Schlagobersübertünchter Geschichtsmüll

Georg Chaimowicz über die Politik in Österreich, sein Leben, seine Erfahrungen in Wien und seine Rolle als jüdischer Künstler.
Von Margaretha Kopeinig

Georg Chaimowicz ist ein Künstler, in dessen Schaffen die Auseinandersetzung mit der Schoah, dem Neonazismus und Antisemitismus einen hohen Stellenwert einnimmt. Konsequent setzt er die Form als politisches Argument ein. Permanent bezieht er Stellung, und hält mit seinem unüberschaubare n Oeuvre den Menschen einen Spiegel vor. Obsessiv verfolgt er das Zeitgeschehen, um dieses und die damit verbundenen Enttäuschungen in satirischen Tusche-Zeichnungen zum Ausdruck zu bringen, oder – was häufig geschieht – auf einem weißen Blatt Papier in Nichts aufzulösen. Als Absage an traditionelle Bildhaftigkeit auf der Suche nach dem Wesentlichen.

Sich Georg Chaimowicz und seiner Kunst zu nähern, heißt, sich mit seiner Biographie zu beschäftigen.

1929 in Wien als Sohn einer Fabrikantenfamilie geboren, wurde seine Kindheit durch die Nazis jäh beendet. Georg entging nicht, wie sein Vater nach dem „Anschluss“ mehrmals verhaftet und wieder freigelassen wurde. Mit falschen Todesmeldungen ängstigte man die Familie, ehe die Flucht über Brünn, Prag, Amsterdam nach Bogotá gelang. Trotz schwerer Krankheit begann der Zehnjährige noch während der Reise nach Kolumbien Notizen und Skizzen anzulegen. Ruhelos zeichnet er nach seiner Vertreibung, was er sah und erfuhr. Georg wurde in eine Militärschule gesteckt; ein Jahr später besucht er die Escuela de Bellas Artes de la Universidad Nacionál. Mehrere Schulwechsel folgten, bei den katholischen Maristen, einer Ordensgemeinschaft, ist er antijüdischen Vorurteilen ausgesetzt. Im letzten Jahr seines Aufenthaltes in Kolumbien studiert er wieder an der Escuela de Bellas Artes. 1949 kehrt Georg Chaimowicz mit seiner Familie nach Wien zurück und macht die Aufnahmsprüfung an der Akademie der Bildenden Künste. Er studiert bei Sergius Pauser, Herbert Boeckl und Martin Polasek. 1995 gibt er seine Diplomarbeit „Steinernes Selbstbildnis – Psalm 129″ 1 ab, ein Selbstbildnis in düsteren Farben, auf der Stirn einen Davidstern tragend. Danach folgen längere Aufenthalte in Paris und in Vence in Südfrankreich, wo er heute noch zeitweise lebt.

Durch unermüdliches Schaffen und zahlreiche Ausstellungen macht sich Georg Chaimowicz einen Namen als wichtiger Vertreter jüdischer Kunst im deutschen Sprachraum. Seine Werke finden sich in vielen österreichischen und ausländischen Sammlungen zeitgenössischer Kunst und haben einen festen Platz in der internationalen Kunstszene. Aus Anlass seines 70. Geburtstages wurde er mit einer Retrospektive im Jüdischen Museum geehrt. Ruhe gibt es im Leben von Georg Chaimowicz nicht. Nach überstandener Krankheit im vergangenen Jahr setzt er seine Schaffensperiode fort. Sich abzufinden ist seine Sache nicht.

In einer neuen Wanderausstellung „Aufstand der Anständigen – Quo vadis Austria?“, die seit 2001 läuft und in diesem Jahr in mehrere n deutschen Städten zu sehen ist, 2003 nach Frankreich geht und abschließend in Wien gezeigt wird, stellt Chaimowicz graphisch dar, wer die Anständigen und wer die Anderen sind: „ Kleinbürgerliche Dummköpfe, die auf alle leeren tagespolitischen, rassistischen, ausländerfeindlichen und wirtschaftlich neoliberalen Parolen hereinfallen“, gibt der Ausstellungskatalog Antwort. Mit spitzer Feder skizziert Georg Chaimowicz seine Feinde als skelettierte Stahlhelmträger und sieht Österreich als „juristischen Flugzeugträger“ des Rechtsextremismus in Europa.

