An Traditionen anknüpfen, aber dennoch Neues schaffen. Jüdische Themen behandeln, aber nicht ausschließlich. Jungen Künstlern Auftrittsmöglichkeiten geben und einen Ort der kulturellen Begegnung schaffen. Das alles und noch mehr will Neo-Theaterprinzipalin Anita Ammersfeld aus der „Kleinen Komödie“ machen. Im Frühjahr 2005 wird die Bühne als „Stadttheater Walfischgasse“ wieder eröffnet.
Von Alexia Weiss
Noch sind es leere Räume, durch die die Sängerin und Schauspielerin Anita Ammersfeld führt. Die Mühen der Entrümpelung liegen bereits hinter ihr – die Spuren des Theaterbetriebs der vergangenen 30 Jahre sind aber noch allgegenwärtig. Dunkel wirkt der Zuschauerraum, renovierungsbedürftig sind der Stiegenabgang und das Foyer. Doch Anita Ammersfeld hat bereits die Ärmel aufgekrempelt – und vor allem jede Menge Ideen entwickelt. Das Foyer wird komplett umgebaut und soll sich künftig nach Vorstellungsbeginn in eine Bar verwandeln. Atmosphären-Wechsel inklusive. „Zehn nach zehn“ wird sie heißen, diese Bar, ein programmatischer Titel, soll sich doch das Geschehen auf der Hauptbühne gegen 22 Uhr dem Ende zuneigen. Und dann beginnt das Leben in der Bar, die mehr als nur Drinks bieten wird. Einerseits soll es – auch schon arrivierte – „Künstler zum Anfassen“ geben. Andererseits schwebt Ammersfeld hier „Theater im Theater“ vor – junge Künstler sollen die Chance erhalten, in entspannterer und familiärerer Atmosphäre als auf einer großen Bühne zu spielen oder Kabarett zu machen. Diese „Late-Night-Performances“ sollen gegen 23 Uhr starten. Aber auch an Lesungen oder Jours fixes, etwa für Tangobegeisterte, hat Ammersfeld gedacht. Und an Live-Musik. Anleihe hat sich die Künstlerin bei diesem Konzept an der Bar „Punchline“ in Tel Aviv genommen. Die stets bis zum letzten Platz ausverkaufte Spielstätte engagiert junge Künstler als Kellner, die außer für die Bestellungen und das Servieren auch einmal zwischendurch musikalisch für Stimmung sorgen. Ähnlich und doch ganz anders soll es künftig im „Zehn nach zehn“ zugehen. Eingeschenkt wird von Profis, dennoch bekommen die Gäste neben Sekt und Wein auch Kultur serviert. Um all das zu verwirklichen, bedarf es eines völlig neuen Raumkonzepts. Und dieses soll von einem Architektenteam und einem Bühnenbildner erstellt werden, erzählt Ammersfeld im Gespräch mit NU. Sie hat sich für diese Aufgabe für Hans Kudlich entschieden, der u. a. den „Talisman“ am Volkstheater ausgestattet und mit dem sie schon bei zahlreichen Produktionen zusammengearbeitet hat. Was Kudlich in die Räume der Walfischgasse zaubern wird? Überraschung lautet die Devise. Den Zuschauerraum will Ammersfeld baulich so belassen wie er ist – inklusive der Bestuhlung, die 274 Plätze bietet. Doch die braune Wandfarbe soll helleren Tönen weichen. Und: Die Prinzipalin lässt die Bühne senken, die sie derzeit als zu hoch empfindet. „Dann stimmen auch die Proportionen wieder.“ Außerdem soll die Technik komplett modernisiert werden. Der Grund dafür: Ammersfeld will vorerst auf öffentliche Subventionen verzichten und daher den Theatersaal auch für Fremdproduktionen (Musiktheater, Schauspiel, Kabarett) oder Veranstaltungen wie CDoder
Buchpräsentationen vermieten. Das Label für solche Events: „heute statt theater“. Jedenfalls gilt es da, gegenüber anderen Raumanbietern konkurrenzfähig zu sein. Die Chance, Nutzer zu finden, stuft Ammersfeld grundsätzlich als hoch ein. Denn: Ein Theater dieser Größe sei in Wien einzigartig – und werde immer wieder gesucht. Aus eigener Erfahrung wisse sie, wie schwierig es ist, für kleinere Produktionen eine geeignete Spielstätte zu finden. Hier schließe sie nun mit ihrer Bühne eine Angebotslücke. Und das auch noch in bester Innenstadtlage mit ausgezeichneter Verkehrsanbindung. Vermieten lassen sich auch die anderen Räumlichkeiten: drei große Probenräume samt dazugehörigen Garderoben. Ammersfeld denkt hier an einen ständigen Vertrag etwa mit einer Schauspielschule. Auch für Balletttraining würden sich die Räume eignen. Die Prinzipalin hätte dann einen fixen Einnahmeposten, auf den sie mit ihrer Kalkulation aufbauen könnte, muss sich doch das Haus mittel- und langfristig selbst tragen können. Einer der Probenräume ist allerdings tabu: „Niemandsland“ hat Ammersfeld ihn benannt. Dort wird die Schauspielerin Elfriede Ott künftig Workshops für den Schauspielernachwuchs abhalten. Ott, die sich seit Jahren junger Talente annimmt, sie ausbildet und auch durch die Einbindung etwa in ihre alljährlichen sommerlichen Nestroy-Produktionen (diesen Sommer unter Mitwirkung von Fritz Muliar) auf der Burg Liechtenstein fördert, war auch für Ammersfeld Lehrmeisterin in Sachen Theater. „Sie war und ist für viele Junge wegweisend.“ Am Konservatorium unterrichtet Ott heute nicht mehr. Künftig ist Lehren im „Niemandsland“ angesagt. Ott ist jedoch nicht die Einzige mit prominentem Namen, die Ammersfeld für „ihr Theater“ begeistern konnte. Erinnern Sie sich noch an Hermann Leopoldi? Der Wiener Kabarettist (1888 -1959) schrieb Gassenhauer wie „Schnucki, ach Schnucki“, „In einem kleinen Café in Hernals“, „Schön ist so ein Ringelspiel“ oder „Der stille Zecher“. Seinen Sohn Ronald – er entstammt der Ehe Leopoldis mit der Sängerin und Kabarettistin Helly Möslein – zieht es nun auch ans Theater.
