Hakenkreuze im Fanblock, Bananen, die auf schwarze Fußballer niederregnen, antisemitische Schmähgesänge von den Rängen und weiße Spieler, die schwarzen Konkurrenten den obligatorischen Handschlag verweigern: Rassismus und Antisemitismus finden – allen PR-Kampagnen und Bemühungen zum Trotz – im internationalen Fußball nach wie vor statt.
Die Fernsehbilder der HoGeSa-Demo (Hooligans gegen Salafisten) am 26. Oktober 2014 in Köln gingen rund um den Globus. Eine glatzköpfige, ganzkörpertätowierte, Naziparolen brüllende Meute randalierte. Eine Ausnahme? Die interessante Frage ist: Wo waren diese tausenden Demonstranten eigentlich vorher? Und wo sind sie seither? Fußball zieht Neonazis und Rechte an wie Motten das Licht – so scheint es zumindest. Auch die mediale Berichterstattung vermittelt, dass die Fußballfan-Subkultur mehrheitlich rechts ist und sich in den meisten Fußballstadien Nazi-Hooligans tummeln. Doch laut Robert Claus, Buchautor und Experte für Rechtsextremismus, hat sich im Fußball im Vergleich zu den achtziger Jahren doch einiges geändert. Damals habe es kaum Fangruppen gegeben, die gegen Antisemitismus und Diskriminierung auftraten; aus vielen Fankurven hörte man judenfeindliche Gesänge. Mittlerweile habe es einen „Reinigungsprozess“ unter den Fans gegeben: „Sie haben darüber diskutiert, was bei Fußballspielen gesungen werden soll und was nicht. Wenn heute jemand im Stadion ,Sieg Heil‘ brüllt und dabei gefilmt wird, wird er auch sehr wahrscheinlich bestraft.“ In Italien zogen Lazio-Rom-Ultras am Vorabend des italienischen Nationalfeiertags am 25. April, der an die Befreiung vom Faschismus erinnert, nach einem Spiel gegen den AC Milan durch die Mailänder Innenstadt. Sie grölten Naziparolen, zeigten den Nazi- und den Faschistengruß und trugen ein Banner mit der Aufschrift „Ehre für Mussolini“. Die Mailänder Polizei zeigte neun Lazio-Hooligans wegen „Verherrlichung des Faschismus“ an. Lazio Rom reagierte wie immer beschwichtigend: Das Verhalten einiger Fans habe nichts mit den Werten des Sports zu tun, für die der Club seit 119 Jahren stehe.
Schwarze Tage in Deutschland
In österreichischen Stadien ist Antisemitismus seltener geworden, gänzlich verschwunden ist er allerdings noch längst nicht. Die alten Schlachtenbummler, meist rechter Gesinnung, wurden durch die jüngere Fankultur vielleicht nicht verbannt, aber zumindest marginalisiert. Doch wie hält es diese junge Szene in der Regel mit Politik? Anders als in Deutschland, wo bei Veranstaltungen wie „You’ll never walk alone“ Fanvertreter und Fachleute über Antisemitismus diskutieren, gibt es in Österreich keine oder nur sehr rudimentäre systematische Aufklärungsarbeit. Doch auch in Deutschland gibt es immer noch Vereine, in denen die Ultras „zu schwach“ waren, um die Nazis hinauszudrängen. Vielen Fans bleibt der 28. April 2017 als schwarzer Tag in Erinnerung. Beim Fußballspiel zwischen Babelsberg 03 und Energie Cottbus kam es zu antisemitischen und antiziganistischen Gesängen. „Arbeit macht frei – Babelsberg 03“ oder „Zecken, Zigeuner und Juden – Babelsberg 03“ hallte es durchs Stadion. Eine Fahne von Cottbus-Fans, die sich „New Society“, kurz NS nennen, zeigte einen Hitlerjungen. Die Fanszene von Babelsberg 03 hingegen ist deklariert links. In Österreich wiederum stürmten 2014 türkische Fans mit palästinensischen und türkischen Flaggen das Spielfeld und attackierten israelische Spieler aus Haifa, die ihr Trainingslager in Leogang aufgeschlagen hatten. Sieben Jahre vorher „begrüßten“ die Fans des SK Ried die Fans des FK Austria Wien 2007 mit einem Spruchband, auf dem „Shalom“ geschrieben stand; gleich darauf ertönte „Ihr seid nur ein – Judenverein“ aus dem Rieder Gästesektor. Der 1911 gegründete, violette Hauptstadtklub Austria Wien wird immer wieder Opfer antisemitischer und rassistisch herabwürdigender Sprechgesänge. Das hat – auch – mit seiner Vereinsgeschichte zu tun: Viele Gründungsmitglieder und Funktionäre der Violetten waren jüdisch. Nach dem „Anschluss“ wurde der Verein aufgelöst und in SC Ostmark umbenannt, das Stadion zur Kaserne für deutsche Soldaten umfunktioniert. Jüdische Funktionäre durften das Areal nicht mehr betreten, jüdischen Fußballern wurde jede sportliche Tätigkeit untersagt. Einigen gelang die Flucht in die Schweiz oder nach Frankreich. Angesichts dieser Vereinshistorie ist es geradezu absurd, dass in den letzten Jahren ausgerechnet im Fansektor der Austria Wien eine Hooligangruppe besonders negativ aufgefallen ist: „Unsterblich Wien“ verwendet den Hitlergruß und Nazisymbolik. Für medialen Wirbel sorgte auch, dass der rechtsradikale Fantrupp ein Flüchtlingsheim angriff. Auf dem Weg zum Stadion. Einfach so.
Italienische Hassgesänge
Auch die auswärtigen Freunde von „Unsterblich Wien“ gehören allesamt Fanszenen mit rechtsextremer Gesinnung an; die „Ultras Sur“ aus Madrid beispielsweise oder auch die bereits erwähnten Ultras von Lazio. „Irriducibili“ („Die Unverbesserlichen“) steht auf dem Banner der Laziali, die, ebenso wie AS Roma, immer wieder mit antisemitischen Sprüchen und Gesängen auffallen. „Auschwitz la vostra patria, i forni le vostre case“ („Auschwitz ist eure Heimat, die Öfen eure Häuser“) stand bei einem Match auf einem meterlangen Spruchband, das Lazio-Fans an den Stadtrivalen adressierten. Die Roma-Fans antworteten nicht minder antisemitisch: „Lazio, Livorno – stessi iniziali, stesso forno“ („Lazio, Livorno, gleiche Initialen, gleicher Ofen“). Die überwiegende Mehrheit der Livorno-Fans sind bekennende Kommunisten und Antirassisten. Einen weiteren antisemitischen Eklat lieferten Lazio-Fans mit Aufklebern, die Anne Frank im Dress der verhassten AS Roma zeigten. Als eine Fernsehmoderatorin die Aktion der Laziali verurteilen wollte, passierte ihr live auf Sendung ein Freudscher Versprecher: „Siamo tutti antisemiti“ („Wir sind alle Antisemiten“). Lazio versprach damals, mit zweihundert Fans das Konzentrationslager Auschwitz zu besuchen, Vereinspräsident Claudio Lotito legte als symbolische Entschuldigung einen Kranz in der römischen Synagoge nieder. Der Klub ließ außerdem Auszüge aus dem Tagebuch von Anne Frank im Stadion verlesen. Die Spieler trugen T-Shirts mit der Aufschrift „No all’ antisemitismo“ („Nein zu Antisemitismus“). Viel bewirkt hat es, wenn man die jüngsten Vorfälle in Mailand betrachtet, offenbar nicht. Deutsche rechte Recken nahmen sich die Aktion der Laziali zum Vorbild, als ein Fan von Lokomotive Leipzig Anne Frank im Trikot des Stadtrivalen Chemie Leipzig postete und dem Bild den Schriftzug „JDN CHM“ beifügte, eine Abkürzung für „Juden Chemie“. Auch in der Region Düsseldorf, in Dortmund und Gelsenkirchen sowie in sozialen Medien tauchten Aufkleber auf, die Anne Frank, diesmal im Trikot von Schalke 04, zeigten. Wer die Aufkleber herstellte, konnte nicht geklärt werden. Aber da FC Schalke 04 der größte Rivale von Borussia Dortmund (BVB) ist, liegt der Verdacht nahe, dass rechtsradikale BVB-Fans dahintersteckten. Unter den BVB-Fans tummeln sich besonders viele Rechtsextremisten, die mittlerweile wieder aufgelöste Hooligangruppe „RIOT 0231“ bedrohte linksgerichtete BVB-Ultras und grölte auf einer Zugfahrt nach Berlin zum DFB-Pokalfinale antisemitische Lieder.
