Eine Rückschau auf sieben Jahre Nationalrat: über den Quereinstieg in die Politik, Wahlkampferfahrungen, historische Reisen, wichtige Initiativen und den parlamentarischen Alltag.
Von Martin Engelberg
Als Sebastian Kurz 2017 die Führung der ÖVP übernahm, erstellte er die Bundesliste mit 100 Experten. Alle Kandidaten waren Quereinsteiger ohne Parteibuch oder Personen, die noch nie für die ÖVP bei einer Wahl angetreten waren. Bekannte Personen auf der Bundesliste waren unter anderen der frühere Rechnungshof-Präsident Josef Moser, die langjährige ORF-Burgenland-Moderatorin Gaby Schwarz, der ehemalige Grünen-Politiker und Integrationsexperte Efgani Dönmez, der Mathematiker Rudolf Taschner und die ehemalige Spitzensportlerin und durch einen Unfall im Rollstuhl sitzende Kira Grünberg, die mit 24 Jahren auch die jüngste Kandidatin auf der Bundeliste war.
Einladung von Sebastian Kurz
Mich erreichte Sebastian Kurz’ Anruf im Sommer 2017 mitten im Urlaub am Wörther See, am Wasserski-Steg stehend. Er bot mir den 11. Platz auf besagter Bundesliste an und meinte, dass mir dies nach seiner Einschätzung einen sicheren Platz im nächsten Nationalrat einbringen sollte
Persönliche Wahlkampferfahrungen
Mit viel Vorfreude und Enthusiasmus hatte ich mich in den Wahlkampf auf der Straße und bei privaten Einladungen gestürzt. Ich genoss es, mit Menschen über Politik ins Gespräch zu kommen. Es waren interessante Erfahrungen, die sogar allein in Wien nicht unterschiedlicher hätten sein können. Da waren die Verteilaktionen im innerstädtischen Bereich, wo die Menschen zumeist sehr verhalten reagierten. Noch schwerer tat ich mich in einigen „bürgerlichen“ Haushalten, zu denen ich als ÖVP-Kandidat eingeladen war. Ich wurde in heftige, oft sehr kritische Diskussionen verwickelt.
Völlig überrascht hat mich dann mein erster Einsatz in den Außenbezirken. Wir hatten uns eine Verteilaktion auf der Simmeringer Hauptstraße vorgenommen. Und dann geschah schier Unglaubliches: Man begegnete uns überaus freundlich, ja fast enthusiastisch. Hier war Sebastian Kurz ein Held. Das galt durchaus auch für jene Menschen, die einen Migrationshintergrund hatten. Ebenfalls für mich sehr überraschend erzählten einige, dass sie früher SPÖ gewählt hätten, dann die FPÖ, aber jetzt entschlossen waren, Sebastian Kurz und die ÖVP zu unterstützen. Tatsächlich zeigte das Wahlergebnis einen besonders großen Zugewinn in den Außenbezirken Wiens.
Meine politischen Ziele
Meine Ziele fasste ich so zusammen: „Ein großes Interesse für Politik kennzeichnet mein Leben. Freiheit, aber auch mehr Selbstverantwortung der Menschen stehen im Mittelpunkt meiner liberalen Vorstellungen für Gesellschaft und Wirtschaft. Konkret werde ich mich für eine engagierte Verteidigung unserer Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung der Geschlechter, für weniger Steuern, Einschränkungen und Bevormundungen durch den Staat einsetzen“.
Als Jude im Parlament
Mir war es von Anfang meines politischen Engagements an wichtig festzuhalten, dass ich mich nicht als Vertreter der jüdischen Gemeinde im Nationalrat sehen würde.
Andererseits wollte ich mich nicht als erster Ansprechpartner in der ÖVP und dem Nationalrat insgesamt für alle politischen Fragen sehen, die irgendwie mit Judentum zu tun haben.
