Die Braginsky Collection ist eine bemerkenswerte Privatsammlung von jüdischen illustrierten Handschriften, Heiratsverträgen und Estherrollen. Traditionsbewusstsein und der Einfluss der Geschichte seiner Vorfahren hat René Braginsky bewogen, sie zusammenzutragen.
Von Ida Labudovic
Unerwartet und spontan hat alles begonnen. Die Bar-Mizwa-Feier seines einzigen Sohnes war schon für sich etwas Besonderes, und Vater René Braginsky wollte für die geladenen Gäste etwas entsprechend Einzigartiges bieten. Nachdem Braginsky lange nach einem originellen, schmückenden Manuskript für den Gebetstext nach dem Essen Birkat-ha-Mazon gesucht hatte, holte er den Rat eines Experten ein. Dieser Kenner jüdischer Handschriften konnte für das Fest genau das anbieten, was der zukünftige Sammler gesucht hatte. Und viel mehr als das: Er hat den Weg für die weltgrößte Sammlung der jüdischen Schriftkultur geebnet. Mehr als zwei Jahrzehnte sind seither vergangen, und der Reichtum der Sammlung „hilft zu verstehen, wie vielfältig in einer globalen Perspektive auch die jüdische Identität sein kann“, wie René Braginsky zu NU sagte.
Geschichte der Vorfahren als Ausgangspunkt
Für René Braginsky, Schweizer Unternehmer mit einem exzellenten Gespür für Investments, ist die Geschichte seiner Vorfahren von großer Bedeutung: „Ich wollte sie verstehen und mein Leben auf diesem Wissen aufbauen und gestalten.“ So haben sich zwei Leidenschaften entwickelt und zum Erfolg geführt: eine für das Geschäft und eine zweite für die wichtigen Zeitzeugen der jüdischen Kultur und Vergangenheit – die hebräischen Handschriften, gedruckten Bücher, illustrierten Schriftrollen, Hochzeitsverträge und Estherrollen. „Wer die Vergangenheit nicht kennt, hat es schwer, die Gegenwart zu bewältigen und sich auf die Zukunft einzustellen“, sagte Braginsky anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung von Objekten aus seiner Sammlung im Landesmuseum Zürich. Er hat zu jedem einzelnen Stück eine persönliche Beziehung, jedes ist für ihn Zeuge „für eine längst vergangene Zeit, die mich fasziniert und die ich verstehen will“. Braginskys Staunen über die „großartige handwerkliche Kunst, aber auch die tiefe Religiosität, welche viele dieser Werke prägt“, hält bis heute an: „Gerade in unserer kurzlebigen, oft sogar hektischen Zeit schöpfe ich aus dem Betrachten einer Handschrift Ruhe, Gelassenheit und die Zuversicht, dass das unvergänglich bleibt.“
Vom 13. Jahrhundert bis zu Charlotte Rothschild
Die Sammlung besteht aus etwa 800 Objekten, die meist nach Gefühl gekauft wurden, weil sie René Braginsky entweder ästhetisch besonders ansprechend fand oder ihn eine spezifische Geschichte faszinierte. „Man entwickelt seine eigene Beziehung zu einzelnen Objekten. Diese basiert oft eher auf einem Bauchgefühl als auf ihrem Studium“, meint er. Außerdem „kauft man die Objekte oft auch schon mit guten Beschreibungen“, wie er sagt.
Höhepunkte sind die illustrierten Ketubbot (Eheverträge), von denen in letzter Zeit immer mehr aus Asien, Nordafrika und dem Nahen Osten erworben wurden. Die älteste Handschrift in der Sammlung ist ein Sefer Mizwot Gadol aus 1288, ein halachisches Kompendium, das wahrscheinlich in der Schweiz geschrieben wurde. Insgesamt sind etwa 80 mittelalterliche Handschriften Teil der Sammlung – mehr als sich in mancher großen Bibliothek findet. Die weltweit älteste datierte Megilla, 1564 in Venedig von einer Frau geschrieben, ist auch Teil der Braginsky Collection.
Ein anderer wichtiger Bestandteil der Sammlung sind die Handschriften aus dem 18. Jahrhundert, und dieser Bestand scheint der weltweit größte zu sein. Mehrere Dutzend der etwa 500 bekannten Handschriften aus Mitteleuropa sind in der Braginsky- Sammlung enthalten. Viele prächtig ausgeführte Stücke wurden übrigens in Wien von berühmten Künstlern wie Aaron Wolf Herlingen und Meschullam Simmel aus Polna gefertigt. Eine späte Handschrift, für die sich Forscher und Ausstellungsbesucher gleichermaßen begeistern, ist eine Haggada aus dem Jahr 1842, die von Charlotte von Rothschild für ihren Onkel Amschel Rothschild in Frankfurt geschrieben wurde. Charlotte wurde vom berühmten Maler Moritz Daniel Oppenheim unterrichtet.