Britische Stadionsperren
Immer wieder stimmen auch Fans des Londoner FC Chelsea antisemitische Gesänge gegen den Lokalrivalen Tottenham Hotspur an, der für seine jüdische Fangemeinde bekannt ist. Anhänger von Tottenham bezeichnen sich als „Yid Army“ und Spieler, die sie anfeuern und verehren, als „Yiddo“. Die Tottenhamer verstehen das Wort „Yid“ als Ehrentitel für ihre besten Spieler und verwehren sich dagegen, rassistisch oder antisemitisch missverstanden zu werden. Auch Fans des Premier-League-Klubs West Ham United schmähten jüngst die Rivalen Tottenham Hotspur mit antisemitischen Parolen. West Ham reagierte rasch und unmissverständlich: „Wir sind angewidert davon, was heute Abend in den sozialen Medien per Video verbreitet wird.“ Der Klub versprach, die Täter aus den eigenen Fanreihen zu ermitteln, der Polizei zu übergeben und mit lebenslangem Stadionverbot zu belegen: „Wir möchten nicht, dass solche Leute mit West Ham United in Verbindung stehen“, heißt es. „Sie sind in unserem Klub nicht willkommen, sie sind nicht willkommen in der zivilisierten Gesellschaft.“ Chelsea-Vorsitzender Bruce Buck hält vom Stadionverbot als Allheilmittel gegen Rassismus und Antisemitismus wenig: „Wenn man die Leute nur aus dem Stadion verbannt, wird man ihr Verhalten niemals ändern.“ Fans des FC Chelsea, die wegen rassistischer oder antisemitischer Äußerungen mit einer Stadionsperre belegt wurden, sollen künftig im Rahmen der Initiative „Say No To Antisemitism“ das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz besuchen. Mit einer Teilnahme könnten Fans ihre Stadionsperre reduzieren: „Unsere Strategie gibt ihnen die Möglichkeit, sich zu besinnen und zu begreifen, was sie getan und gesagt haben“, so Buck.
Rote Karten in Israel
Auch Israel ist nicht vor rassistischen Fans gefeit. Besonders berüchtigt ist die antiarabische Fangruppe „La Familia“ von Beitar Jerusalem. Als 2013 erstmals in der 65-jährigen Geschichte des Klubs ein Muslim spielte, protestierten Fans mit rassistischen Chören: „Beitar rein für immer“, schrien sie, und: „Jigal Amir, König von Israel!“ Sie schändeten damit auch das Andenken an Friedensnobelpreisträger Yitzhak Rabin. Denn er war 1995 von dem jüdischen Rechtsextremisten Jigal Amir ermordet worden. Viele Fans, Männer und Frauen, Juden und Araber, kehrten wegen „La Familia“ ihrem Lieblingsverein den Rücken und gründeten einen eigenen Club, Beitar Nordia. Mittlerweile hat Beitar Jerusalem ein Forum ins Leben gerufen, um gegen Hassgesänge und Rassismus vorzugehen. Die engagierte Jugendarbeit zeitigt Erfolg, für seine Bemühungen wurde der Klub 2017 sogar mit einem Antirassismus-Preis ausgezeichnet. In der Begründung hieß es, der Verein habe „die rassistischen Gesänge nach einer Reihe von Strafen deutlich reduziert“.
Der Selbstreinigungsprozess in den Fankurven ist vielerorts in Gang gesetzt, die überwiegende Mehrheit der Fußballfans und Ultras wollen nicht mit dem braunen Mob in einen Topf geworfen werden. Rassismus und Antisemitismus muss die rote Karte gezeigt, Sperren und Strafen müssen ausgesprochen werden. Denn auch wenn man die Mentalität der Antisemiten nicht ändern kann, so nimmt man ihnen zumindest die Bühne.
Als Fazit steht fest: Es gibt ein Antisemitismus- und Rassismusproblem auf Fußballplätzen. Aber nicht mehr und nicht weniger als in der Gesellschaft. Wie so oft, ist der Fußballplatz deren Spiegel.