Besonders gefreut hat mich der überaus freundliche Empfang im ÖVP-Parlamentsklub. Es schienen sich alle darüber zu freuen, dass ich als Jude zur ÖVP dazugestoßen war. Sehr freundlich und respektvoll sind mir auch immer die Abgeordneten der anderen Fraktionen begegnet, auch jene der FPÖ.
Politische Arbeit und parlamentarischer Alltag
Sehr schnell bekommt man mit, wie strukturiert, hierarchisch und mitunter rigide die parlamentarische Arbeit organisiert ist. Es beginnt gleich mit einem ziemlichen Gerangel um die sogenannten Sprecherrollen. Diese sind sehr begehrt, einige ganz besonders, verschaffen sie einem schließlich ein gewisses Prestige und vor allem Exklusivität als Ansprechpartner für alle jene Themen, die in diesen Aufgabenbereich fallen.nMir wurde die Rolle des Sprechers für internationale Entwicklung und Zusammenarbeit zugedacht. Wenn auch nicht außenpolitischer Sprecher, so war ich damit dennoch stark im Bereich der diversen außenpolitischen Ausschüsse und Aktivitäten verankert. Darüber hinaus wurde ich auch gleich zum Obmann der offiziellen parlamentarischen Freundschaftsgruppe Vereinigtes Königreich, Großbritannien, Nordirland bestellt.
Ein großer Gewinn meiner parlamentarischen Tätigkeit war das Kennenlernen von Menschen so unterschiedlicher Herkunft. Es finden sich ja Abgeordnete der unterschiedlichen Berufe und Herkünfte im Nationalrat wieder: Partei- und Kammerfunktionäre ebenso wie Unternehmer, Freiberufler, Bauern oder Lehrer. Ich habe mein ganzes Leben lang nie so viel von Österreich kennengelernt wie in den Jahren seit meinem Einstieg in die österreichische Politik.
Historischer Besuch in Israel 2018
Der Besuch von Bundeskanzler Kurz anlässlich des 70. Jahrestages der Staatsgründung Israels war von historischer Bedeutung. In die monatelangen Vorbereitungen war ich sehr eng eingebunden.
Sebastian Kurz sprach dann in seinen Reden, noch viel deutlicher als Vranitzky genau 25 Jahre davor, von der Schuld und Verantwortung von Österreich und Österreichern für die Verbrechen während der Nazizeit. Anlässlich des Besuchs der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und bei seiner Rede vor den Teilnehmern des Global Forums des American Jewish Committees (AJC) sprach Kurz ganz klar die langjährige Lebenslüge Österreichs an, es wäre das erste Opfer der Nazis gewesen, verurteilte das sträfliche Wegschauen der meisten Österreicher, als Jüdinnen und Juden gedemütigt, beraubt und deportiert wurden, und legte dar, wie viele Österreicher sich daran persönlich beteiligt hatten.
In der Rede vor dem AJC sprach Kurz dann auch über die besondere Verantwortung, die Österreich für Israel habe, und erklärte den Einsatz für die Sicherheit Israels zur Staatsräson Österreichs. Die 3000 jüdischen Zuhörer, vornehmlich aus den USA, erhoben sich während seiner Rede mehrfach zu Standing Ovations.
Die Tatsache, dass sich Sebastian Kurz in einer Koalition mit der in Israel geschmähten FPÖ befand, drohte den Besuch zu überschatten. Doch Netanjahu empfing Kurz überaus herzlich. In den Gesprächen, bei denen ich jeweils anwesend war, verlor Netanjahu kein Wort zur FPÖ und der innenpolitischen Situation in Österreich. Es war insgesamt ein sehr gelungener Besuch, der ganz sicher jenes Fundament für die Beziehungen zwischen Israel und Österreich legte, die heute von allen Beteiligten als historisch freundschaftlich angesehen werden.
