Die geplante Schaffung einer Dokumentationsstelle für politischen Islam sorgt für Kontroversen. Zwei Positionen zur aktuellen Debatte.
Schutz vor Radikalisierung
Von Martin Engelberg
Eine der Maßnahmen der neuen Bundesregierung gegen Extremismus und Terrorismus betrifft die Schaffung einer sehr wichtigen Einrichtung: einer „unabhängigen, staatlich legitimierten Dokumentationsstelle zur wissenschaftlichen Erforschung, Dokumentation und Aufbereitung von Informationen über den religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam) sowie der besseren Koordination der Präventions- und Aufklärungsarbeit (nach Vorbild des DÖW)“.
Es steht also der „politische Islam“, manchmal auch synonym verwendet der „Islamismus“, im Fokus. Damit sind fundamentalistische ideologische Strömungen gemeint, die den Islam als Staats- und Herrschaftsform etablieren wollen. Sie sind also gegen unsere wichtigsten Grundwerte gerichtet, wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung und unser westliches Wertesystem insgesamt.
Eine der ersten Aufgaben der Dokumentationsstelle könnte jedoch durchaus sein, den Begriff des politischen Islams zu schärfen. Jedenfalls nicht gemeint ist der Islam als Religion. Darüber hat niemand einen Zweifel offengelassen. Wenn der Präsident der islamischen Gemeinschaft behauptet, der Begriff stigmatisiere und kriminalisiere pauschal alle in Österreich lebende Musliminnen und Muslime, dann setzt er sich dem Verdacht aus, die Extremisten in seinen Reihen schützen zu wollen.
Warum eine Dokumentationsstelle? Weil wir es hier mit einem weiten Spektrum an Organisationen, Moscheen und Gruppen zu tun haben, die durchaus unterschiedliche Stoßrichtungen haben und die beobachtet, analysiert und differenziert werden müssen. Angefangen mit gewaltbereiten, aufstachelnden bis hin zu Gewalt legitimierenden Personen und Gruppen, deren Bekämpfung nicht immer die Arbeit von Polizei und Justiz ist. Bis hin zu legalistisch operierenden Organisationen, die ihre gegen unsere Wertegemeinschaft gerichtete Ideologie und politischen Ziele unter Ausnutzung demokratischer Mittel durchsetzen wollen.
In der deutschen Bundesverfassung ist der Begriff der wehrhaften Demokratie sogar explizit verankert. Als Reaktion auf das Schicksal der Weimarer Republik gedacht, muss dieser Begriff heute auch gegenüber dem politischen Islam zur Anwendung kommen. Dabei soll selbstverständlich die Arbeit des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) in der Beobachtung des Rechtsextremismus weitergehen. Gleichzeitig hat sich das DÖW selber grundsätzlich positiv gegenüber der Einrichtung einer Dokumentationsstelle für den politischen Islam geäußert.
Dazu hat Bundeskanzler Kurz schon im Frühjahr 2019 gesagt: „Die Politik ist dringend gefordert, unsere freie Gesellschaft vor dem politischen Islam und seinen Auswüchsen, wie dem Antisemitismus, zu schützen. Wir dürfen nicht wegsehen, wenn unsere Grundwerte wie Demokratie oder Gleichstellung offen abgelehnt werden.“
Aus politischem Interesse, manchmal auch aus Naivität, wird versucht, die Grenze zwischen politischem Islam und der Religion zu verwischen; wird behauptet, ein Anti-Islamismus sei der Auslöser für die Schaffung der Dokumentationsstelle und wird dieser mitunter sogar mit Antisemitismus gleichgesetzt.
Es wäre ein großer Fehler, vor den Gefahren des politischen Islam die Augen zu verschließen. Österreich wird auf diesem Gebiet eine Vorreiterrolle übernehmen. Die zu schaffende Dokumentationsstelle soll ein wichtiges Instrument in der Prävention und Deradikalisierung in den muslimischen Communities sein. Ein Instrument, das auch liberale Musliminnen und Muslime gegen über Radikalen schützt, die sie und unsere Gesellschaft insgesamt bedrohen.
