Wiens jüdische Fußballmannschaft trainiert ausschließlich Sonntags. Anstatt Bier trinken die Spieler Tee mit Zitrone.
Von Peter Menasse
Samstag nachmittag herrscht Hochbetrieb in den Kantinen der wenigen verbliebenen Wiener Fußballplätze. Da sitzen sie verschwitzt, mit hochroten Köpfen, und erklären einander, warum sie das Match verloren haben, wo sie doch – „der Ball hätte nur von der Stange ins Tor springen müssen“ – wieder einmal drückend überlegen waren. Oder sie sprechen von einem glorreichen Sieg und von ihrem je individuellen Anteil daran („also mein Pass zum Rudi war schon super. Der hat ja gar nicht anders können, als einnetzen“).
Samstag nachmittag sitzt die Wiener „Unterklasse“ zusammen. Mit diesem wenig charmanten Namen werden die Ligen bezeichnet, in denen sich die Amateure des Fußballs tummeln. Allesamt sind sie verh i n d e rte Stars, für die es nur wegen der Wi rrnisse des Schicksals nicht zu größerem Ruhm und in die Champions League gereicht hat. Samstag nachmittag sind die Kantinenwirte zufrieden, serv i e ren ein Bier ums andere und klappen die Ohren hinunter, ob der immer gleichen, so oft schon gehört e n Geschichten von ballesterischem Heldentum und Sieg.
Und dann kommt der Sonntag. Die Kantinen sind geschlossen, die Wirte daheim bei der Familie. Nur einer hat nicht gesperrt: In der R u s t e n s c h a c h e r-Allee im Wiener Prater sitzen elf verschwitzte Fußballer mit hochroten Köpfen in einem dunklen, gar nicht anheimelnden Raum und erklären einander, was Fußballer einander nach dem Match erklären und Kantinenwirte nicht mehr hören können. Auffällig an ihnen ist bloß, dass sie kein Bier vor sich stehen haben, sondern Tee mit Zitrone oder einen gespritzten Apfelsaft. Der Kantinenwirt weiß inzwischen schon, auch wenn es ihm immer noch seltsam vorkommt, dass die Juden nur sonntags spielen und keiner von denen, aus welchen Gründen auch immer, Alkohol trinkt.
Maccabi heißt sie, Wiens jüdische Fußballmannschaft, engagiert in der 2. Klasse – weit unten also in den Niederungen der Kickerhierarchie. Maccabi: Das ist eine Mischung der Generationen und gesellschaftlichen Schichten, wie sie sonst in der Liga nur bei Mannschaften vorkommt, die durch ein noch stärkeres Bindeglied als nur jenes der Liebe zum Fußball miteinander verbunden sind. Ist es bei Maccabi die jüdische Herkunft, so ist es beim F.C. Cairo ein ägyptischer Hintergrund, bei anderen Mannschaften die türkische, die kroatische oder serbische Geburt. So spielen dann nicht Leute aus einer Clique und im etwa gleichen Alter zusammen, sondern, wie bei Maccabi, der 17jährige Maturant Dani mit dem 45jährigen Jakob, den sie liebevoll „young man“ nennen, oder der stille Wissenschaftler Alexander mit dem lebenslustigen Sunnyboy Ilan.
Bei den Spielen gegen die anderen „Minderheiten-Mannschaften“ gibt es auch die wenigsten Probleme, erzählt Ronny, der Kapitän. Wer selber um seinen Platz in einer xenophoben Gesellschaft kämpft, fühlt sich offensichtlich solidarisch mit anderen „Außenseitern“.
Schwierigkeiten gäbe es eher mit den Wirtshausmannschaften, bunt zusammen gewürfelten Teams, bei denen manch einer den Rausch vom Samstagabend am Sonntag noch nicht ganz abgebaut hat. Es ist weniger der Antisemitismus, der dann durchkommt, sondern die ganz „normale“ Brutalität. Selten, aber doch, so Ronny, käme es schon vor, dass sie von Gegenspielern provoziert würden. Einmal habe ein Bursch, nachdem er ein Tor gegen Maccabi erzielt hatte, sein Leibchen hochgezogen. Darunter trug er ein T- Shirt mit einer Wahlempfehlung für die FPÖ. Und ein Schimpfwort in diese Richtung falle auch mitunter, wobei in den unteren Klassen – und vermutlich auch in den oberen Divisionen – verbale Aggressionen aller Kategorien locker sitzen. Wenn du schon nicht ins Tor triffst, so lautet oft die Devise, zeige dem Gegner zumindest, dass du der „Chef“ am Platz bist. Und da sind dann alle Mittel recht.
