Wie in Österreich macht sich auch in Israel eine Lockdown-Müdigkeit breit. Für orthodoxe und ultraorthodoxe Juden sind die Quarantäne-Maßnahmen besonders schwierig: Der eingeschränkte Zugang zum Internet spielt dabei eine zentrale Rolle.
Von Krista Gerloff
„Weißt du, warum Gott die Stechmücken erschaffen hat?“ Mit dieser Gegenfrage beantwortete eine ultraorthodoxe Mutter von sieben Töchtern und sieben Söhnen die Frage über ihre Haltung zur Covid-19-Pandemie. Und sie gab auch gleich selber die Antwort: „Um dem Menschen durch eine winzige, schwache Kreatur seine Grenzen zu zeigen. So ist das auch mit dem für unsere Augen unsichtbaren Corona-Virus.“
Über die ultraorthodoxen Juden, die auf Hebräisch „Charedim“ genannt werden, wird in Israel momentan viel geredet. Das ganze Land befindet sich im dritten Lockdown. In geschlossenen Räumen dürfen sich derzeit maximal fünf, im Freien höchstens zehn Personen versammeln. Trotzdem muss die israelische Polizei immer wieder hunderte ultraorthodoxe Hochzeitsgäste zerstreuen. Gleichzeitig wird in der Öffentlichkeit Kritik laut, die Polizei sei in der säkularen Gesellschaft viel öfter im Einsatz und verteile unter Nichtreligiösen viel mehr Strafzettel als in der ultraorthodoxen Gesellschaft. Dabei seien es die Ultraorthodoxen, die die Corona-Regelungen öfter umgehen und übertreten würden. Als der Corona-Beauftragte für ultraorthodoxe Juden, Generalmajor a.D. Ronny Ruma, gefragt wurde, ob diese Nachsicht politische Gründe habe, bejahte er sie ohne Zögern: Besonders in Vorwahlzeiten würden politische Überlegungen eine große Rolle spielen.
Keine Familienfeste
Ausgerechnet zur Zeit des Pessachfestes, ziemlich genau vor einem Jahr, kam der erste, sehr strenge Lockdown. Familienbesuche waren untersagt, Großeltern wurden von ihren Enkelkindern getrennt. Lediglich Eltern, die in Scheidung lebten, durften einander die gemeinsamen Kinder übergeben. Nach Pessach wurde publik, dass etliche Politiker zwar der Bevölkerung schwere Bürden auferlegten, selbst aber nicht bereit waren, die Regeln zu befolgen. Sogar Präsident Reuven Rivlin musste sich öffentlich dafür entschuldigen, dass er als Witwer das Fest bei der Familie seiner Tochter gefeiert hatte.
Der nächste Lockdown fiel in die Zeit der hohen Feiertage – Neujahr, Versöhnungstag, Laubhüttenfest – und war schon etwas gnädiger gestaltet. Um den Jahreswechsel stieg die Zahl der Neuinfizierten wieder an, was den dritten Lockdown zur Folge hatte.
Dazwischen war auch der Luftverkehr wieder aufgenommen worden, viele Israelis nutzten die Gelegenheit für einen Auslandsurlaub, einige brachten beim Heimflug allerdings neue Virus-Mutationen mit. Weshalb sich Israel dazu entschied, dass alle Einreisenden in sogenannten Corona-Herbergen in Quarantäne gehen mussten. Ausgenommen von der Maßnahme waren nur Personen über siebzig, Schwangere, Kinder sowie Menschen mit einer ärztlichen Bescheinigung.
Internet ist keine Option
Für orthodoxe und ultraorthodoxe Juden ist es eminent wichtig, sich zum gemeinsamen Gebet und zur Schriftlesung zu versammeln. Für einen Minjan braucht es zumindest zehn Männer. Sich übers Internet zu versammeln und gemeinsam Gottesdienst zu feiern, ist für orthodoxe Juden keine Option, da am Schabbat keine elektrischen Geräte bedient werden dürfen. Die Lösung: Man versammelte sich in Rufweite auf den Balkonen und Terrassen. In den Synagogen selbst wurde unter Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Abstände gebetet und gesungen, Gebetpulte wurden mit Plastikverkleidungen zu Gebetszellen umgewandelt. Ähnlich wurde der religiöse Unterricht an orthodoxen Schulen fortgesetzt. Viele ultraorthodoxe Israelis haben keinen Zugang zum Internet. Neue Regelungen müssen per Lautsprecher in ihren Wohngebieten bekannt gemacht werden.
Doch es ist einigermaßen unbestritten, dass in orthodoxen und ultraorthodoxen Kreisen das Wort der Rabbiner mehr Bedeutung hat, als Weisungen der Regierung. Deshalb müssen sich Regierungsvertreter mit den Rabbinern absprechen. So hat sich etwa der 93-jährige Rabbi Chaim Kanievsky, eine der führenden ultraorthodoxen Autoritäten, zwar gegen Testungen ausgesprochen, dann aber während des dritten Lockdowns der vorübergehenden Schließung orthodoxer Schulen zugestimmt. Fast alle Rabbiner befürworten zudem die Corona-Impfung: Neben dem Premierminister, dem Gesundheitsminister und dem Generalstabschef war der ehemalige Oberrabbiner und Holocaustüberlebende Israel Meir Lau einer der Ersten, die geimpft wurden. Seine Botschaft: „Mit Gottes Hilfe haben wir nach monatelangem Toben von Covid-19 eine Impfung, die hilft, das Virus einzudämmen. Jeder, der auf ärztliche Anweisung geimpft werden kann, sollte es tun. Die nachweisliche Gefahr, die von Corona ausgeht, ist größer als mögliche Nebenwirkungen der Impfung. Wir beten und hoffen, dass der Herr diese Pandemie stoppt und wir bald zu einem normalen Leben zurückkehren können.“