Seit kurzem gibt es in Wien einen orthodoxen, jüdischen Rettungsdienst, genannt Hatzolah. NU war bei der Graduierung der ersten neun Retter dabei.
Von Martin Engelberg (Text) und Peter Rigaud (Fotos)
Ein bemerkenswerter Abend in den Räumen der Wiener Jeschiwah im 2. Wiener Gemeindebezirk. Der Anlass der Feierstunde: Die Graduierung von neun streng-orthodoxen jungen Männern als Sanitäter.
Auf einer langen Tafel, hoch über dem Publikum, sitzen auf der einen Seite leitende Beamte der Wiener Rettung und auf der anderen Seite drei der angesehensten Rabbiner der streng-orthodoxen Gemeinschaft. Beide Seiten verstehen die jeweiligen Reden der anderen kaum, begegnen einander jedoch mit großem Respekt. Als Krönung dieser außergewöhnlichen Begegnung gibt in der Mitte Mayer Kestenbaum, ein Original der orthodoxen Community, den Conférencier und Übersetzer. Auf köstlichste Art und Weise wechselt er wortgewandt zwischen breitem Wienerisch und traditionellstem Jiddisch.
Hier treffen zwei Welten aufeinander, von denen man meinen würde, dass sie verschiedener nicht sein könnten und doch haben sie etwas gemeinsam: Menschenleben retten zu helfen; hier der Wiener Rettungsdienst, dort der soeben neu gegründete Österreich-Ableger der internationalen jüdischen Rettungsorganisation Hatzolah, gegründet von Rabbi Hershel Weber in den 1960er- Jahren in Williamsburg, New York, einer jiddisch sprechenden, chassidisch- orthodoxen Community.
„Am Anfang war es unvorstellbar. So etwas hat es noch nie gegeben“, erzählt Gerald Weichselbaum, der Kurskoordinator, von seinen ersten Eindrücken. David Mandel hatte sich die Idee der Gründung einer Wiener Hatzolah Gruppe in den Kopf gesetzt und schließlich – ohne jede Unterstützung von Seiten der Kultusgemeinde – die Zusammenarbeit mit der Wiener Rettung erkämpft. Dabei wurde er anfangs von den eigenen Leuten verspottet. Einer sagte: „Wenn Du Dich zu mir nimmst, stehe ich sowieso gleich von alleine auf.“
Alexander Auer, stellvertretender Ausbildungsleiter, und Harald Bendel, der Lehrsanitäter, erinnern sich, dass die Initiative von Anfang an sehr positiv bei der Wiener Rettung aufgenommen wurde, aber zugleich meldeten sich doch einige Skeptiker zu Wort, die sich nicht vorstellen konnten, was sie mit den chassidischen Burschen anfangen sollten. „Die Lernkurve war dann jedoch genial. Die Burschen waren zuverlässig, diszipliniert, extrem engagiert und haben in dem einen Jahr keinen Termin ausfallen lassen“, berichtet Auer.
„Mein Sohn David war immer schon ein versteckter Arzt“, erzählt der stolze Vater Mordechai Mandel, ein langjähriger Funktionär und Repräsentant der streng-orthodoxen Gemeinde. David durchlief zwar den Traditionen entsprechend die Ausbildung an Tora- und Talmudschulen, aber interessierte sich immer schon für die Medizin. „Wann immer ich bei Familie Mandel eingeladen war, fragte mich David stundenlang über medizinische Themen aus. Ich hatte immer den Eindruck, er würde am liebsten Arzt werden“, erzählt Dr. Michael Hermon, ein Kinderarzt, der mit vielen orthodoxen Familien eng verbunden ist.
Ab sofort stehen also die neu ausgebildeten Orthodoxen als Sanitäter zur Verfügung. Mit professioneller Erste-Hilfe-Ausrüstung und jeder mit einem Piepser, sodass sie jederzeit innerhalb kürzester Zeit – vielleicht sogar schneller als der Rettungsdienst – Erste Hilfe leisten können. Sie dürfen die Piepser und die Rucksäcke auch am Schabbat mit sich führen, auch mit den noch anzuschaffenden Notfall-Mopeds fahren, obwohl dies ja – an und für sich – am Sabbat nicht erlaubt ist. Die Rettung von Menschenleben hebt jedoch alle diese Gesetze auf.
Ein denkwürdiger Abend in den Räumen der Wiener Jeschiwah als krönender Abschluss einer außergewöhnlichen Initiative von jungen orthodoxen Männern. Jetzt werden noch Sponsoren für Rettungs-Mopeds, Defibrillatoren, Rettungsrucksäcke usw. gesucht. Angesichts der bisher an den Tag gelegten Entschlossenheit der Gruppe sollte das jedoch kein Problem mehr sein.
Infos zu erfragen unter:
mada101mada@yahoo.com