Das Jüdische Museum Wien landete in diesem Frühjahr in den Schlagzeilen. Zerbrochene Hologramme, ein wütender Protestbrief von Museumsdirektoren, der Rücktritt des Prokuristen, des NU-Chefredakteurs Peter Menasse. Was genau ist passiert? Protokoll einer Erregung in Form von zehn Fragen und elf Antworten.
Von Barbara Tóth
1) Was hat den Skandal ausgelöst?
Das Haupthaus des Jüdischen Museums Wien (JMW) in der Dorotheergasse ist seit Mitte Jänner wegen einer dringend notwendigen Generalsanierung geschlossen. Lifte werden renoviert, eine komplett neue Klimaanlage eingebaut, der Eingangsbereich neu geordnet und die undichte Dachkuppel saniert. Am 12. Jänner versuchte die vom Museum als Bestbieter beauftragte Glasfirma Briza jene 21 wuchtigen Doppel-Glasplatten zu demontieren, die seit 1996 das Herzstück der alten Dauerausstellung im zweiten Stock bildeten. Auf ihnen waren Hologramme eingelassen, die verschiedene Bilder und Objekte des Wiener Judentums zeigten. Diese Form der Installation war in der Neukonzeption des Museums nicht mehr vorgesehen, die Glasplatten sollten deswegen in ein Depot wandern. Beim Abbau zerbrachen die 7,5 Tonnen Sicherheitsglas in unzählige Scherben.
2) Hätten die Glasplatten abtransportiert werden können?
Hier steht Expertenaussage gegen Expertenaussage. Die Firma Fritsch Stiassny Glastechnik, die die Glaskonstruktion gemeinsam mit dem Architekten Martin Kohlbauer entwickelt und ausgeführt hatte, sagt, man hätte die Winkeleisenverankerung, mit der die Glasplatten gehalten wurden, einfach aufschrauben können. „Lediglich die Verankerung der feststehenden Bodenkonsole wurde geklebt.“ Der Gutachter Horst Jäger, der von der Wien Holding, Eigentümer des Museums, beauftragt wurde, kam nach einer Besichtigung der Baustelle am 28. Februar zum Schluss, „dass die Materialien voneinander nur durch Einsatz von Brechstangen zu trennen“ gewesen wären, weil beim Einbau vor 15 Jahren doch Klebstoff eingesetzt worden sei.
3) Wieso erfuhr die Öffentlichkeit davon?
Die Chefkuratorin des Jüdischen Museums, die fachlich hervorragend qualifizierte Judaistin Felicitas Heimann-Jelinek, deren Idee die Installation der Glastafeln mit den Hologrammen einst waren und die sich ebenfalls um den Job der Direktorin im JMW beworben hatte, erfuhr von der Demolierung am 26. Jänner. Empört schickte sie Fotos der zerstörten Hologramme an Freunde. Am 2. Februar veröffentlichte der Grazer Museologe Gottfried Fliedl mehrere Scherbenbilder unter dem Titel „Erneuerung durch Zerstörung? Das Jüdische Museum der Stadt Wien vernichtet sein wichtigstes Medium, die Dauerausstellung“ auf seinem Weblog. Am 7. Februar berichtete die „Presse“ erstmals von den Vorgängen, kurz darauf waren die zerstörten Hologramme Thema in allen österreichischen Medien.
4) Wie kam es zu dem Protestbrief?
Der Leiter des Jüdischen Museums in Hohenems, Hanno Loewy, startete eine blitzartige Unterschriftenaktion unter Museumskollegen. Letztlich folgten 25 Personen seinem Aufruf, darunter Mitarbeiter jüdischer Museen in Frankfurt, Berlin, München, Paris, Belgien, Eisenstadt und Hohenems. In ihrem offenen Brief, der am 9. Februar veröffentlicht wurde, übten sie scharfe Kritik an der Zerstörung der Hologramme, die sie als wertvoll für die Geschichte der Jüdischen Museen einstuften. Keiner der Unterzeichner hatte mit Spera davor direkt Kontakt aufgenommen oder eine Diskussion mit ihr gesucht.
5) Warum trat der von Spera eingesetzte Prokurist des Museums Peter Menasse zurück?
Weil er einen schweren Fehler gemacht hatte. Der offene Brief der Museumskollegenschaft empörte ihn sehr, vor allem aber fand er es unfair, dass man nicht zuvor das Gespräch mit Spera gesucht hatte, sondern sie öffentlich attackierte. Auf der Internetplattform Facebook kommentierte er dieses, seiner Meinung nach unreflektierte Vorgehen mit der abgewandelten Zitierung des SS-Spruchs: „Ihre Ehre heißt Treue“. Normalerweise fällt eine solche Äußerung in Österreich unter das NS-Verbotsgesetz und ist strafbar. Als der „Falter“ dieses Zitat aufgriff und darüber berichtete, entschuldigte sich Menasse und trat am 17. März zurück.
6) Wieso hat das alles auch mit Standesfragen zu tun?