Unter Generalverdacht
Von Eric Frey
Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) ist seit Jahrzehnten eine wichtige Institution im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Es zeigt auch regelmäßig Fehlleistungen und Umtriebe von FPÖ-Politikern auf und ist dieser Partei deshalb schon lange ein Dorn im Auge. Gegen das DÖW vorzugehen traute sich die FPÖ-Führung auch während der türkis-blauen Regierung nicht. Stattdessen wurde damals die Idee geboren, neben dem DÖW auch eine Dokumentationsstelle für politischen Islam zu gründen, weil ja schließlich der gefährliche Extremismus von allen Seiten kommen kann.
Bevor der Plan in ein Gesetz gegossen werden konnte, ließ das Ibiza-Video die Regierung platzen. Aber weil die Warnung vor Islamismus und Islamisierung ein wichtiger Teil der Politik von Sebastian Kurz ist, wurde die Gründung der Dokumentationsstelle auf Drängen der ÖVP ins türkis-grüne Regierungsprogramm übernommen.
Diese Vorgeschichte ist wichtig, um zu verstehen, warum diese Dokumentationsstelle unnötig, unberechtigt und schädlich ist. Natürlich ist es sinnvoll, die Wurzeln des politischen Islam zu studieren und gegen radikale muslimische Aktivisten frühzeitig vorzugehen. Dafür gibt es einerseits sozialwissenschaftliche Institute, andererseits die Polizei, die Justiz und den Verfassungsschutz. Die Einrichtung einer eigenen staatlichen Dokumentationsstelle dient hingegen in erster Linie dazu, eine große Bevölkerungsgruppe in Österreich auszugrenzen und sie unter einen Generalverdacht zu stellen. Die Parallele zum DÖW signalisiert: Radikale Muslime sind die neuen Nazis. Wie der Theologe Paul Zulehner im Standard schrieb: „Die große Weltreligion des Islam wird subtil permanent zu einer Gefahr für unser Land umgedeutet.“ Die große Aufgabe der Integration von Zuwanderern und deren Kindern wird damit nicht erleichtert.
Nun weisen die Befürworter darauf hin, dass es ihnen nicht um den muslimischen Glauben gehe, sondern um den politischen Islam. Aber anders als Rechtsextremismus ist dieser nicht so leicht als Ideologie definierbar, auch weil die Grenzen zum religiösen Islam verschwimmen. Werden die Mitarbeiter der Stelle die Predigten in allen Vorstadtmoscheen dokumentieren und die religiösen Botschaften auf politische Inhalte zu prüfen? Oder geht es um Milieustudien unter türkischen oder afghanischen Jugendlichen und deren Sprache? Welche Schlüsse soll man dann daraus ziehen, wenn es sich zeigt, was alle Studien und Umfragen belegen: Ja, es gibt unter Österreichs Muslimen zu viele mit intoleranten, undemokratischen und offen antisemitischen Ansichten, die mit Zorn, Hass und Aggression verbunden sind? Aber die große Mehrheit denkt nicht so.
Während der gewalttätige Islamismus am Höhepunkt der Flüchtlingswelle und der Terroranschläge des „Islamischen Staates“ 2015 und 2016 als große Bedrohung wahrgenommen wurde, ist dies inzwischen einer viel nüchterneren Einschätzung gewichen. Und anders als beim Rechtsextremismus hat Österreich hier auch keine historische Verantwortung, die eine eigene Institution rechtfertigt.
Weiter verbreitet als radikaler Islam ist heute der Anti-Islamismus. Der reicht tief in die österreichische Gesellschaft hinein. Eine Dokumentationsstelle, die mit staatlichen Mitteln islamische Themen behandelt, müsste sich auch mit diesen Auswüchsen auseinandersetzen. Aber das passt nicht zu den Absichten der ÖVP. Wenn die Regierung mehr über politischen Islam wissen will, dann soll sie entweder entsprechende Studien in Auftrag geben oder die Mission des DÖW auf jede Form des Extremismus erweitern. Das wäre Präventionsarbeit ohne Stigmatisierung.