Gedenkjahr 2018
Im Jahr 2018 trafen die Jahrestage mehrerer für Österreich bedeutender Ereignisse aufeinander, die auch entsprechend würdig begangen wurden: So das 100. Jubiläum der Ausrufung der Republik im Jahr 1918, aber auch der traurige Jahrestag des „Anschlusses“ Österreichs an Nazideutschland. Dies nahm die Bundesregierung zum Anlass für mehrere bedeutende Maßnahmen, an denen ich ebenfalls eng mitwirken durfte.
Staatsbürgerschaft für Nachkommen von Shoah-Überlebenden
Von besonders großer und auch symbolisch wichtiger Bedeutung war die Novellierung des österreichischen Staatsbürgergesetzes, die es nunmehr auch Nachkommen von Opfern des Nationalsozialismus ermöglichte, die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen, ohne ihre sonstige Staatsbürgerschaft zurücklegen zu müssen. Es entsprach dem Gedankengang, dass ja auch die Nachkommen der Verfolgten heute noch Österreicher wären, hätten ihre Vorfahren nicht vor den Nazis fliehen müssen.
In die Ausarbeitung des Gesetzes war ich unmittelbar eingebunden, im Rahmen derer wir auch auf kleine Details besonderen Wert legten: Die Verfahren wurden maximal unbürokratisch ausgelegt, es ist auch kein Antrag zu stellen, sondern symbolisch bedeutungsvoll lediglich eine Anzeige, dass man die Staatsbürgerschaft wieder annehmen möchte. Bis heute wurden so zirka 30.000 österreichische Staatsbürgerschaften zurückgegeben. Diese Geste hat Österreich ein beeindruckendes Ausmaß an Goodwill eingebracht. Ich hatte die Ehre, an zahlreichen dieser Verleihungen der österreichischen Staatsbürgerschaft teilnehmen zu dürfen – in Israel, den USA, Kanada und Großbritannien. Es war bewegend, zu beobachten, wie stark auch bei den Nachkommen der zweiten und dritten Generation noch immer die Verbundenheit zu Österreich spürbar war.
Namensmauer
Anfang des Jahres 2018 erreichte mich ein Anruf von Sebastian Kurz, in dem er mich fragte, ob ich schon je vom Projekt einer Namensmauer gehört habe, auf der alle Namen der rund 65 000 ermordeten österreichischen Jüdinnen und Juden verzeichnet werden sollten. Ich bejahte die Frage und berichtete, dass sich Kurt Tutter, der aus Österreich stammende jüdische Shoah-Überlebende, heute in Kanada lebend, seit vielen Jahren um eine Unterstützung für diese seine Projektidee bemühte. Bisher vergeblich hatte er immer wieder österreichische Politiker aller Parteien, die Stadt Wien, die Kultusgemeinde, den Nationalfonds und so weiter um Unterstützung gebeten.
Sebastian Kurz teilte mir daraufhin mit, dass er die Namensmauer verwirklichen wolle, und bat mich, ihn dabei zu unterstützen, allfälligen Widerstand dagegen abzuwehren. Es bedurfte noch vieler Überzeugungsarbeit und Allokation finanzieller Mittel, damit dieses schöne Projekt schließlich am 9. November 2021 am Wiener Ostarrichipark eingeweiht werden konnte.
Jüdisches Leben und Kampf gegen Antisemitismus
Die Koordinierung der Förderung jüdischen Lebens in Österreich und den Kampf gegen Antisemitismus hat mit dieser Legislaturperiode die Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt, Karoline Edtstadler übernommen. Sie etablierte eine Stabstelle „Österreichisch-Jüdisches Kulturerbe“ im Bundeskanzleramt, erarbeitete als eines der ersten Länder in Europa eine nationale Strategie gegen Antisemitismus, und wir beschlossen im Parlament eine zusätzliche Förderung der Kultusgemeinde in der Höhe von vier Millionen Euro pro Jahr. Diese wurde 2023 sogar noch auf sieben Millionen Euro pro Jahr erhöht.