Weil Spera in der Museumslandschaft einen neuen Typus an Direktorin darstellt. Dass einer populären ORF-Moderatorin der Vorzug vor ausgewiesenen, aber lange nicht so öffentlichkeitswirksamen Fachleuten wie eben der Chefkuratorin Heimann-Jelinek oder dem Leiter des Münchner Jüdischen Museums, Bernhard Purin, gegeben wurde, hat viele in der Branche verstört. Sie sind der Meinung, dass bei einer Museumsbestellung Prominenz nicht mehr zählen darf als Fachwissen. Weil viele Museen inzwischen ausgelagert sind, tendiert die Politik aber eher dazu, Manager zu bestellen als Fachleute. Im Arbeitsalltag prallen dann zwei Welten aufeinander. Die des ORFStars Spera, die alleine durch ihre Bekanntheit dem Haus Präsenz verschafft, sich selbst als bekennende Jüdin zum Exponat macht – etwa, indem Schulen sie zu „Director’s Visits“ einladen können – und so nebenbei 350.000 Euro Sponsorengelder für die Renovierung des Museums und die neu eröffnete Dependance am Judenplatz auftrieb. Und die Welt eines gut vernetzten Kuratoren- und Museologenmilieus, unter ihnen brillante Judaisten, engagierte Museumsdidaktiker und Historiker, die dann aber eben auch schnell einmal die Nase über die „Moderatorin“ Spera rümpfen. Selbst wenn sie über den Künstler Hermann Nitsch promovierte.
7) Sind die Hologramme nun Kunstwerke oder nicht?
Das ist die zentrale, wissenschaftliche Frage, die in der öffentlichen Debatte leider viel zu kurz kam. Ja, meinen die Kritiker Speras. Die Hologramme seien nicht nur bloße „Ausstellungsarchitektur“, sondern „unwiederbringliche Originale“, weil sie über die Jahre selbst zu Exponaten wurden, zu Zeugnissen jüdischen Selbstverständnisses, zu „bemerkenswertesten Präsentationen jüdischer Geschichte in der Welt der Jüdischen Museen und weit darüber hinaus“. Nein, meinen die Gegner. Die Hologramme sind „nicht historische Kostbarkeiten, sondern schlicht technologisch aufwändige Ausstellungseinbauten“, die einmal besonders innovativ waren, inzwischen aber in die Jahre gekommen sind, wie der „Standard“ schrieb. Und weil das Museum ein zweites, kleineres Set in Reserve habe, sei die Zerstörung deswegen auch nicht weiter schlimm. Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass die Hologramme alleine aufgrund der langen Zeit, in der sie ausgestellt waren, zu wichtigen Dokumenten der österreichischen Erinnerungskultur geworden sind. Sie sind beispielhaft für die Art und Weise, wie in der Post-Waldheim-Ära Österreichs Zeitgeschichte auf besonders hohem intellektuellem Niveau reflektiert wurde. Im Idealfall sollten sie deswegen einmal auch als historische Zeugnisse in einem Haus der Geschichte oder einem Museum österreichischer Nationalgeschichte stehen. In welcher Form auch immer: In miniature, als virtueller Rundgang oder in Bildern – aber ganz und gar nicht zwingend im Original.
8) Steht hinter dem Skandal ein Machtkampf ganz anderer Art?
Ja. Wie bei vielen Konflikten gibt es eine persönliche Ebene, aber auch eine politische. Eine der schärfsten Kritiker Speras im Zuge des Skandals war der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant. Die Kultusgemeinde stellt drei Aufsichtsräte des Museums. Bis jetzt war Muzicant das dominierende Sprachrohr des Wiener Judentums. Mit Spera gibt es nun eine zweite, nicht weniger starke Stimme. Dazu kommt, dass Spera, Menasse und Speras Ehemann Martin Engelberg im NU sich immer wieder kritisch mit der Politik Muzicants befasst haben. Engelberg wird außerdem als möglicher Kandidat für die Muzicant- Nachfolge gehandelt.
9) Warum interessierten sich die Medien so sehr für diese Geschichte?
Weil sie alle Zutaten für einen guten Skandal liefert, und nichts lieben Medien mehr als diesen. Ein in dramatischen Bildern festgehaltener, Sündenfall (der Scherbenhaufen) – noch dazu einer, der historische Assoziationen weckt („Reichskristallnacht“). Eine Gruppe, die die Rolle des Skandalisierers übernimmt (die empörten Museologen), und das eingängige Motiv „Mehrheit verschwört sich gegen Außenseiterin“ bedient. Eine prominente, in die Defensive geratene Hauptfigur (Spera), dazu ein gefallener Adjutant (Menasse) sowie ein einflussreicher und wortgewandter Gegenspieler (Muzicant). Besser hätte sich das auch kein Drehbuchautor ausdenken können.
10) Was hat das alles mit dem Holocaust und Jüdisch-Sein zu tun?
Mehr, als man sich wünscht. Da ist zum einen die bereits angesprochene Assoziation mit der „Reichskristallnacht“, die die Bilder der zerbrochenen Hologramme erweckten. Im Protestbrief der Direktoren wird die Entfernung der Hologramme in Zusammenhang gebracht mit der „Katastrophe unvergleichbaren Ausmaßes, die in der willentlichen Auslöschung jüdischen Lebens, jüdischer Kultur und jüdischer Erinnerung bestand“. Darauf folgte Menasses unglücklicher SS-Vergleich. Und schließlich berichtete die „Neue Zürcher Zeitung“, dass die Glasfirma Briza, die die Hologramme demontierte, einst der Familie Rudolf Munk gehört hätte, die in der Shoah umkam – was nicht stimmt. Ein arisierter Glaserer zerstört in einem von einer Jüdin geführten, jüdischen Museum vermeintliches Kulturgut – das wäre dann der abstruse Subtext des Hologramm- Skandals.
Und nu? Die Kombination aus prominentem, engagiertem Aushängeschild und fachlich hervorragendem Team hätte für den Neuanfang des Museum fruchtbar sein können, war es aber nicht. Jetzt sind die Fronten geklärt. Spera wird am Erfolg der neuen Dauerausstellung zu messen sein.