„Was veranlasst den Künstler, derartig zu polarisieren?“, fragt die Wiener Kunsthistorikerin und Chefkuratorin im Jüdischen Museum Felicitas Heimann-Jelinek. „Was treibt ihn überspitzte Formulierungen für eine Situation zu finden, die vorgeblich doch auf einem demokratischen Konsens basiert?“ Ihre Antwort: „Vielleicht Erfahrung, bittere Erfahrung, Weisheit, politische Intelligenz, die einfach weiß, dass auch Noch-Ungesagtes gesagt werden wird, Noch-Nicht-Getanes getan werden wird, die einfach weiß, dass der Schritt ‚vom Gedanken zu Tat‘ letztlich nur ein erschreckend kleiner ist.“

Herr Chaimowicz, was verbinden Sie mit Ihrer Kunst?

Alles. Eine Definition überlasse ich den anderen.

Stört Sie das Etikett politischer Künstler?

Das ist das Leben. Man kann sich von den Geschehnissen nicht frei machen. Ich bin kein politischer Bürger. Ich bin umgeben von politischen Würgern. Das ist das Schreckliche.

Das Leben in Wien, wie ist das für Sie?

Wien ist eine Art Alpenzoo, in dem die Tiere wild werden. Wenn sie nicht wild sind, raunzen sie.

Was fällt Ihnen zur politischen Situation in Österreich ein?

Österreich ist eine Mischung von Geschichtsmüll und Schlagobers, ein schlagobersübertünchter Geschichtsmüll. Wenn man sich die Groteske anschaut, ist das bedrückend. Es ist schwer, die Dummheit der Bevölkerung nachzuvollziehen. Die Leute sind betroffen, auch jene, die die Regierung nicht gewählt haben. Aber was machen sie dagegen?

Und, was machen Sie dagegen?

Ich setze mein Wesen ein, das heißt, meine Kunst. Wenn es sein muss, agiere ich physisch. Demokratie wird sehr oft missverstanden.

Inwiefern?

Es wird auf eine Mehrheit gepocht. Aber was ist diese Mehrheit? So gesehen war auch Hitler ein Demokrat. Dann ist Haider ein Demokrat. Dass niemand aufsteht gegen so jemanden wie Haider! Im Kasperltheater applaudiert man, oder man schreit pfui. Bei uns gibt es den Stammtisch. Haider redet dem Stammtisch nach dem Mund. Dieses Österreichische liegt tief verwurzelt im Denunziantentum, im Neid, im Abzockertum – und das wurde mit der Entstehung des barocken Menschen geschaffen. Das konterreformatorische Barock macht den Kern nicht sichtbar.

Welchen Stellenwert hat das Judentum für Sie, und was leiten Sie daraus ab?

Als ich aus dem Exil zurückkam, wollte ich als Externer auf die Akademie. Dann hieß es, bei uns kann man nicht von hinten rein. Ich wusste gar nicht, was das bedeutet. Ich hatte ja schon zwei Jahre Kunst-Studium in Kolumbien hinter mir.

Sie machten doch die Aufnahmsprüfung?

Ja. Ich erinnere mich, wie das Kollegium aufgestanden war und sagte, solche Abgabearbeiten noch nie gesehen zu haben. Das half mir aber nicht. Ein Professor meinte zu einem Kollegen: „Polasek, unterrichten Sie ihn. Aus dem Judenpinkel wird sowieso nix.“ Da habe ich kapiert, was los ist, und es kochte in mir. Alle anderen Schüler wurden akzeptiert für Ausstellungen, für Ehrungen. Nur ich nicht.

Wie war es dann für Sie während des Studiums?

Wir mussten Naturstudien machen. Daraufhin nannte man mich den Meister der Naturstudien. Gleichzeitig fügten sie hinzu, aber gestalten wird er nicht können. Danach hieß es, malen wird er nicht können. Das ging so weit er. Eines Tages zog ich mich in ein Atelier zurück, das ich mir mietete. Und ich arbeitete pausenlos, Tag und Nacht.

