siedlungen und das Jordantal annektieren. Eine ganze Reihe kleinerer israelischer Gemeinden werden als „Enklaven“ von palästinensischem Territorium umgeben sein, aber unter israelischer Herrschaft stehen.
Dafür wird Israel vier Jahre lang alle neue Siedlungsaktivität einfrieren. In dieser Zeit soll ein Palästinenserstaat ausgehandelt werden. Nach Trumps Vorstellung würde Israel ungefähr siebzig Prozent von Judäa und Samaria abtreten. Die Karte, die Trumps „Jahrhundert-Deal“ begleitet, weist palästinensische Enklaven im westlichen Negev auf, die bislang Staatsland Israels sind und mehr Fläche umfassen als der Gazastreifen selbst.
Ein komplexes System von Straßen, Grenzen, Brücken und Tunnels soll sowohl Israelis als auch Palästinensern weitgehende Bewegungsfreiheit ermöglichen. Wer heute im Westjordanland unterwegs ist, erlebt dies bereits weitgehend als Realität. Wirklich neu wäre ein 34 Kilometer langer Tunnel, der die südlichen Hebronberge mit dem Gazastreifen verbinden soll. Nur die Schweiz, China, Südkorea, Japan, Großbritannien und Frankreich haben längere Tunnel. Kritiker weisen darauf hin, dass alle palästinensischen Verbindungsstraßen sowie die Grenzen dieses Palästinenserstaates vollständig von Israel kontrolliert würden.
Vollmundig enthusiastisch
Jerusalem soll Israels „ungeteilte“ Hauptstadt sein. Als Hauptstadt des „Staates Palästina“ sollen hingegen diejenigen Teile Ostjerusalems dienen, die jetzt schon als Vororte jenseits der israelischen „Sicherheitsbarriere“ liegen. Die Palästinenser sollen Zugang zu Israels Häfen in Aschdod und Haifa bekommen und den jordanischen Hafen von Akaba am Roten Meer nutzen können. Israel und Jordanien sollen den Palästinensern den Bau eines Freizeit- und Wellnesszentrums am Toten Meer ermöglichen. Ein Komitee soll eine detaillierte Landkarte als Verhandlungsgrundlage erstellen.
Trumps Planungsstab verspricht, auf diese Weise innerhalb von zehn Jahren das palästinensische Bruttosozialprodukt mindestens zu verdoppeln, mehr als eine Million palästinensische Arbeitsplätze zu schaffen, die Arbeitslosigkeit unter den Palästinensern auf eine einstellige Prozentzahl und die Armutsrate um fünfzig Prozent zu reduzieren.
Neben diesen sogenannten „Anreizen“ erscheint allerdings auch ein erhobener Zeigefinger: Trump warnt die – zu den Verhandlungen nicht eingeladenen – Palästinenser unverhohlen, sein Plan werde die letzte Chance zur Erlangung eines eigenen Staates sein.
Vollmundig enthusiastisch verglich Israels Interimspremier Netanjahu den Tag der Veröffentlichung von Trumps Dokument mit jenem der Unabhängigkeitserklärung Israels am 14. Mai 1948. Damals hatte US-Präsident Truman als erster Staatschef Israel anerkannt, so wie Trump nun am 28. Jänner 2020 die Souveränität des Staates Israel über Gebiete in Judäa und Samaria anerkannt habe, die, so Netanjahu, „entscheidend für unsere Sicherheit und zentral für unser Erbe“ seien. Israels Verteidigungsminister Bennett verkündete, er habe ein spezielles Team ernannt, das die Annexion der jüdischen Siedlungen in Judäa und Samaria, des Jordantals und des Gebietes um den Nordteil des Toten Meeres vorantreiben werde.