Nicht immer ist alles Antisemitismus, was scheinbar als solcher daher kommt, erzählt Ronny. Einmal habe ein Spieler der gegnerischen Mannschaft zu Tommy, einem der Ältesten bei Maccabi, gesagt, er schaue aus wie der Rabbi Jacob. Nach dem Match wollte Tommy es dann genau wissen, ging auf seinen Widersacher zu und fragte ihn streng: „Wie schau ich also aus?“ Der Andere war ganz verblüfft über diese scharfe Reaktion und sagte: „Wie der Rabbi Jacob, kennst du den Film nicht? Ich liebe diesen Typen, der ist echt stark“. Von Tommy erzählt man, dass er schon vor mehr als zehn Jahren bei der „alten“ Maccabi dabei gewesen sein soll, damals als Junger aber nie ein „Stammleiberl“ bekam, also nicht in der Aufstellung berücksichtigt wurde. Erst in der „neuen“ Maccabi, die sich nach längere r Unterbrechung vor vier Jahren wieder formiert hat, darf er jetzt, als weit über 40jähriger, Sonntag für Sonntag mitkicken. Was so ein Rabbi-Image alles ausmacht….
Von einem anderen Spieler, den alle schon bedauerten, weil er nie in das Team kam, berichtet Marcel Javor, einer der Mitbegründer der neuen Maccabi: „ Wir wollten unserem Ersatztormann auch einmal eine Chance geben. Im Tor war uns sein Einsatz jedoch zu riskant, daher wurde er in den letzten Minuten eines Meisterschaftsspiels im Sturm eingesetzt. Ich habe mit einem Freund herumgeblödelt und gesagt: ‚Wenn der ein Tor schießt, dann gebe ich einen Kiddusch‘. Na, prompt hat er ein Tor geschossen. Und wir haben natürlich dann den Kiddusch auch wirklich gegeben“.
Sonntag auf der Spenadlwiese im Wiener Prater. Die Maccabi-Spieler sitzen verschwitzt und mit rotem Kopf in der dunklen Kantine. Der Wirt bringt kopfschüttelnd Tee mit Zitrone und zieht sich wieder hinter seine Budel zurück.
Maccabi hat verloren, 2:1 gegen die Mannschaft von Juwelen Janocko, „echte Wiener „. Dabei waren sie doch die Besseren! Und wenn der eine Ball ein bisschen weiter nach links gegangen wäre, oder wenn der Schiedsrichter das elfmeterreife Foul gepfiffen, wenn sich also nicht alles gegen Maccabi verschworen hätte, der Sieg wäre ihnen nicht zu nehmen gewesen.
Ja, jüdische Fußballer sind wie alle anderen auch – nur sonntags eben und mit Zitronentee.
Alle zu besprechenden und sich besprechen lassenden Siege und Niederlagen von Maccabi finden sich unter http://www.maccabi-wien.at/
Jüdischer Fußball in Wien
Der S. C. MACCABI ist nicht der erste jüdische Fußballklub Wiens, der an einem regulären Meisterschaftsbetrieb teilnimmt. Nach dem 2. Weltkrieg gab es eine Zeitlang wieder eine Fußballsektion der „Hakoah“. Mitte der Siebziger Jahre gründete der Industrielle Jacques Schwirtz „Maccabi“. Diese Mannschaft beteiligte sich einige Jahre recht erfolgreich am Spielbetrieb des Wiener Unterhauses, ehe sich der Klub aus verschiedenen Gründen wieder auflöste. Die Fußballsektion des bestehenden S. C. Maccabi bestritt im September 1996 ihr erstes Meisterschaftsspiel. Heimstätte ist der S.T.A.W. Platz in Wien 2, Rustenschacherallee 3-5. Die Kampfmannschaft rangiert im guten Mittelfeld der 2. Klasse b, sie wird betreut von Josef Jedlicka, einem erfahrenen Trainer und Ex-Fußballer. Außerdem betreibt der Club eine erfolgreiche „Unter 15-Mannschaft“ sowie die neu gegründete „Unter 8-Mannschaft“.
Während der Kader der Kampfmannschaft relativ groß ist – Verstärkungen werden natürlich gerne akzeptiert – suchen die beiden Nachwuchsteams dringend Spieler. Maccabi-Fußballer kann jeder werden, der Mitglied der israelitischen Kultusgemeinde ist oder im halachischen Sinn als Jude gilt (dessen Mutter Jüdin ist).
Anfragen und Anmeldungen nehmen Herr Roth, Tel./Fax 526 15 77 sowie Herr Stern, Tel./Fax 216 46 21 entgegen.