NU stellt sich der Frage, ob es erlaubt sei, Konflikte innerhalb der Kultusgemeinde einem öffentlichen Diskurs auszusetzen. Das Ergebnis vorweg: Es ist auszuhalten.
Von Ronni Sinai
Anlass für diese Betrachtung ist der erstmals durch einen Bericht in der Tageszeitung KURIER aufgeflogene Missbrauch im Zusammenhang mit dem Impfstart im Maimonides Zentrum, dem Pflegeheim der IKG: Dessen Präsidenten sowie etliche ihm nahestehenden Personen wurde vorgeworfen, nicht verimpfte Restmengen in Anspruch genommen zu haben, ohne der priorisierten Zielgruppe anzugehören. So weit, so skandalös. Offensichtlich angeregt von solch unsozialem Verhalten folgte der eine oder andere Bürgermeister österreichischer Gemeinden dem zweifelhaften Vorbild. Dies dürfte den Medien für eine mediale Ausschlachtung besser geschmeckt haben als die Malversationen innerhalb der IKG. Einerseits will man sich vermutlich nicht dem Vorwurf antisemitischer Berichterstattung aussetzen, andererseits erregt die innenpolitische Kommunalpolitik die ohnehin durch die Coronakrise in Mitleidenschaft gezogenen Gemüter von Frau und Herrn Österreicher wohl mehr.
Politische Spielchen
Auf den online erschienen Kommentar von NU, der die vorhin erwähnten Geschehnisse thematisiert hat und der auch von der Tageszeitung Die Presse übernommen wurde, folgte prompt eine Replik des Kolumnisten Harry Bergmann im KURIER. Zwar bestätigte er darin weitgehenst den Inhalt des NU-Berichts, ist aber überzeugt, dass „alles was innerhalb der jüdischen Kultusgemeinde passiert, am besten auch innerhalb der jüdischen Kultusgemeinde bleiben sollte.“ Er unterstellt weiters: „Politisches Kleingeld wechseln scheint offensichtlich auch in kleinen Communities – ich schätze, dass die jüdische Gemeinde nicht viel mehr als 7000 Menschen zählt – ein beliebtes Spielchen zu sein.“
Vom Mauscheln und Vertuschen
Es stellt sich mir die Frage, aus welchem Grund man Vorfälle, die in der Kultusgemeinde „passieren“, denn nicht außerhalb der Gemeinde diskutieren sollte. Nu, oberflächlich betrachtet unterscheidet sich das Mauscheln und Vertuschen innerhalb der jüdischen Community kaum von dem anderer Interessensgemeinschaften, wie Parteien, Unternehmen, Vereine, etc. Es ist jedoch keine Expertise erforderlich, um differenzieren zu können. Befürchten Verantwortungsträger in der Gemeinde etwa antisemitische Reaktionen? Will man ein Bild von Friede, Freude und koscherem Eierkuchen vermitteln? Glaubt man gar, dass an Juden höhere moralische Ansprüche gestellt werden dürfen oder gar müssen? Letzteres Argument bestärkt allerdings einen antisemitischen Aspekt von Kleingeistern, welcher in der Aussage gipfelt: „Gerade bei euch sollte so etwas nicht vorkommen“ (?!)
Diversität
Genannte Gründe könnten Ursachen für Vertuschung sein, geben aber noch keine ausreichende Begründung, ob (und wie) man proaktiv Meinungsverschiedenheiten unter Juden durchaus öffentlich austragen darf, ja sogar sollte. Dazu muss erwähnt werden, dass sich die jüdische Gemeinde in Österreich in den letzten Jahrzehnten vor allem durch die Zuwanderung aus Osteuropa und Zentralasien stark verändert hat. Zudem ist es zu einem Generationenwechsel gekommen, schwer traumatisierte Zeitzeugen des Holocaust werden immer weniger, deren Enkelkinder sind nun schon zu „Systemerhaltern“ geworden. Die Diversität innerhalb der jüdischen Kommune hat – wie auch in der übrigen Gesellschaft – merklich zugenommen. Migranten, Orthodoxe, Sekuläre, Assimililierte, politisch Engagierte, Junge und Ältere, Betuchte und weniger Wohlhabende: alle diese Mitglieder der Gemeinde haben ein Recht darauf , gehört zu werden.
Sieben Juden, sieben Meinungen
Das ist einerseits erfreulich und Grund genug, den Menschen in Österreich aufzuzeigen, dass es in der jüdischen Bevölkerung eine Vielzahl an Meinungen und Ansprüchen gibt – wobei dies eigentlich eh schon immer Tradition hatte. Nicht umsonst heißt es: Sieben Juden, sieben Meinungen. Freilich stellt das eine Herausforderung für die Führung der IKG dar, die diesem Umstand aber oft nicht gewachsen zu sein scheint, sondern die Anmutung einer autokratischen Regierung hinterlässt. IKG-Präsident Oskar Deutsch meint in seiner Aussendung, die öffentliche Kritik an seinem Vorgehen „schädige alle Mitglieder unserer Gemeinde“. Das allerdings ist klassische Täter- Opfer-Umkehr, die nicht sein eigenes Verhalten, sondern jenes seiner Kritiker verurteilt.
Wir sind nicht Präsident
Nein, wir sind eben NICHT Präsident. Wir sind einfach nur zufällig Juden, wollen uns weder dafür genieren müssen, noch uns damit schmücken und brauchen keine Sonderstellung. Wir haben das Recht zu reden und aufzuzeigen und können auf eine Windel gegen Nestbeschmutzung gerne verzichten. Nu, der Herr Präsident und seine Partei werden den für sie üblen Geruch schon aushalten.