Der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit arbeitet seit vielen Jahren für die Verständigung der Religionen – oft im Hintergrund, aber mit umso größerer Wirkung. Ein christlich-jüdisches Gespräch mit Präsident Martin Jäggle und Vizepräsident Willi Weisz.
Von Katharina Stourzh
„Was mich immer irritiert hat, war, dass das Judentum eine Negativfolie war, um das Christentum leuchten zu lassen“, erinnert sich Martin Jäggle, ehemals Universitätsprofessor für Religionspädagogik und Katechetik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Die christlich-jüdische Verständigung war ihm seit jeher ein Anliegen, sein ganzes Leben sei davon geprägt, „im Schatten des Stephansdoms und im Lichte der Synagoge“ aufgewachsen zu sein.
„Den Christen das Datum von Ostern zu erklären ist für mich völlig trivial“, erzählt wiederum Willi Weisz schmunzelnd, wenn er sich an seine Schulzeit im französischen Lycée erinnert. Hauptberuflich als Informatiker am Computational Science Center der Universität Wien tätig, habe er sich immer für Religion interessiert. Über Jacob Allerhand (1930–2006), der an der Universität Wien Judaistik und Hebraistik lehrte, kam er schließlich zum Koordinierungsausschuss, der 1956 auf Anregung von Kurt Schubert und Kardinal König gegründet worden war. Durch sein Engagement lernte er Regina Polak kennen, Vorständin des Instituts für praktische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät. Und in weiterer Folge wurde er schließlich Lehrbeauftragter an der Fakultät. Es müsse sich ändern, dass bei bestimmten Themen oft über und nicht mit Juden gesprochen werde, sind sich Weisz und Jäggle einig.
Vielversprechender Dialog
In der Tandelmarktgasse in Wiens zweitem Bezirk arbeitet der Koordinierungsausschuss in einem kleinen, multifunktionalen Büro, um christlich-jüdische Verständigung mit Leben zu erfüllen und jüdisches Leben im Alltag sichtbarer zu machen. Das Büro ist gleichzeitig eine Bibliothek, in der mehr als 6000 Bücher und Zeitschriften zu christlich-jüdischem Dialog entlehnt werden können, unter anderem auch Dialog, die eigene, vierteljährlich erscheinende Publikation.
„Als Christen wie auch als Theologen sind wir auf den Dialog mit dem Judentum angewiesen. Wenn uns Juden und Jüdinnen nicht auf die Sprünge helfen, ist eine Erneuerung der Kirche nicht möglich“, plädiert Jäggle vehement für mehr Austausch zwischen den beiden Religionen. Es gehe darum aufzuzeigen, dass jüdisches Leben „Teil einer sehr großen und einer sehr traurigen Geschichte“ sei. Allerdings sei es zugleich ein Problem, wenn das Judentum nur über die Schoa wahrgenommen werde.
Anders, aber gleichwertig
Wie ein roter Faden zieht sich das Angebot zur Verständigung durch die vielen Aktivitäten des Koordinierungsausschusses: Es geht darum, eine Struktur und eine Plattform zu bieten, wo man zusammenkommt und voneinander lernen kann. Nicht die Frage der Positionen sei wichtig, betont Weisz, sondern die Offenheit, um einander zu verstehen. Das lebenslange Lernen, das jeweils aus der Thora und der Bibel abgeleitet werden könne, sei in unserer Gesellschaft aktueller denn je. „Man muss dabei die Unterschiede auch klar benennen“, so Jäggle und Weisz. Denn nur unter der Prämisse „Wir sind anders, aber gleichwertig“ könne es echten Dialog und aufrichtige Verständigung geben.
Gerade auch innerhalb der katholischen Kirche hat sich diesbezüglich vieles verändert. Jäggle zitiert den Linzer Diözesanbischof Manfred Scheuer: „Jesus ist ohne sein Judentum für Christen nicht zu haben.“ Dieser Paradigmenwechsel spiegle sich unter anderem auch im neu aufgesetzten „Tag des Judentums“ der österreichischen Kirchen am 17. Jänner wider, der zu einem Tag des Lernens wurde und nun auch in Koordinierung mit der IKG stattfindet. Es sei essenziell, darin sind sich Weisz und Jäggle einig, sich jährlich neu einzulassen auf das Gespräch. Sie sind sich auch einig darin, dass die Zusammenarbeit schließlich auch bedeute, jüdisches Leben zu sichern. So arbeite der Ausschuss daran, die Vielseitigkeit und Lebendigkeit jüdischer Alltagskultur aufzuzeigen. Hier sei Beharrlichkeit erforderlich. Von jüdischer Seite herrschte ursprünglich große Skepsis, ja sogar Misstrauen auch Weisz gegenüber, wenn dieser katholische Lehrer in die Synagoge mitgenommen habe. Das sei im Laufe der Zeit besser geworden. Es habe sich einiges getan, bedenke man die jüdischen Dokumente, die erstmals auch eine Veränderung auf institutionell jüdisch-orthodoxer Seite markieren würden, etwa „Zwischen Jerusalem und Rom“ (2017) sowie „Sprechet Wahrheit“ (2001), in denen von Christen als Geschwister, als Brüder der Juden die Rede ist. Nicht zufällig wurde vom Koordinierungsausschuss vergangenes Jahr anlässlich des 65-jährigen Bestehens auch das Projekt „Geschwisterlichkeit statt Judenfeindschaft“ gestartet.
