Im Oktober gehen wir zu den Wahlurnen, und es lässt sich wehmütig sagen: Ach, wie war es ehedem zu wählen einfach und bequem!
Früher, da gab es die zwei großen Parteien, und je nach Herkunft fanden es die einen aus der jüdischen Gemeinschaft unmöglich, die Roten zu wählen, die anderen konnten mit den Schwarzen nicht. Argumentiert wurde dann immer scheinrational mit der Vergangenheit der SPÖ, die nach dem Krieg blitzschnell die meisten Nazis in ihre Partei eingemeindet und sich später auch als erste Partei mit den Blauen in ein Regierungsbett gelegt hatte, oder auf der anderen Seite mit Austrofaschismus und Waldheim, um nur einige Beispiele zu nennen. Für die großen Parteien sprach andererseits, dass die SPÖ mit der „Vranitzky-Doktrin“ eine Koalition mit den Blauen ausgeschlossen hatte, und dass die ÖVP sich in der Zeit der gemeinsamen Regierung mit der FPÖ – wohl um international Gutpunkte zu sammeln – für die Restitution starkgemacht hatte.
Die FPÖ wiederum war nur für genau zwei Mitglieder der Kultusgemeinde eine Option, die bei ihr als „Haus- und Hofjuden“ einen Job fanden. Dann gab es da noch die netten Grünen und das Liberale Forum, später die Neos – auch wählbar, aber immer mit der Gefahr, die Stimme zu verschenken.
Jetzt aber ist alles neu und verworren. Juden haben heute zwei Bedrohungen zu gewärtigen. Einmal gibt es den alten Antisemitismus aus den Tiefen des Alpenlandes. Er kommt meist von dort, wo es nie Juden gegeben hat und man folgerichtig keine kennt. Diese Form der Judenfeindlichkeit ist ein Platzhalter für die Angst vor dem Fremden im Allgemeinen. Irgendwer muss schuld sein am angeblich so großen Übel in dieser Leute kleinen Welt. Irgendwer da draußen konspiriert gegen die braven Menschen, Verschwörung ist immer und überall – und sie wird dann Juden genannt. Aber sie meint auch die Roma, die Farbigen, die Rumänen und Polen und seit einiger Zeit vor allem die Muslime. Dazu kommt jetzt eine neue Form des Antisemitismus aus Ländern, wo er den Kindern im Schulunterricht und in den Familien wie selbstverständlich eingebläut wird, wo er als Common Sense gilt. Jedes Jahr kann man auch in Wien am sogenannten Al-Quds-Tag diesen abgrundtiefen Hass auf Juden beobachten. Die Kundgebungen am letzten Freitag des Fastenmonats Ramadan haben zwar ihren Ausgang im Iran, werden aber hierzulande vor allem von der türkischen Community getragen. Aber auch unter vielen aus den arabischen Kriegsgebieten zu uns Geflüchteten ist Antisemitismus gang und gäbe.
Was heißt das für uns Juden, wenn wir im Oktober zur Wahl gehen? Die FPÖ kommt für all jene nicht in Frage, die wegen der Geschichte ihrer Familie in der Schoa vor allem den innerösterreichischen Antisemitismus fürchten. Das sitzt von Kindheit weg tief in uns und bestimmt vieles von unserem Handeln. Wir sind aus dieser Haltung heraus auch zumeist auf der Seite aller jener, die ebenfalls mit der hierzulande weit verbreiteten Fremdenfeindlichkeit und dem Rassismus zu kämpfen haben. Und wir werden in unserer Ablehnung der Blauen stets aufs Neue bestätigt, zuletzt durch die Äußerungen des Abgeordneten Johannes Hübner, der bei einer Rede antijüdische Codes verwendet hat.
Aber es gibt auch Juden, für die das Narrativ nicht Schoa heißt. Sie kommen aus Ländern, in denen sie und ihre Familien nicht mit der nationalsozialistischen Form des Antisemitismus konfrontiert waren, sondern mit jeweils dort heimischen, grausamen Ausformungen. Für sie sitzt der Feind jetzt, seit sie in Österreich leben, in der türkischen und arabischen Community, und daher meinen sie, starke Männer unterstützen zu müssen, die sich gegen diese Gruppen richten. Was für die einen wegen des immer wieder aufflackernden Antisemitismus unwählbar ist, sehen also andere als Schutz gegen ihre Feinde. Es werden daher manche Juden die FPÖ wählen, auch wenn sie damit Gefahr laufen, vom antijüdischen Regen in eine noch tiefere Traufe zu geraten.
Aber auch die beiden sogenannten großen Parteien haben sich zuletzt immer weiter nach rechts bewegt. Es hat den Anschein, dass jedenfalls eine von ihnen mit der FPÖ eine Koalition eingehen wird, wobei das nach heutigem Stand der Umfragen wohl die ÖVP sein wird. Die SPÖ hätte dann einen „Kriterienkatalog“ für potenzielle Koalitionspartner geschrieben, der nicht zur Anwendung käme, aber viele frühere Wähler abgeschreckt hätte, weil sie darin einen Trick zur Beendigung der „Vranitzky- Doktrin“ zu erkennen glaubten. Die ÖVP hat sich zuletzt ein bubenhaftes Gesicht gegeben, hinter dem sich Scharfmacher vom Schlage des Innenministers Sobotka verstecken können, die das Xenophobe bestens bedienen.
Die Grünen wiederum stecken in einer veritablen Krise. Peter Pilz will nicht akzeptieren, dass Regeln, die er gut kannte und immer mitgetragen hat, sich gegen ihn wendeten. Eine derartige Selbstbezogenheit um jeden Preis, hier um den der Spaltung seiner Partei, lässt von ihm nichts Gutes erhoffen. Wer seine Freunde des eigenen Egos wegen derart im Stich lässt, wird auch anderen kein Freund sein können. Bleiben die von ihm Verlassenen, die nun Gefahr laufen, in die Bedeutungslosigkeit abzugleiten. Bei ihnen kommt dazu, dass sie jene demokratiefeindlichen Tendenzen, die sich durch Migration entwickelt haben, vollkommen ignorieren. Keine gute Wahl also für uns Juden.
Tja, und über die Neos lässt sich wenig sagen, Stronachs gibt es nicht mehr und sonst ist auch tote Hose.
Fazit ist wohl, dass es für Juden mehr Qual als Wahl gibt. Und da geht es uns um nichts besser als den meisten unserer Mitbürger. Sollten Sie aber ganz anderer Meinung als ich sein, so schreiben Sie mir doch bitte: office@nunu.at
Ein süßes und glückliches Jahr 5778 wünscht Ihnen Ihr
Peter Menasse,
Chefredakteur