Als besonders engagierter Kämpfer gegen Antisemitismus hat sich Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka profiliert. Mit beeindruckendem Einsatz hat er im Parlament zahlreiche Veranstaltungen, Ausstellungen und Initiativen ins Leben gerufen, die sicherlich über seine, leider mit der Nationalratswahl 2024 endende, Tätigkeit als Nationalratspräsident fortdauernden Bestand haben werden.
Transatlantic Friends of Israel
Im Herbst 2021 gründete ich die Transatlantic Friends of Israel – Austrian Chapter (TFI) im österreichischen Parlament. Das ist eine parteiübergreifende Gruppe, welche die Zusammenarbeit zwischen den USA und Kanada, Österreich und Israel auf parlamentarischer Ebene fördern soll. Im Rahmen der TFI-Gruppe haben wir gemeinsame Reisen nach Israel und in die USA organisiert und zahlreiche internationale Besucher zu Gesprächen empfangen.
Insgesamt hat sich aus meiner Wahrnehmung die Stimmung in Österreich gegenüber Israel in den letzten Jahren sehr zum Positiven gewandelt. In der ÖVP war in den letzten Jahren jeder Minister zu einem Besuch in Israel, und auch in den vielen Teilorganisationen der ÖVP ist das Interesse an Israel deutlich gestiegen. Bei den meisten dieser offiziellen Reisen nach Israel war ich eingeladen mitzukommen, sodass ich allein im Jahr 2022 siebenmal in Israel war.
Simon-Wiesenthal-Preis
Auf Initiative von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka wurde im Jahr 2020 im Nationalfonds des Parlaments der Simon-Wiesenthal-Preis eingerichtet. Der Preis wird an Menschen vergeben, die sich für besonderes zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und/oder Aufklärung über den Holocaust einsetzen. Der Simon-Wiesenthal-Preis ist jährlich mit 30 000 Euro dotiert und wurde bereits mehrfach vergeben. Durch meine besondere Beziehung und die meiner Familie zu Simon Wiesenthal war mir die Unterstützung der Einrichtung dieses Preises ein besonderes Anliegen.
Nationalfonds – Weiterentwicklung
Der „Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus“ wurde 1995 gegründet, „um die besondere Verantwortung der Republik Österreich gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus zum Ausdruck zu bringen“. Höchste Priorität hatte dabei die direkte Unterstützung der Opfer. Über die fast 30 vergangenen Jahre hinweg hatten sich die Aufgaben des Nationalfonds schrittweise verändert, zumal auch – leider – die Zahl der Opfer, die es zu betreuen gab, immer kleiner wurde.
So wurde im Sommer 2022 eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die es sich zur Aufgabe machte, die Aufgaben des Nationalfonds für die Zukunft zu definieren. Gemeinsam mit Eva Blimlinger von den Grünen arbeiteten wir aus den unterschiedlichen Ideen folgende Schwerpunkte heraus: die Einrichtung eines Schüleraustauschprogramms zwischen israelischen und österreichischen Jugendlichen; die zusätzliche Förderung von Gedenkdienern, die in Einrichtungen zur Betreuung von Shoah-Überlebenden und Shoah-Gedenkstätten ihren Dienst verrichten; die Einrichtung eines wissenschaftlichen Beirates zur Prüfung der zahlreichen Projekte, die zur Förderung durch den Nationalfonds eingereicht werden, und eine zeitgemäße Doppelführung in der Leitung des Nationalfonds.
Mein Podcast Engelberg – Politics & Psychoanalyse
Auf Anregung von Sebastian Kurz begann ich im April 2021 mit der Erstellung eines wöchentlichen Videopodcasts. Er soll einerseits ein Rückblick auf die vergangene Woche bieten, und ich möchte auch immer bestimmte Themen aus einer psychoanalytischen Warte betrachten. Der Podcast ist auf sozialen Medien präsent und direkt abrufbar auf YouTube (@Politics_Psychoanalyse). Ich freue mich sehr, wenn Sie mir folgen!