Umdeutung des Messianismus

Der neue Messias ist androgyn und jedenfalls blond: Filmstill aus Yael Bartanas „Malka Germania“ (2021).
© Yael Bartana, Auftragsarbeit für das JMB

Das Jüdische Museum Berlin kann weder als Außenstelle Israels arbeiten noch den komplexen Debatten über Israelkritik entkommen. Nun reitet ein queerer Messias auf dem Esel ein: Die Ausstellung „Redemption Now“ der israelischen Künstlerin Yael Bartana stellt ein Signal dar.

Von Bert Rebhandl 

Der Messias kommt auf einem Esel. So steht es in der Bibel, so glauben es Juden und Christen gleichermaßen. Als Jesus am Palmsonntag nach Jerusalem kam, war das ein alternativer Triumphzug, nicht hoch zu Ross und von Fanfaren begleitet, sondern eine Hippie-Variante der alten Hoffnungen aus den Prophetenbüchern. Für die Christen war der Messias schon da, für die Juden steht er noch aus.

Im Jüdischen Museum Berlin kann man im Sommer 2021 eine Videoarbeit sehen, die dem Messias auf einem Esel neue Bedeutung verleiht. In Malka Germania (Königin Germania) von Yael Bartana wird Berlin zum neuen Jerusalem. Der Messias ist eine Gestalt mit männlichen und weiblichen Zügen, offensichtlich soll dieses Wesen die Geschlechterdifferenz aufheben. Deutlicher noch aber verkörpert dieser Messias eine Klischeevorstellung: er oder sie oder etwas dazwischen ist weiß. Weiße Hautfarbe, weißes Gewand, blondes Haar. Germania halt, die Verkörperung des deutschen Wesens. Der feuchte Traum aller Nationalisten sieht hier allerdings ziemlich queer aus. Und trägt einen hebräischen Namen.

Politische Provokation

Das kann man im Jüdischen Museum Berlin nun noch einmal in Ruhe nachschauen, denn die Ausstellung Redemption Now (Erlösung Jetzt) bietet neben dem Höhepunkt mit dem Drei-Kanal-Video Malka Germania auch eine Werkschau der 1970 in Israel geborenen Künstlerin, die heute in Tel Aviv und Berlin lebt. Sie beginnt mit dem fünf Minuten langen Film Entartete Kunst lebt (2010), in dem sie das Gemälde Kriegskrüppel von Otto Dix aus dem Jahr 1920 wiederbelebte – die Parade der vom Krieg der europäischen Nationalisten gezeichneten, grotesken Figuren hat bereits Aspekte der motivischen Umwidmung, mit der Bartana bevorzugt arbeitet. Auch ihr bisher wahrscheinlich berühmtestes Werk ist im Jüdischen Museum Berlin zu sehen: die dreiteilige Videoarbeit And Europe Will Be Stunned, in der Bartana von einer Jewish Renaissance Movement erzählt, die Juden dazu aufruft, nach Polen zurückzukehren. Der betont realistisch durchgespielte Plan eines umgekehrten Zionismus stellt eine brillante geschichtspolitische Provokation dar.

Verzichtet haben die beiden Kuratoren Shelley Harten und Gregor H. Lersch hingegen auf Inferno (2013), eine weitere Schlüsselarbeit von Yael Bartana: Mit einer Computertechnik, die dem Mainstreamkino entlehnt war, imaginierte sie damals einen neuen, dritten Tempel, ein Endzeitbild, das sie in einen Katastrophenfilm umschlagen ließ. In Inferno wurde ein Hang zur Monumentalität deutlich, der nun in Malka Germania zu einer Szene führt, in der sie es geradezu mit James Cameron aufnimmt, also mit dem größten Spektakelmacher in Hollywood. Der ließ in seinem Film The Abyss einmal eine ganze Zivilisation vom Meeresgrund auftauchen. In Malka Germania ist es das Berlin der tausendjährigen Träume der Nazis, das aus dem Wannsee auftaucht. Es ist ein zutiefst merkwürdiges Bild, denn es steht eben im Kontext einer Eroberung (Befreiung?) Berlins oder Deutschland durch die Israel Defense Forces (IDF).