Begünstigtes Israel
Der Jescha-Rat, Dachorganisation für die Selbstverwaltung israelischer Siedlungen, äußerte sich ablehnend. Dazu der nationalreligiöse Rabbiner Steven Pruzansky: „Optimismus ist im Nahen Osten fehl am Platz, bis der Messias kommt.“ Keine Generation habe das Recht, die vom Schöpfer selbst festgelegten Grenzen des Landes Israel zu kompromittieren. Und mit Blick auf Netanjahu: „Wer hätte je gedacht, dass er neben einem US-Präsidenten im Weißen Haus seine Bereitschaft verkünden würde, über einen Palästinenserstaat auf 70 Prozent des Westjordanlandes zu verhandeln – und das als ‚historischen Tag‘ bezeichnen würde?“
Medienbeobachter bemängelten, dass Netanjahus Anklageschriften nicht erwähnt wurden. Außerdem sei die Pressekonferenz zeitlich verdächtig günstig hinsichtlich der israelischen wie US-amerikanischen Wahlen positioniert gewesen – der klare Sieg Netanjahus bei der Paralamentswahl Anfang März unterstützt diese These. Die linksliberale israelische Tageszeitung Haaretz beobachtete, dass „Trumps Plan zweifellos der pro-israelischste Friedensvorschlag ist, der jemals unterbreitet wurde“, gleichzeitig aber auch „das schlechteste Angebot, das man den Palästinensern jemals gemacht“ habe. Einig scheinen sich indes Beobachter aller Couleur, dass Optimismus fehl am Platze sei – das türkische Außenministerium sprach sogar von einer „Totgeburt“.
Wütende Palästinenser
Im Gazastreifen gab es bereits am Tag vor Trumps Verlautbarung Gegendemonstrationen. Dort wird der US-Plan als „Liquidierung der palästinensischen Sache“ bezeichnet. Unmittelbar nach dem gemeinsamen Auftritt des US-Präsidenten und des israelischen Premiers wurden Berichte veröffentlicht, in denen man sah, wie Palästinenser auf den Straßen von Ramallah Bilder von Trump und Netanjahu verbrannten.
Hamas und PLO sind sich eigentlich spinnefeind. Doch jetzt demonstrierten ihre Vertreter sowohl in Gaza als auch im Westjordanland demonstrativ Einheit. Palästinenserpräsident Machmud Abbas verweigert seit zwei Jahren jeden Kontakt mit Trumps Team. Nach dessen Erklärung griff er zum Telefon, um sich mit Hamas-Führer Ismail Hanije abzusprechen. „Trump! Jerusalem steht nicht zum Verkauf! Unsere Rechte sind nicht verhandelbar! Dein Verschwörungs-Deal wird nicht durchgehen“, verkündete der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, und: „Trump und Netanjahu haben die ‚Ohrfeige des Jahrhunderts‘ verkündigt. Wir werden mit Ohrfeigen antworten.“ Der 84-jährige Erbe Jasser Arafats, der im Volk als „Abu Mazen“ bekannt ist, weiter: „Kein palästinensisches Kind, sei es Muslim oder Christ, kann so etwas jemals akzeptieren. Wir sagen tausend Mal mehr: Nein, nein, nein!“ Gegen Ende der Rede von Abbas kam es zu Zusammenstößen an den Übergängen in die Palästinensergebiete in Bethlehem, Ramallah und Jerusalem. Dutzende junger Palästinenser lieferten sich Straßenschlachten mit israelischen Sicherheitskräften.
Gemischte Reaktionen
Die Botschafter der Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrains und Omans hatten Trumps Verkündung des „Jahrhundert-Deals“ schweigend, aber allseits sichtbar beigewohnt. Das saudi-arabische Außenministerium ließ verlauten, man unterstütze direkte Verhandlungen zwischen Palästinensern und Israelis unter der Schirmherrschaft der Vereinigten Staaten. Alle Meinungsverschiedenheiten sollten durch Verhandlungen ausgeräumt werden. Großbritannien begrüßte Trumps Plan. Frankreich versprach, ihn „sorgfältig zu studieren“ und betonte im gleichen Atemzug die Notwendigkeit einer Zweistaatenlösung für den israelisch-arabischen Konflikt. Aus dem Iran war zu hören, Trumps Vorschlag sei „der Hochverrat des Jahrhunderts“. Und der lange Arm Teherans in der Levante, die Hisbollah im Libanon, interpretierte ihn als Versuch, „die Rechte des palästinensischen Volkes auszulöschen“.