Schwierige Versöhnung

© WIEDNER GYMNASIUM

Stanislaw Zalewski überlebte den NS-Terror im oberösterreichischen KZ Gusen. Der heute 94-jährige Pole war im September in Wien zu Gast und begeisterte Schülerinnen und Schüler eines Wiener Gymnasiums.

„Ich glaube weiter an das Gute im Menschen, auch wenn ich in meinem Leben oft die schlimmsten Erniedrigungen erlebt habe“, sagt Stanislaw Zalewski. Der heute 94-Jährige verbrachte 545 Tage in Konzentrationslagern des NS-Regimes. Als 14-jähriger Schüler hatte er im besetzten Warschau patriotische Durchhalteparolen auf Hauswände gemalt, als ihn deutsche Gendarmen verhafteten und ins Gestapogefängnis einlieferten. Kurz darauf wurde er mit anderen Mitgliedern aus dem katholisch geprägten Widerstand nach Auschwitz transportiert. Dort wurde er mehrfach Augenzeuge von NS-Verbrechen. „Eines Tages habe ich beobachtet, wie gut gekleidete Menschen aus einem Zug ausstiegen. Es waren Männer, Frauen und Kinder, die sich ängstlich umblickten. Es waren Juden aus einem westeuropäischen Land, die vom Bahnsteig direkt in die Gaskammern geführt wurden“, erzählte Zalewski im September den versammelten Schülerinnen und Schülern des Sir-Karl-Popper-Gymnasiums in Wien.

Er ist Vorsitzender der polnischen Vereinigung der ehemaligen Häftlinge der politischen Gefängnisse und Konzentrationslager Hitlers – und er tritt gerne vor Jugendlichen auf. „Eine wichtige Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg bleibt, dass sich kein Volk über andere erheben soll und dass es keine Herrenmenschen geben darf.“

Als junger, kräftiger Bursch wurde Zalewski als Zwangsarbeiter für die deutsche Rüstungsindustrie ausgewählt und im Viehwaggon ins KZ Gusen nach Oberösterreich transportiert. Dort musste er in Stollenanlagen an der Produktion von Flugzeugteilen für Messerschmitt-Kampfbomber arbeiten. Bis zu zwölf Stunden Schwerarbeit pro Tag in schlecht belüfteten Stollen und die mangelhafte Verpflegung führten dazu, dass beim Abendappell immer wieder Gefangene fehlten – viele von ihnen landeten in der Krankenabteilung oder wurden von SS-Aufsehern oder Blockwarten zu Tode geprügelt.

Als er die Schmerzen von offenen Wunden an den Beinen nicht mehr ertrug, ging auch er in jene Baracke für Kranke, von der es hieß, dass sie für viele die letzte Station bedeute.

Der dortige Aufseher war Pole und stammte aus demselben Bezirk Warschaus wie Zalewski. So wurde er besser behandelt, bekam ein Bett in der Nähe des Ofens und auch größere Essensportionen. Aber in der Nacht musste er mitansehen, wie der Aufseher andere Patienten grundlos zu Tode prügelte. „Ich stellte mich schlafend, bekam aber alles mit. Daher meldete ich mich, sobald meine Wunden etwas verheilt waren, wieder gesund und in meine Baracke zurück.“

Gewissenskonflikt

Nach Kriegsende spielte Zalewski in Warschau bei einer Handballmannschaft, als er eines Tages während eines Turniers plötzlich den Aufseher wiedererkannte. Geschockt überlegte er, was nun zu tun sei. „Eigentlich hat er ja mein Leben gerettet, aber musste ich diesem Peiniger, der viele meiner Landsleute grundlos umbrachte, deshalb dankbar sein?“ Der Gewissenskonflikt schien unüberbrückbar. Als er sich für eine Anzeige entschied, war der Mann verschwunden. Niemand kannte seinen Namen.

„Jeder Krieg lässt die Grenze zwischen Gut und Böse verschwimmen“, mahnt der greise Gast aus Polen. „Ein Menschenleben war damals nicht mehr wert als eine kleine Scheibe Brot.“ Seine Appelle an österreichische Politiker, die letzten Überreste des KZ Gusen I und II anzukaufen und so für die Nachwelt zu bewahren, blieben bislang ohne Erfolg. Nach 1945 wurden auf dem KZ-Gelände und über den weitverzweigten Stollen private Wohnhäuser errichtet. Als von diesen einige Risse bekamen, wurden viele Stollen mit Beton aufgefüllt.

Zalewski kehrte 1945 zu Fuß nach Polen zurück. Er ging auf die Technische Universität und studierte Maschinenbau. Er gründete eine Familie und freut sich heute als Witwer über zahlreiche Enkelkinder. Ob Versöhnung grundsätzlich möglich sei? Ja, unter einer Bedingung, sagt Zalewski. Vergebung und Sühne müssten auf historischer Wahrheit basieren. Und daher bereitet es ihm große Sorgen, wenn rechtsradikale Gruppierungen NS-Verbrechen in Zweifel ziehen oder beschönigen wollen. 

Zu neuen Forderungen der polnischen Regierung nach weiteren Entschädigungszahlungen meint er: „Es gibt gar nicht so viel Geld, das die Leiden der Häftlinge wettmachen kann.“ Und die Zahl der noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter wird ohnehin immer kleiner. 1946 gab es in Polen noch 200.000 Überlebende der NS-Todeslager, heute sind es nicht einmal mehr 2000. 

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