Sterben New Yorks Delis aus?

Ein kulinarischer Spaziergang durch Big Apples berühmteste Delis.
Von Peter Weinberger (Text und Fotos)

Ein wenig stimmt es schon traurig, dass nach dem berühmten 2nd Avenue Deli Anfang dieses Jahres auch das Stage Deli in Midtown Manhattan geschlossen hat. Allerdings ist diese Entwicklung durchaus charakteristisch für New York: in dem Maße, wie typisch „billige“ Viertel – die Bronx, zum Beispiel – von Hispano- Amerikanern (Einwanderer vorzugsweise aus Mittelamerika) besiedelt wurden und die dort ehemals ansässige jüdische Bevölkerung in bessere Viertel am Stadtrand gezogen ist; vor allem aber mit der Geschwindigkeit, mit der mediterrane und lateinamerikanische Küche alltäglich geworden ist, ist auch die Verbreitung typisch osteuropäisch-jüdischer Restaurants gesunken. Taco Chips und Salsa haben die Welt erobert, Nachos sind „in“.

Für Verehrer von Delis ist dies allerdings noch kein Grund zur Panik. Noch gibt es einige, zu New Yorker Institutionen gewordene „Delicatessen“, in denen übergroße, kaum zu bewältigende Portionen an Pastrami oder handballgroße Mazzesknödel angeboten werden – und wo der Besucherstrom von meist unfreundlichen Kellnern kaum bewältigt wird. In einem der drei nachstehenden Delis, nämlich Barney Greengras, Katz und Carnegie Deli muss man einfach gewesen sein, um die Faszination eines Delis zu verspüren, um ein Deli in Reinkultur genießen zu können.

Für Liebhaber geräucherter oder marinierter Fische ist Barney’s das reinste Paradies. Nirgendwo anders gibt es eine derartig große Auswahl und die besten Heringssalate, die man sich denken kann. An Wochenenden steht eine Schlange bis zur nächsten Ecke, geduldig auf einen freiwerdenden Tisch wartend. Es hat fast den Anschein, als ob sich dort jeden Sonntag alle Woody Allens der Upper Westside für ein spätes Frühstück versammelten. Sturgeon (Stör) ist übrigens eine etwas teure Reminiszenz aus Osteuropa, Bagel und Lox gehören dagegen zu jedem Standardfrühstücksmenü.

Es gibt zwei Abteilungen, in einer wird serviert, in der anderen holt man sich vom „Counter“ ein Sandwich. Apropos servieren. Früher gab’s bei Katz die etwas ältlichen (jüdischen) Serviererinnen („What can I get for you, honey?“), jetzt schleppen hauptsächlich Hispanos eher mürrisch die vollbeladenen Teller an, das heißt, knallen zunächst einmal eine Schüssel mit Sauergemüse (Gurken und Tomaten) auf den Tisch, bevor sie die Bestellungen aufnehmen.

Delis als Hotspots
Salami-, Pastrami- oder Corned-Beef- Sandwiches bedürfen keiner weiteren Erklärung. Wenn es aber stilecht sein soll, dann gehört zu einem Pastrami- Sandwich ein Dr. Browns Cel-Ray, nämlich Selzer (Sodawasser) mit Selleriegeschmack. Weniger Traditionsbewusste werden vielleicht eher das Katz-eigene Bier bevorzugen.

Die Wände in Katz’s Deli sind mit unzähligen Fotos berühmter Persönlichkeiten bedeckt, die alle irgendwann zu Gast hier waren. Während man auf das Essen wartet, kann man den Blick umherschweifen lassen: vielleicht schaut einem Bill Clinton oder Frank Sinatra lächelnd beim Essen zu. Aber nicht nur die Wände, die Größe der Portionen, die Kellner oder die übrigen Gäste sind sehenswert, Katz’s Deli diente in so manchem Film auch als Drehort. Ein an der Decke montiertes Schild erinnert zum Beispiel an den Film When Harry met Sally aus dem Jahr 1989 mit Billy Crystal und Meg Ryan in den Hauptrollen. Obwohl alle Delis behaupten, das beste Pastrami-Sandwich von New York zu servieren: Das im Katz kann sich in der Tat sehen lassen. Weniger sehenswert sind die „facilities“ (Toiletten), die vermutlich aus den Gründerjahren stammen.