Sie blieben bis zum Diplom?

Als die Arbeiten für das Diplom eingereicht wurden, war für meine kein Platz. Ich musste meine auf den Boden stellen, die anderen hingen an der Wand. Als Diplomarbeit reichte ich unter anderem das Ölbild „Steinernes Selbstbildnis“ ein mit dem dazugehörenden Psalm 129*. Dann kam das große Fragen: Warum das? Meine Antwort war ganz einfach: Ich habe ein großes Hinterland. Es wurde mir der Meisterschulpreis zuerkannt, nicht der Staatspreis – und da waren plötzlich ein paar Schüler böse auf mich, weil der Meisterschulpreis schon in fixen Händen war. Der musste dann einer jungen Dame weggenommen werden. Das wusste ich aber nicht. Kurzum, so war das Diplom da. Doch bis zum heutigen Tag ist die Tendenz dieselbe. Man wird diskriminiert. Nur das Gesicht ist ein anderes.

Was haben Sie sich nach Ihrer Rückkehr von Kolumbien nach Österreich erwartet?

Ich war versöhnlich, das war meine Haltung. Ich dachte mir, dieses Volk ist gefallen, sei gnädig, strecke die Hand aus. Sie haben sie genommen und haben mich beschimpft. Ich war so einer von den freien Österreichern. Eine Gruppierung, die von Illusionen lebte. Das Land verdankt Leuten, wie ich es bin, dass es Österreich heißt, und nicht mehr Ostmark. Ich merkte plötzlich, dass in mir etwas steckt, was schon in der Kindheit da war, aber nicht so reif.

Das ist?

Ich arbeitete los, unermüdlich. Ich war so besessen, alles zu dokumentieren. Ich sammelte Zeitungsberichte, Beschimpfungen, ich sammelte Briefe, einfach alles, was diese Bemerkungswelt in sich hat. Und ich zeichnete es, malte es und formte es zu Plastiken. Was aktuell ist, verarbeite ich derart, dass ich sage, es ist unglaublich, dass es nach dem Holocaust möglich ist, dass sich Menschen finden, die all das, was sich heute tut, mit Achselzucken hinnehmen. Die Gleichgültigkeit – egal wo – ist schlimmer als die Neo-Nazis selbst. Jetzt werden die Uniformen wieder aus dem Kasten geholt.

Ihre Darstellungsform ändert sich immer wieder. Vom Bildhaften über aggressiv anmutende Graphiken bis hin zum fast Bildlosen, zum weißen Blatt. Wie ist das zu verstehen?

Der Sinn der Kunst ist, die Emotion zu purifizieren. Das heißt, zum Ursprung zu gelangen. Der Ursprung der Kunst liegt im Ursprung des Wesens, des Seins. Der Ursprung, das Bildlose, ist nicht zu erreichen. Es gibt nur Wege zum Bildlosen. Meine Wege sind spitze Zeichnungen, die zum Bildlosen führen. Es gilt den barocken Zustand zu überwinden.

Das ist Ihre Botschaft?

Sicher. Den Weg, den Du benennen kannst, ist nicht der Weg. Ich bin kein Erfolgskünstler, ich wäre es gerne gewesen. Das war einmal. Mein Weg ist ein andere r. Im Nicht-Erfolg, im Zustand liegt es. Ich glaube überhaupt, dass man als Jude den Erfolg gar nicht braucht.

 

*Der Psalm 129 lautet: „Wanderlied! Sie haben mich sehr gedrängt von Jugend an – spreche Israel – sie haben mich gar sehr bedrängt von Jugend an, und mir doch nicht beikommen können. Auf meinem Rücken haben sie gepflügt die Pflüger, und lang gezogen ihre Furchen; aber Gott, der ist gerecht, der hieb den Frevlern das Seil entzwei. So stehen beschämt und weichen zurück alle Feinde Zions. Lass sie wie das Gras auf den Dächern, das, bevor man es pflückt, schon verdorret; das füllet dem Schnitter nicht die Hand und dem Garbenbinder nicht den Arm; da spricht Keiner der vorüberzieht: Gottes Segen über euch! wir segnen euch in Gottes Namen!“

Die mobile Version verlassen