So ein Schlamassel!

Mit „Schönes Schlamassel“ hat Wolfgang Murnberger eine romantische „Philosemitismus-Komödie“ gedreht. Ein Gespräch über den Wunsch, jüdisch zu sein, über Lügengeflechte und den jüdischen Freund als Feigenblatt.

Der Philosemitismus, die extreme Liebe zu den Juden, ist eine in Österreich und Deutschland eher seltene Krankheit, viel seltener jedenfalls als ihr berüchtigtes Pendant, der Antisemitismus. Verbreitet ist der Philosemitismus vor allem unter Intellektuellen im großstädtischen Milieu. Diese Menschen stellen sich gern einen siebenarmigen Leuchter auf den Tisch und schwärmen für Klezmer-Musik, besuchen jüdische Buchhandlungen und lieben das Essen in koscheren Restaurants. So auch die junge Buchhändlerin Anne in Wolfgang Murnbergers Film Schönes Schlamassel. Sie liebt bedingungslos alles Jüdische und alle Juden. Und träumt von einem jüdischen Mann.

Eines Abends treffen Anne (Verena Altenberger) und Laura in einer Bar den jüdischen Arzt Tobias und dessen Kollegen Daniel. Zu Annes Enttäuschung entflammt Tobias für ihre Freundin. Doch dann behauptet Daniel, ebenfalls Jude zu sein. Und wird für Anne zum attraktiven Zielobjekt: Liebe auf den zweiten Blick, sozusagen. Doch auf einer Idylle, die auf einer mehr oder weniger frommen Lüge basiert, liegt kein Segen. Das weiß jeder Hobbysoziologe. Also muss man aus dem Schlamassel wieder heraus.

In diesem Sinne hat Murnberger seine romantische Komödie explizit mit dem Philosemitismus- und implizit mit dem leider wieder aktuell gewordenen Antisemitismus-Thema aufgeladen. Das funktioniert erstaunlich gut. Was auch daran liegt, dass er seine Hauptfigur, eine junge Frau aus vermögendem Haus, mit einem doppelbödigen Grund für ihre Vorliebe für alles Jüdische ausstattet.

NU: „Schönes Schlamassel“ ist eine Komödie, in der es um das deutsch-jüdische Miteinander zur Nazizeit und heute geht. Wie sind Sie dazu gekommen?
Wolfgang Murnberger: Ich habe mit Mein bester Feind ja schon einmal einen Film zu diesen Themen gedreht. Das war damals fürs Kino und ich hatte Angst vor dieser Aufgabe. Aber Paul Hengge, ein jüdischer Autor, sagte, wie sehr ihm die Klischees, mit denen so viele der Geschichten über Judenverfolgung in der Nazizeit erzählt werden, auf die Nerven gehen. Und dass er keine Filme mehr sehen wolle, in denen abgemagerte Komparsen hinter Stacheldraht-Zäunen zu sehen sind. Sein Anliegen war es, die Geschichte eines jüdischen Helden zu erzählen: eines Juden, der nur deshalb überlebt, weil er sich eine Naziuniform anzieht. Zuerst dachte ich, dass ich auf keinen Fall so eine Geschichte machen kann. Aber Paul Hengge hat mich überzeugt.

Galt Ihre ursprüngliche Sorge dem Umstand, dass Sie sich als Nicht-Jude diesem Thema mit den Mitteln einer Komödie nähern?
Letztendlich hat die Komödie das Recht, überall einzudringen. Sie hat auch etwas Kathartisches. Aber ich bin relativ streng und moralisch, ich mag es überhaupt nicht, wenn es eine Komödie über Opfer ist. Aber es geht in meinem Film nicht so sehr um Opfer. Im Gegenteil. Im Mittelpunkt steht ein jüdischer Held, der seine Widersacher sehr gewitzt austrickst.

Wie waren Ihre Erfahrungen mit dem Publikum bei diesem Film?
Der Film lief bei der Berlinale und ich bekam dort schon – wie man auf Österreichisch sagt – ein paar Fotzen. Aber nicht von Juden, sondern von der 68er-Generation. Ich wurde gefragt, wie ich es mir erlauben könnte, so einen Film – eine Komödie noch dazu – vor dem Hintergrund des Holocaust zu machen. Ich war dann ganz glücklich und erleichtert, als nach der Vorführung jüdische Zuschauer zu mir kamen und gesagt haben: „Endlich einmal ein Film, in dem sich einer erfolgreich zur Wehr setzt. Es tut gut zu sehen, wie ein Jude die Nazis an der Nase herumführt.“ Es ist also aufgegangen, was Paul Hengge prophezeit hat.

Im Lügengeflecht: Daniel (Maxim Mehmet) und Anna (Verena Alternberger) sorgen für das Schlamassel.
© Bavaria Fiction/BR/ORF

Und wie sind Sie zu „Schönes Schlamassel“ gekommen?
Offenbar hat Mein bester Feind den Bayerischen Rundfunk (BR) und schließlich auch den ORF als Koproduktionspartner dazu veranlasst, mir die Verfilmung anzuvertrauen. Es war mir wichtig, dass daraus nicht eine reine Philosemitismus-Geschichte wird, und ich habe daher das Drehbuch zu einer allgemeingültigen Beziehungskomödie erweitert. Ich habe aber auch viel zum eigentlichen Thema recherchiert – wie zum Beispiel die Geschichte eines Schriftstellers, der in einem jüdischen Altersheim lebt und sich als Holocaust-Überlebender ausgibt. Dass er über seine erfundenen KZ-Erlebnisse einen Bestseller schreibt und womöglich sogar selbst daran glaubt, gibt dem ganzen Wahnsinn noch eine ganz eigene Note. Für die Dialog-Pointen habe ich mir jemanden geholt, der zwar nicht in den Credits aufscheint, der aber ein Fachmann auf diesem Gebiet ist: Sammy Drechsler war der Autor der Harald Schmidt Show. Er ist Jude und hat viel von seinem Wortwitz zu diesem Film beigesteuert.