Das Carnegie Deli verfügt im Wesentlichen über die gleiche Speisekarte wie Katz, es ist allerdings etwas „zivilisierter”, gleicht vielleicht eher einem Restaurant. Wie bei Katz sind die Portionen riesig und das Essen ist hervorragend. Das Carnegie dürfte in einem amerikanischen Touristenführer verzeichnet stehen, denn gelegentlich sieht man dort aus der „Provinz“ kommende New-York-Besucher, die fröhlich eine Reihe von Speisen bestellen und dann fassungslos vor den gewaltigen Mengen auf ihren Tellern sitzen. Das Carnegie ist immer voll, aber es finden sich dann stets doch noch zwei Plätze mit einer Bewegungsfreiheit für beide Arme von insgesamt 30 cm. Hat man sich einmal hinter einen Tisch geklemmt, kann’s sofort mit „pickles“ losgehen, die einem automatisch serviert werden. Der einzige Nachteil des Carnegie ist, dass es nur Flaschenbier typisch amerikanischer Marken gibt. Aber sonst passt alles und ist äußerst empfehlenswert. Um eine der hervorragenden Nachspeisen dort zu genießen, etwa in der Form eines (riesigen) Tortenstücks, kommt man am besten sechs Stunden später noch einmal zurück. Das Carnegie Deli liegt übrigens schräg gegenüber der Carnegie Hall, der Andrang ist demgemäß vor und nach Konzerten besonders groß.

Ben’s ist eigentlich eine Kette, unter anderen mit einem Restaurant auch in Boca Raton, Florida (über die vielen jüdischen „Pensionisten“ hier ließen sich unzählige Geschichten schreiben). Es hat den Vorteil, ausreichend Platz anzubieten und – für Besucher aus Übersee besonders wichtig – in der Nähe des Kamerageschäftes B&H zu liegen. Mit der neu erstandenen Digitalkamera bzw. deren unverständlicher Gebrauchsanweisung in der Hand erreicht man Ben’s in etwa zehn Minuten. Zu Fuß natürlich. Gedränge gibt’s bei Ben’s kaum.

Ben’s ist von allen Delis am besten organisiert, was sich zum Beispiel sofort an der Aufmachung der Speisekarte feststellen lässt. Die Qualität ist vollkommen in Ordnung, reicht allerdings nicht an die im Katz oder im Carnegie Deli heran. Die dort fehlende Klimaanlage spricht allerdings an besonders heiß-feuchten Sommertagen eindeutig für einen Besuch bei Ben’s.

Delis gibt’s nicht nur in New York, sondern zum Baispiel auch auf der anderen Seite des Hudson, in New Jersey. Der Name eines der dort ansässigen Delis, nämlich Gott’s Deli, spricht ganz offensichtlich für sich.

New York Delis

Barney Greengrass
541 Amsterdam Avenue
at 86th Street, NY 10024,
Upper West Side
Tel. 212-724-4707.
„The Sturgeon King’s“ besteht seit fast 100 Jahren.

Katz’s Delicatessen
205 E Houston St, NY 10002,
Tel. 212-254-2246,
Lower Manhattan („SoHo“ – South of Houston).
New Yorks berühmtestes Deli wurde bereits 1888 gegründet und besteht seitdem im Wesentlichen unverändert.

The Carnegie Deli
854 7th Avenue at 55th Street,
New York, NY 10019
Tel. 212-757-2245
Midtown, gegründet 1937.

Ben’s Kosher Deli
209 W 38th St, NY 10018
Tel. 212- 398-2367,
zwischen der 7th Ave und der 8th Ave gelegen.

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