Während Ammersfeld die künstlerische Leitung über nimmt, wird Leopoldi als kaufmännischer Direktor fungieren. Der Dritte im Führungstrio ist Goran Miletic. Der ausgebildete Schauspieler, der seit einigen Jahren auf der Burgarena Liechtenstein die Produktionsleitung innehat, wird nun im „Stadttheater Walfischgasse“ die Direktionsassistenz übernehmen. Für die Öffentlichkeitsarbeit ist die Agentur communication matters (Peter Menasse) verantwortlich.
Wie aber kommt eine Sängerin und Schauspielerin auf die Idee, ein Theater zu betreiben? Ammersfeld enthusiastisch: „Es war immer schon mein Traum, ein eigenes Theater zu haben.“ Warum? „Weil ich da vermitteln kann, was mir wichtig ist.“ Im vergangenen Jahr hörte sie von der Möglichkeit, die „Kleine Komödie“ zu übernehmen, und trat in Verhandlungen. Helmut Siderits, der das Haus seit 1973 als Boulevardbühne geführt hatte, kam vor einigen Jahren in finanzielle Bedrängnis. Auch als er die Immobilie an die Steirische Ärztekammer verkaufte und von ihr rückmietete, besserte sich seine Lage nicht entscheidend. Siderits musste Konkurs anmelden. In Glanzzeiten hatte Siderits das Theater dank des Zugpferds Gunther Philipp mühelos füllen können. Doch in letzter Zeit war es ruhig geworden in der Walfischgasse. Dabei hat das Haus durchaus Tradition. In der Zwischenkriegszeit befand sich dort ein Opernhaus. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude allerdings zerbombt und dann nach der Wiederinstandsetzung zunächst von einer CV-Studentenverbindung als Festsaal genutzt. 1958 verwandelte der Kabarettist Gerhard Bronner die Bühne ins „Neue Theater am Kärntnertor“. Es entstanden Programme wie „Dachl überm Kopf“, „Glasl vorm Aug“, „Die Arche Nowak“ oder „Weh dem, der rügt“. Spätere Größen wie Georg Kreisler, Louise Martini, Peter Alexander oder Helmut Qualtinger gaben sich an Bronners Bühne die Klinke in die Hand. An diese Tradition des Sprungbretts für junge Talente will Ammersfeld nun anschließen.
In ihrer eigenen künstlerischen Arbeit hat sich Ammersfeld in den vergangenen Jahren zunehmend mit jüdischen Themen und Autoren bzw. jüdischer Musik auseinander gesetzt. Auch diese Tradition will sie am „Stadttheater Walfischgasse“ fortsetzen. Gleichzeitig will sie der Bühne aber nicht das Etikett „jüdisch“ aufkleben. Denn: „Wir werden nicht nur jüdisches Theater machen.“ Spannung verspricht bereits die erste Eigenproduktion, mit der das Theater im Frühjahr 2005 eröffnet werden soll. Zwar hüllt sich Ammersfeld über Autor und Stücktitel noch in Schweigen. Doch sie verrät: Es soll eine Politsatire werden. Und eine Uraufführung. Paukenschlag garantiert, frohlockt die Prinzipalin. Auf der Bühne stehen wird sie dabei allerdings nicht. So wie auch in keiner anderen Produktion – jedenfalls nicht in der Anfangszeit. „Ich fände das unseriös. Ich engagiere mich mit diesem Theater, um Menschen Kunst zu vermitteln. Ich schaffe mir damit nicht eine Auftrittsmöglichkeit.“ Sie wolle aber nicht ausschließen, irgendwann einmal auch in der einen oder anderen Produktion mit von der Partie zu sein. Ein bis maximal zwei Eigenproduktionen im Jahr soll es künftig im „Stadttheater Walfischgasse“ geben.
Fürs Erste sucht sich Ammersfeld ihre eigene Bühne aber quasi „außer Haus“. Im Herbst führt sie ihr Kurt-Weill-Soloprogramm „Ich liebe dich nicht“, das im Dezember 2002 im Haus der Musik in Wien Premiere hatte, in englischer Sprache am International Theatre auf.