Politischer Stillstand

© BENY SHLEVICH

In Israel sind die Fronten zwischen Langzeit-Premier Benjamin Netanjahu und dem Bündnis „Blau-Weiß“ von Benny Gantz schwer überbrückbar. Nachdem auch Gantz keine Regierungsbildung zusammenbrachte, steht Israel zum dritten Mal innerhalb eines Jahres vor Neuwahlen.

Auf dem Rabin-Platz vor dem Rathaus in Tel Aviv versammelten sich am 2. November 25.000 Israelis im Gedenken an einen Politiker, der es mit dem Frieden ernst meinte. Jitzchak Rabin konnte seine Pläne nicht verwirklichen. Der Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger wurde vor 24 Jahren an dieser Stelle von einem rechtsradikalen Israeli erschossen, der glaubte, mit seiner Tat einen Verräter ausgeschaltet zu haben.

Seither sind die Aussichten auf Frieden zwischen Juden und Palästinensern in weite Ferne gerückt. Und Israels Politik erscheint in diesem Jahr nur mehr mit sich selbst beschäftigt zu sein. Das Land ist tief gespalten. Israels langjähriger Premierminister Benjamin Netanjahu konnte nach den Wahlen im Frühjahr keine Regierung bilden, weil er dafür nicht mehr genügend Partner fand. Die Neuwahlen im September haben zu einem knappen Sieg des Mitte-Links-Bündnisses „Blau-Weiß“ von Benny Gantz geführt, der darauf die schwierigen Koalitionsverhandlungen aufnahm – und scheiterte.

Prekäre Lage

Der etwas steif wirkende ehemalige Generalstabschef hielt bei der Gedenkfeier für Rabin die Hauptrede. Er wandte sich gegen Hass und Spaltung im Land. Doch was viele Anhänger des stark geschrumpften linken Lagers erwartet hatten, sprach Gantz nicht an: eine Friedenslösung mit den Palästinensern. Er versprach dafür einen „inneren Frieden“ in Israel, indem er die Spaltung des Landes bekämpfen wolle. Mit seiner angestrebten „Regierung der nationalen Einheit“ hätte dies gelingen sollen, so der hochgewachsene ehemalige General.

Und setzte dabei voll auf Stärke und Abschreckung. Der Golan und auch das Jordantal seien Teile Israels. Notfalls werde er auch Tötungen von Anführern von terroristischen Gruppen wieder zulassen, erklärte er nach den neuerlichen Raketenangriffen aus dem Gazastreifen auf nahegelegene israelische Orte. 

Die Lage in dem von der radikalen Hamas beherrschten Küstenstreifen ist weiterhin prekär. Die als Antwort auf Raketenangriffe durch Israel verhängte Blockade hat dort radikale Gruppierungen gestärkt. Hamas-Chef Yahya Sinwar drohte Israel Anfang November mit einem sechs Monate währenden Raketenbeschuss sogar der bislang selten davon betroffenen Stadt Tel Aviv. Die Hamas werde die „humanitäre Krise“ im Gazastreifen nicht länger hinnehmen. Israel solle sich auf „etwas Großes“ gefasst machen. Man habe ausreichende Vorräte an weitreichenden Raketen angelegt. Bislang sind solche Waffen selten eingesetzt worden, zuletzt vor dem Eurovisions-Songcontest. Damals hat der Beschuss der Metropole letztlich dazu geführt, dass die israelische Regierung einer Finanzhilfe aus Katar für die Bevölkerung in Gaza zustimmte.

Keine Garantie

Doch viele Israelis wünschen sich ein Ende der politischen Querelen. Die Aussicht, innerhalb eines Jahres zum dritten Mal Parlamentswahlen abzuhalten – was nunmehr als durchaus realistisches Szenario gilt –, ist für viele abschreckend und bietet auch keine Lösung. Denn mit großer Wahrscheinlichkeit wird das Ergebnis nicht viel anders aussehen als im September. Sogar ein Drittel der Likud-Wähler zieht laut Umfragen eine Gantz-Regierung gegenüber Neuwahlen vor.

Netanjahu will als Chef des rechten Parteibündnisses aus Likud und religiösen Parteien das Amt des Premierministers mit allen Mitteln behalten. Nur wenn er weiterhin Regierungschef bleibt, kann er die drei drohenden Anklagen wegen Korruption noch einmal abwenden.

Daher versuchte er, die Koalitionsverhandlungen von Gantz mit diversen Tricks zu stören. Netanjahu wollte nur dann eine Koalition mit „Blau-Weiß“ eingehen, wenn er selbst Ministerpräsident bliebe. Eine Forderung, die Gantz als Wahlsieger nicht akzeptieren konnte. Der Vorschlag eines rotierenden Vorsitzes der Regierung zwischen ihm und Netanjahu schien auch keine Garantie für eine stabile Regierung zu sein. Und Netanjahu hat zusätzlich noch seine ultrareligiösen Koalitionspartner dazu angehalten, keinesfalls ohne den Likud mit „Blau-Weiß“ in eine Regierungskoalition zu gehen. Das Ergebnis ist nun bekannt.

Hier kommt nun die Partei „Israel Beytenu“ von Avigdor Lieberman ins Spiel. Der frühere Außen- und Verteidigungsminister, dessen Partei überwiegend Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion anspricht, hatte ja Ende 2018 aus Protest gegen eine Waffenruhe mit der Hamas und gegen den Einfluss der ultrareligiösen Gruppierungen die Koalition verlassen und damit das Ende des rechten Regierungsbündnisses ausgelöst. Im November hatte Lieberman aber eine Rückkehr in diese Koalition nicht mehr ausgeschlossen. Doch seine Forderungen, etwa zur Verpflichtung von Ultrareligiösen zum Armeedienst, erscheinen für die religiösen Parteien schwer annehmbar.

Die Mehrheit der Israelis wünscht sich eine starke Regierung, die auch gegen die Abschwächung der Konjunktur und steigende Mietpreise wirksame Maßnahmen treffen kann. Der staatliche Haushalt weist ein von Experten als gefährlich eingestuftes Defizit auf. Damit könnte auf die Israelis eine Welle von Einsparungen auch im Sozialbereich oder im Gesundheitssektor zukommen.

Anmerkung: Zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe von NU war nicht absehbar, wie sich die politische Lage in Israel entwickelt. Nach Gantz’ Rückgabe des Mandates zur Regierungsbildung konnte jeder Abgeordnete versuchen, eine Mehrheit von 61 der insgesamt 120 Parlamentarier für eine Regierungskoalition zu suchen. Sollte auch dies scheitern, würde das Parlament automatisch aufgelöst werden.

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