Neuanfang

Für das Jüdische Museum Berlin stellt Redemption Now einen Neubeginn dar. Es ist die erste Einzelausstellung unter der neuen Direktorin Hetty Berg, die als Nachfolgerin von Peter Schäfer bestellt wurde. Der renommierte Wissenschaftler musste nach Kontroversen vor allem um eine Ausstellung über Jerusalem zurücktreten, der Parteinahme für die palästinensische Sache unterstellt wurde. Dass das Jüdische Museum nicht einfach als Außenstelle des Staates Israel arbeiten kann, ist dabei ebenso klar, wie es den komplexen Debatten über Israelkritik und deutsche Vergangenheitsbewältigung nicht entkommen kann. Yael Bartana stellt in allen diesen Hinsichten ein Signal dar: Sie scheut vor komplizierten Motivlagen nicht zurück, im Gegenteil, sie sucht sie geradezu, und überhöht sie zu einer Neuen Mythologie.

Dabei bringt sie die geläufigen Topografien des jüdischen Denkens durcheinander. Der Staat Israel gilt seit 1948 als der sichere Hafen, in dem Juden aus aller Welt Zuflucht finden können vor einem Antisemitismus, vor dem selbst Länder wie Deutschland oder Österreich nicht gefeit sind, obwohl dort die offizielle Geschichtspolitik alles dafür tut, die Verbrechen der Schoah nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Bei Yael Bartana aber wird ausgerechnet Polen zum Ziel einer neuen Alija, eines Aufstiegs oder einer Heimkehr aus dem Exil. Das osteuropäische Judentum ist heute in vielerlei Hinsicht vor allem ein Sehnsuchtsort, den sie in einer höchst dialektischen Bewegung mit einem neuen Erez Israel gleichsetzt, wobei sich die Konstellationen der Rückkehr nach Palästina wiederholen. Denn auch Polen ist kein „leeres“ Land, sondern eines, in dem jüdische Zuwanderung auf Widerstand treffen würde.

Geschichtstheologie

In Inferno wiederum greift Yael Bartana den Umstand auf, dass die Geschichte des jüdischen Volkes auch für Christen eine heilsgeschichte Bedeutung hat, und dass vor allem die Mythologie des Tempels gerade bei Evangelikalen sehr wichtig ist. Brasilien ist ein Land, in dem christliche fundamentalistische Sekten sehr stark vertreten sind. Inferno spielt mit den apokalyptischen Bildwelten, in denen sich das Geschichtsverständnis dieser Gruppierungen äußert. Der endzeitliche Tempel, der nun nicht mehr in Jerusalem stehen muss, wo er in der derzeitigen geopolitischen Situation auch gar keinen Ort hätte, sondern auf einem denkbaren neuen Zion (in einer postkolonialen Metropole des Südens?), ist zugleich ambivalentes Motiv einer Erfüllung der Geschichte wie Zeichen einer katastrophischen Umdeutung des Messianismus.

Dass nun mit Malka Germania ausgerechnet in Deutschland der Speer-Gigantismus in dem dekonstruierten Gebäude von Daniel Liebeskind wieder auftaucht, ist beinahe so etwas wie die Krönung der planvollen Verwirrung historischer Linien bei Yael Bartana. Das Land der bürgerlichen Aufklärung – das nicht nur beim Antisemitismus sehr weit ging, sondern davor auch schon bei der Assimilation – wirft sein Inventar aus dem Fenster und sieht sich „entsetzt“ durch das Land, in das jene Überlebenden flüchteten, die Hitlers und Himmlers Schergen entkamen. Yael Bartana betreibt Geschichtstheologie nach dem Tod Gottes. Bei aller Monumentalität sollte man dabei nie übersehen, dass sie im Zeichen des Esels steht.

„Yael Bartana – Redemption Now“
Jüdisches Museum Berlin, bis 10.10.2021

„Redemption Now“ markiert den Neubeginn für das Jüdischen Museum Berlin unter Hetty Berg. Ihr Vorgänger, Peter Schäfer, hatte zurücktreten müssen, weil ihm Parteinahme für die palästinensische Sache vorgeworfen wurde. © Yves Sucksdorff
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