Unter Ariel Muzicants Führung baut die Israelitische Kultusgemeinde ein neues jüdisches soziales Zentrum in Wien. Kritik, dass damit ein Ghetto entstehe, kann oder will er nicht nachvollziehen. Das Echo sei vorwiegend positiv, sagt er NU. Und sammelt daher Spenden für die Sicherheitskosten.
Von Rainer Nowak
Es ist kein ganz gewöhnlicher Spendenaufruf. Es geht nicht um sozial Bedürftige, auch nicht um klassisches Charity. Nein, Ariel Muzicant, Chef der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, braucht für etwas anderes Geld: für das neue soziale Zentrum der jüdischen Gemeinde Wiens. Drei Millionen Euro muss er auftreiben, die ihm für den Betrieb des neuen Campus und der angeschlossenen Einrichtungen fehlen. Dass es an deren Sinnhaftigkeit leise Zweifel gibt, will der Chef der Gemeinde nicht verstehen. Es gibt sie aber: Warum soll eine so kleine Gemeinde, deren religiöses Herz in der Innenstadt schlägt und deren historische Wurzeln in der Leopoldstadt rund um den Karmelitermarkt liegen, ausgerechnet hinter dem Prater am Handelskai ein neues Zentrum bekommen? Diese neuen Bauten seien ein überflüssiges und übertrieben dimensioniertes Denkmal der IKG-Führung, monieren manche gar. Weiterer Vorwurf: Es koste vor allem viel zu viel Geld, wie Muzicants Spendenaufruf beweise.
Der fühlt sich hingegen von zahlreichen Reaktionen bestätigt: „Ich lade jeden ein, an einem Tag der offenen Tür teilzunehmen, wie er zuletzt am 7. Juni veranstaltet wurde, da waren mehr als 150 begeisterte Besucher dort. Alte Freunde habe ich nach Jahrzehnten wieder getroffen, die sich für einen Platz für Eltern oder Kinder interessieren.“ „Dort“, das ist das Areal Simon-Wiesenthal-Gasse 3/Ecke Wehlistraße 326, wo die Gemeinde im Rahmen der Restitution ein Grundstück für die geraubte Hakoah-Liegenschaft zurückbekommen hatte. Zwei weitere wurden später dazu gekauft. Dann wurde als Erstes das Sportund Freizeit-Zentrum Hakoah errichtet, eine Schule – mit sehr gutem Ruf – gibt es ebenfalls bereits.
Nun sollen noch Pflegeund Wohnheim sowie dort untergebrachte Mietwohnungen entstehen. Die Kultusgemeinde, die vor 1938 das Rothschild-Spital hatte, und seit den 60er Jahren im 19. Bezirk ein Pflegeheim betreibt, will dort ihre sozialen Aufgaben konzentrieren. Genau das sei bereits heute ein Erfolg, sagt Muzicant im NU-Gespräch. Allein für das bestehende Pflegeheim in der Bauernfeldgasse im 19. Bezirk mit seinen 145 Betten gebe es eine Warteliste von 25 Personen, die dringend einen Platz benötigen. „Man hat keine Vorstellungen, wie viele Leute bei mir intervenieren, um ein Bett zu bekommen. Der Bedarf nimmt dramatisch zu! Zu Pessach mussten wir Betten in die Büros schieben.“ Das neue Pflegeheim wird 204 Personen Platz bieten: „Das füllen wir mit Leichtigkeit. Gerade in den nächsten Monaten kommen immer mehr alleinstehende Personen, darunter auch Shoa-Überlebende.“
Die sollen dann alle in das neue Zentrum in der Krieau übersiedeln: „Das ist – jetzt verwende ich ein sonderbares Wort – auch eine Resozialisierung. Denn es gibt so viele einsame oder an den Rand gedrängte Pensionisten, die dann wieder eine Gemeinschaft erleben dürfen: Dort ist eine Schule, ein Kindergarten und Wohnungen, damit sind sie wieder in einem sozialen Gefüge. Wenn jemand sein Kind in die Schule bringt, wird er vielleicht auch leichter den Großvater besuchen.“ Und weiter: „Die jüdischen Wiener Großfamilien gibt es nicht mehr, wir können sie auch nicht wieder schaffen, aber wir können alte Menschen, die in diesen Familien einst nicht vernachlässigt wurden, ins Zentrum holen.“ Das sei international doch gängige Praxis, sagt Muzicant in fast beschwörendem Tonfall.
In dem Punkt hat der IKG-Präsident tatsächlich recht: Viele Kommunen, so auch die Stadt Wien, planen einerseits Campus-Modelle, in denen Schulen, Unis und Kindergärten in unmittelbarer Nachbarschaft untergebracht werden, und andererseits Sozialzentren, in denen Altersheime und andere – jüngere – soziale Einrichtungen Tür an Tür geplant sind. Zwecks Durchmischung.
Allerdings sind diese Mini- Viertel nicht für eine kleine Gemeinde geplant, die auf eine ganze Stadt verteilt ist. Genau das sei laut Muzicant der springende Punkt: „Wir werden doch nicht Einrichtungen überall in Wien verteilen, wo unsere kleine Gemeinde schon auf 23 Bezirk verteilt ist, sondern müssen uns konzentrieren.“ Das Heim und die anderen Einrichtungen stehen übrigens auch für Nichtjuden offen. „Wir können die medizinische Betreuung des Viertels mit übernehmen“, meinte Muzicant 2007 in einem „Presse“-Interview gar. Auch heute spricht er von dem Projekt beinahe schwärmerisch: „Da wird es auch einen eigenen Supermarkt geben, daneben ziehe der ÖGB mit seiner neuen Zentrale ein, auch der bringe Fluktuation, und es kommen eine Trafik und ein Bäcker mit!“ Dennoch: Entstehe da nicht ein modernes jüdisches Ghetto fern des Zentrums? Muzicant: „Ghetto muss man doch nicht immer negativ konnotiert verwenden!“ Es sei ein lebendiges Zentrum, in dem mehrere Generationen zusammen leben, spielen, arbeiten und lernen. „Schauen Sie sich die Schule an: Am Anfang waren viele dagegen, heute bräuchten wir einen Zubau. Das ist eine Insel im Grünen – zwischen Donau, Prater und der Innenstadt!“
Und der Spendenaufruf? Ist das Geld für den Bau ausgegangen? „Natürlich nicht“, sagt Muzicant „das ist geplant und finanziert.“ Es fehlen drei Millionen Euro für Sicherheitsmaßnahmen – technischer und baulicher Natur. 2007 hatte das Innenministerium 1.250.000 Euro als Zuschuss des Innenressorts für den Bau der Sicherheitseinrichtungen genehmigt. „Das war für Sportplatz und Schule. Doch für das Heim brauchen wir weitere drei Millionen. Die Innenministerin sagt, sie habe das Budget nicht“, meint Muzicant. „Wir werden weiter mit dem Finanzminister verhandeln und auf Spenden hoffen, weil Schulden können wir dafür keine machen“, sagt der IKG-Chef bestimmt.
Für das Zentrum gab es bereits einmal eine Spendensammlung: für den Bau der Hakoah-Schwimmhalle. Sogar Markus Rogan rührte die Werbetrommel. Und scheiterte.