Puzzlesteine aus fünf Kontinenten

Von Saskia Schwaiger

Frédéric Brenner war 19, als er 1978 zu Fotoaufnahmen nach Jerusalem anreiste. Seine Aufnahmen in den Straßen von Mea Schearim hinterließen einen starken Eindruck; Brenner war überzeugt, er habe hier das „authentische Judentum“ gefunden. Doch 25 Jahre später, nach unzähligen Reisen in über 40 Länder dieser Erde, kommt Brenner zu dem Schluss, dass es kein authentisches Judentum gibt. Die Suche nach dieser jüdischen Identität und nach jüdischen Lebensformen wurde jedoch zur zentralen Frage seines künstlerischen Werks und führte ihn von Argentinien über Hongkong nach Usbekistan. Eine Sammlung seiner Fotos liegt nun in einem umfangreichen Werk vor: Unter dem Titel „Diaspora“ ist nun in deutscher Übersetzung das zweibändige Buch erschienen.

Brenners beeindruckendes Bilddokument zeigt in Band eins 270 Fotos jüdischer Traditionen quer durch die ganze Welt. Ein Goldschmied in Jemen wird genauso abgebildet wie ein Verkäufer in Kalkutta oder ein Haarschneider am Toten Meer in Israel. Zum Teil inszeniert Brenner die Situationen auf sehr detailverliebte Art und erzeugt so Abbildungen, die manchmal berührend, oft skurril, aber niemals lächerlich wirken. Auch die Wiener Staatsoper ist Teil seiner Inszenierung – eingewickelt in eine Reproduktion jenes Stoffes, aus dem die Judensterne der NS-Zeit hergestellt wurden. Sogar NU ist prominent vertreten: In einer Fotoserie von Menschen und Themen verschiedener Städte ist auch Chefredakteur Peter Menasse  abgebildet, hinter ihm der erst kürzlich geschlossene Rassensaal des Kunsthistorischen Museums.

Im zweiten Band kommen jüdische Intellektuelle zu Wort, darunter Jacques Derrida, Carlos Fuentes und Elfriede Jelinek. Die Kritik an der Einseitigkeit des jüdischen Selbstbildes („ethnozentrisch, weiß, westlich, aschkenasisch“) wird in dem Buch gründlich widerlegt. Wer immer ein Bild des typischen Juden vor sich gehabt hat, so Brenner, wird durch dieses Buch eines Besseren belehrt. Es gibt ihn nicht. Stattdessen viele verschiedene Fotos und Szenen in vielen verschiedenen Formaten und Anordnungen, aufgenommen während fast drei Jahrzehnten.

Egal, ob man seinen ästhetischen Zugang mag oder nicht: Dem Sozialanthropologen Frédéric Brenner ist mit dem Buch ein beeindruckendes Puzzle jüdischer Gesichter und Lebensformen gelungen.

 

Diaspora – Jüdisches Leben im Exil

zwei gebundene Bände im Schuber, 520 Seiten mit 350 Abbildungen in Schwarzweiß

Knesebeck Verlag, München

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