Wollten Sie damit Ihrer Philosemitismus-Komödie noch einen ernsteren Hintergrund geben?
Durchaus. Der Ausgangspunkt der ursprünglich harmlosen Beziehungsgeschichte ist ein nichtjüdischer Arzt, der eine junge Frau ins Bett bringen will. Weil er merkt, dass sie für alles Jüdische schwärmt, gibt er sich selbst als Jude aus. Er berät sich mit seinem Freund, der Jude ist und ihm die entsprechenden Ezzes gibt, damit er sich nicht sofort als Goj verrät. Als die Beziehung ernst wird, kommt der Arzt nur mehr schwer aus seinem Lügengeflecht. Für mich war es interessant zu sehen, mit welchen Mechanismen man aus einem Stoff, der auch die Ingredienzien einer Tragödie in sich trägt, eine Komödie machen kann.

Welche Bedeutung hat der familiäre Hintergrund der jungen Frau in dieser Beziehungsgeschichte?
Das Verhalten der Großeltern während der Nazizeit hat eine große Bedeutung für die ganze Geschichte. Ich wollte dem Philosemitismus der Protagonistin eine Basis geben. Anne empfindet ihren Einsatz im jüdischen Altersheim und in der jüdischen Buchhandlung als eine Art Wiedergutmachung. Wie viele junge Menschen ist sie Idealistin und hinterfragt die Herkunft des Vermögens ihrer Eltern. Als sie erfährt, dass ihre Großeltern – wie viele Österreicher und Deutsche – durch die Flucht von Juden reich geworden sind, ist sie empört. Denn sie weiß, dass Juden, die damals gerade noch rechtzeitig flüchten konnten, gar keine andere Wahl hatten, als ihre Bilder, ihren Schmuck und ihre Antiquitäten möglichst schnell zu Geld machen. Sie weiß auch, dass nach dem Krieg in Österreich die Restitution nur schleppend anlief, weil Konsens darüber herrschte, dass man den Juden eh alles abgekauft und nicht gestohlen hätte. Dass die Summen, die für diese Wertsachen bezahlt wurden, weit unter deren Wert lagen, wollte niemand eingestehen.

Wolfgang Murnberger © Majestic/Fox

Mit dieser Form eines idealistischen Philosemitismus können sich sicher viele, vor allem junge, Zuschauer identifizieren. Aber wie erklärt sich daraus die komplexe Beziehungsgeschichte?
Anne wird Opfer ihrer eigenen Engstirnigkeit. Es sollte doch nicht so sein, dass man aufgrund einer Vorliebe für eine Gruppe von Menschen alle anderen ablehnt. Alles Jüdische ist gut und alles Deutsche oder Österreichische ist schlecht – das kann nicht funktionieren. Mit diesem Handicap tappt sie in ihre Liebesgeschichte. Der jüdische Freund wird oft als Feigenblatt zitiert, um damit zu zeigen, dass man ein guter Mensch ist. Das ist ein verbreitetes Missverständnis.

Gab es von Seiten der Produzenten die Sorge, dass eine so prononciert jüdische Geschichte vielleicht beim breiten Publikum nicht ankommen oder falsch verstanden werden könnte?
Die Geschichte wurde an mich herangetragen, daher habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Außerdem hat mich die Geschichte auch aufgrund meiner eigenen Jugenderfahrungen interessiert. Ich bin ja auch in einer Familie aufgewachsen, die sich nicht gerade durch Widerstand gegen die Nazis hervorgetan hat. Das erste Mal, als ich das Wort „Jude“ gehört habe, war, als mein Vater gesagt hat: „Der Kreisky ist ein Jud.“ Das heißt, ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, in dem ich erst sehr spät mitbekommen habe, was da eigentlich gelaufen ist in der Nazizeit und im Zweiten Weltkrieg. Mein Vater war im Russland-Feldzug und im Afrika-Feldzug, er war also durchaus deutschnational gesinnt. Er war kein hoher Nazi und auch nicht an Kriegsverbrechen beteiligt, aber es hat eine Weile gedauert, bis er sich aufgerafft hat zu sagen: „Das, was der Hitler mit den Juden gemacht hat, war nicht in Ordnung.“ In dieser Stimmung bin ich aufgewachsen.

Haben Sie in Ihrer Jugend dagegen protestiert?
Entweder man wird so wie die Eltern oder das genaue Gegenteil. Ich war jedenfalls revolutionär in meinen jungen Jahren und in Totalopposition zur Elterngeneration. Aufgrund meiner eigenen Vergangenheit mache ich gerne Filme wie Mein bester Feind oderSchönes Schlamassel. Weil die Arbeit daran erfordert, mich mit verschiedenen Aspekten dieser Thematik auseinanderzusetzen. Es tut mir sehr leid, dass mein Vater diese Filme nicht mehr gesehen hat.

„Schönes Schlamassel“ ist zu sehen im ORF (Wh. am 5.12. und in der TVthek) sowie in der ARD-Mediathek. Zum Trailer

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