Großes Engagement
Von Beginn an unterstützte der Koordinierungsausschuss auch das innerhalb der IKG entstandene Schul- und Jugendprojekt Likrat, indem er den Zugang zu konfessionellen Schulen herstellte. In vielen Fällen agiert er nicht nur als Initiator, sondern auch als Türöffner und Vernetzer. So wurde das Café Abraham (siehe Seite xx) auf Initiative des Ausschusses von dessen langjähriger Geschäftsführerin Sarah Egger ins Leben gerufen und wird finanziell unterstützt. Dass nun selbstverständlich auch koscheres Essen in Wiener Spitälern angeboten wird, ist ebenfalls auf den Einsatz des Koordinierungsausschusses zurückzuführen, zudem ist Willi Weisz in der jüdischen Patientenbetreuung und Seelsorge im AKH tätig. Auch das Gedenken an die Wiener Gesera oder die regelmäßigen Gedenkfeiern an die Novemberpogrome gäbe es nicht ohne das stetige ehrenamtliche Engagement vieler Christen und Christinnen sowie Juden und Jüdinnen.
Kampf gegen Antisemitismus
Der Ausschuss ist auch im Kampf gegen Antisemitismus aktiv, als Mitglied des Forums gegen Antisemitismus und als Organisation, die in die Entwicklung von Strategien gegen Antisemitismus eingebunden war. Ganz konkret wurde der Koordinierungsausschuss tätig, als er um ein Gutachten im Prozess des VGN-Verlags gegen den Journalisten Christian Ortner gebeten wurde. Ortner war geklagt worden, nachdem er einen Gastbeitrag in der Zeitschrift News über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als antisemitisch bezeichnet hatte. Die Klage wurde abgewiesen, die Argumentation des Gutachtens fand schließlich auch Eingang in die Urteilsbegründung, dass im Artikel antisemitische Stereotypen bedient würden.
„Der Glaube Jesu verbindet uns, der Glaube an Jesus trennt uns.“ Diese Aussage des deutsch-israelischen Religionswissenschaftlers und Journalisten Schalom Ben-Gurin (1913–1999) beschreibt die Situation laut Jäggle perfekt. Denn es gebe tatsächlich ein Problem: Manche seien „so semitophil, dass sie Juden umarmen und ihnen dabei die Luft zum Atmen nehmen; andere gerieren sich als so judenfreundlich, kommen aber mit einer heftigen antijüdischen, antisemitischen Israelkritik daher und sehen diese Diskrepanz nicht.“ Das sei auch Thema im Ausschuss, klarer Konsens innerhalb des Vorstandes sei die grundsätzliche Solidarität mit jüdischen Gemeinden.
Jüdisches Leben sichtbar machen
Weisz’ „superoptimistische“ Vision ist es, jüdisches Leben ohne Sicherheitsvorkehrungen zu ermöglichen. In nächster Zukunft gelte der Fokus antijüdischen Darstellungen in Kirchen sowie der Aufarbeitung judenfeindlicher Kirchenpatronen, um eine Diskussion in Gang zu bringen. Außerdem wolle man das ursprünglich für die Kulturhauptstadt Bad Ischl konzipierte (und abgelehnte) Projekt „Entgiftung“ von Markus Himmelbauer nun anderweitig finanzieren und umsetzen. Trotz mancher Reserviertheit gebe es dann einen Kairos, also einen günstigen Augenblick, um einen Änderungsprozess in Bewegung zu setzen. „Wir sind beharrlich“, sagt Jäggle. Manches aber, ergänzt Weisz, müsse eher auf kirchlicher Seite geschehen, „da können wir nur mithelfen, nicht initiativ sein.“