Auch der materielle Wert der Sammlung ist beträchtlich. Auf die Frage, welches das kostbarste Stück sei, meint René Braginsky: „Kostbar ist ein relativer Begriff. Kulturhistorischer und monetärer Wert sind nicht immer identisch.“ Seine Antwort auf diese oft gestellte Frage: „Im späten Mittelalter kostete eine illuminierte Handschrift so viel wie ein großes, nobles Haus. Das trifft auf die schönsten Stücke in der Sammlung noch immer zu.“
Die Sammlung wird von zwei bis drei Kuratoren beschrieben und verwaltet, internationalen Spezialisten auf ihrem Gebiet, mit denen Braginsky ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat. „Man übernimmt ja mit dem Ankauf von alten Kulturobjekten auch die Verantwortung für die langfristige Konservierung solcher Stücke. Dies ist mit einem erheblichen praktischen und finanziellen Aufwand verbunden“, erklärt Braginsky. Zu diesem Zweck wurde ein Bibliotheksraum eingerichtet, in dem Raumklima und Temperatur für eine Lagerung nach modernen Standards steuerbar sind. Auf Grundlage einer Kooperation mit dem Landesmuseum Zürich hat die Sammlung ein eigenes Restaurationsatelier im Sammlungszentrum des Museums, in dem ein hochspezialisierter Buchbinder bzw. Restaurator mehrere Monate im Jahr arbeitet.
Offen und zugänglich
Die Szene ist malerisch: ein Stadtpalais, die Wände sind reich geschmückt. Nebeneinander stehen ein Mann mit Turban und eine Frau. Sie trägt ein schönes, grünblaues Kleid mit weißer Spitze und Schmuck, ihre Frisur ist hochgesteckt. Diese Illustration in einem der vielen gedruckten Bücher stammt aus dem beginnenden 18. Jahrhundert. Und jeder kann sie jederzeit sehen.
Während Privatsammlungen sonst oft nicht zugänglich sind, ermöglicht es eine virtuelle Tour mit detaillierten Beschreibungen, in die Welt der Braginsky Collection einzutauchen. Dahinter steht die Überzeugung des Sammlers, dass es ein Privileg ist, die Schönheit der Sammlung mit einem großen Publikum zu teilen. Umgesetzt wurde die virtuelle Präsentation in Zusammenarbeit mit dem weltweit führenden Internet-Experten und Fotografen Ardon Bar-Hama. Ein weiterer wichtiger Beitrag zum herausragenden Niveau der Schau ist der Sammlungskatalog, gestaltet von Frederik de Wal und Kurator Emile Schrijver, der auch für alle Ausstellungen mit verantwortlich zeichnet. Dazu sagt Braginsky: „Als ich in Amsterdam angefangen habe, meine Sammlung zu präsentieren, wollte ich eine moderne Ausstellung, nobel und frisch gestaltet und mit einer Integration von Buch- und Ausstellungsgestaltung.“
Die ersten, welche die Ausstellung gesehen haben, waren die Niederländer. Die berühmte Bibliotheca Rosenthaliana, eine weltbekannte Sammlung von jüdischen Büchern und Handschriften, ist Teil der Amsterdamer Universitätsbibliothek. In der Rosenthaliana waren die notwendigen Kenntnisse und Voraussetzungen vorhanden, um eine professionelle Ausstellung zu organisieren. Die Ausstellung wurde anschließend in den zwei wichtigsten Zentren der jüdischen Kulturwelt gezeigt: New York und Israel. Die bisher letzte Station der Schau war 2012 das Landesmuseum Zürich, wo sie von 30.000 Besuchern gesehen wurde.
Zukunft der Sammlung
Da überrascht es, dass derzeit keine weitere Ausstellung in Vorbereitung ist. „Wir honorieren immer wieder Anfragen von Institutionen, die einzelne Objekte reproduzieren oder ausstellen möchten, aber ich bin nicht daran interessiert, ununterbrochen als Sammler in der Öffentlichkeit aufzutreten“, sagt René Braginsky, der aber mit den Worten „Wer weiß, was die Zukunft bringt“ weitere Ausstellungsprojekte auch nicht kategorisch ausschließt.
Eindeutig dagegen seine Antwort auf die von NU gestellte Frage, ob die Sammlung komplett sei und wie sie sich weiter entwickeln werde: „Es gibt keine komplette Sammlung. Sammler sind kurzfristige Besitzer, und die Bücher werden uns überleben. Ich bin auch nicht der typische Sammler, der immer wieder auf der Suche ist nach dem einen Objekt, das die Sammlung vervollständigen wird. Die Sammlung ist schön, so wie sie ist. Ich werde noch weitere gute Stücke kaufen, aber viele andere auch nicht.“
Und was die Zukunft der Sammlung betrifft, sie steht ganz in Einklang mit der Familientradition – der Sohn wird mitentscheiden.
RENÉ BRAGINSKY, geboren 1949, ist Inhaber und Verwaltungsratspräsident der InCentive Gruppe, die auf Vermögensverwaltung und Fondsmanagement spezialisiert ist. Vor kurzem hat er mit seiner Frau Susanne und seinem Sohn David, der mit einer Wienerin verheiratet ist, die Braginsky Family Office AG gegründet, welche sich hauptsächlich um die Belange der Familie inklusive der Familienstiftung und der Kunstsammlung kümmert. Er fungiert als Stiftungsratspräsident der René und Susanne Braginsky-Stiftung, die seit mehr als 25 Jahren sozial- und gesellschaftspolitische Projekte und Initiativen in der Schweiz und Israel unterstützt. René Braginsky wurde 2012 zum Ehrendoktor des Weizmann Institute ernannt.