Die Proteste könnten auch Israels Wirtschaftswachstum schwächen. Die drei großen Ratingagenturen haben bereits Bedenken hinsichtlich des politischen Kurses der Regierung geäußert.
Von Nini Schand
„Das Hauptproblem für externe Investoren, die sich mit Israel befassen, ist derzeit die Ungewissheit“, sagt Hamish Kinnear, leitender Analyst für den Nahen Osten und Nordafrika beim britischen Risiko- und Strategieberatungsunternehmen Verisk Maplecroft. Die Stärke der israelischen Wirtschaft liegt im Hightech-Sektor. Doch Investoren und Analysten zeigten sich laut Nachrichtenagentur Reuters irritiert über die anhaltenden Proteste der Zivilbevölkerung anlässlich der von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu durchgesetzten Justizreform. Eine der Folgen könnte eine herabgestufte Kreditwürdigkeit sein. Auch ausländische Investitionen könnten zurückgehen, so Reuters.
Schon Ende Juli hat der Schekel innerhalb einer Woche mehr als zwei Prozent zum US-Dollar verloren, insgesamt summieren sich die Einbußen seit Bekanntwerden der Reformpläne auf über neun Prozent. Die Unsicherheit über die weitere Entwicklung lässt den Aktienmarkt in Israel schwächeln. Weil inländische Anleger den Markt meiden, blieb der Aktienindex für Israel seit Jahresanfang um rund 14 Prozent hinter den wichtigsten globalen Aktienindizes, wie dem MSCI All Country World, zurück. Allerdings blieben, anders als befürchtet, die ausländischen Investitionen in israelische Aktien aufgrund der überzeugenden Wirtschaftslage stark. Der Anteil weltweiter Fonds mit einem Engagement in Israel lag bei 35,5 Prozent – und damit auf dem höchsten Stand seit 2017. Die niedrige Inflation im Vergleich zu ähnlichen Ländern habe die Investitionen begünstigt, aber weitere Proteste könnten den Zufluss von Geldern beeinträchtigen, sagt Analyst Kinnear.
Die Proteste könnten auch Israels Wirtschaftswachstum schwächen. Würden die innenpolitischen Spannungen nicht gelöst, könne das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, anders als erwartet, heuer nur ein Prozent und kommendes Jahr 1,6 Prozent betragen. „Israel ist grundsätzlich immer noch ein sehr attraktives Investitionsobjekt“, sagt Roger Mark, Analyst für festverzinsliche Wertpapiere beim Fondsmanager Ninety One. Das Problem sei die Justizreform. Viele Investoren und Ratingagenturen hätten erwartet, dass die Regierung die Reform in größerem Umfang abschwäche. Nun könnten Anleger das Land meiden. Die größte Sorge ist, dass die Investitionen in Israels Technologiesektor gebremst werden könnten. Schließlich gilt dieser Sektor als Aushängeschild der Wirtschaft und erwirtschaftet fast ein Fünftel des BIP, mehr als die Hälfte der Exporte und ein Viertel der Einkommensteuereinnahmen des Landes.
Die Kapitalbeschaffung von Technologieunternehmen war im zweiten Quartal bereits um 65 Prozent eingebrochen. Auch die Kreditwürdigkeit des Landes steht auf dem Prüfstand. Alle drei großen Ratingagenturen – S&P Global, Moody’s und Fitch – haben Bedenken hinsichtlich des politischen Kurses der Regierung geäußert. „Es würde mich nicht überraschen, wenn die Ratings oder zumindest die Aussichten für die Ratings gesenkt würden“, sagt Natalia Gurushina, Chefvolkswirtin für Schwellenländer beim Fondsmanager VanEck. „Die neuen Gesetze könnten zu einer erheblichen institutionellen Verschlechterung führen und möglicherweise Kapitalzuflüsse in Bereiche wie den Technologiesektor beeinträchtigen.“