Einst ließ der jüdische Philanthrop Gustav von Springer für seine Tochter Maria Cäcilia ein Schlössl bauen. Nun besuchte ihr 94-jähriger Enkel den ehemaligen Familienbesitz.
Von Gerhard Jelinek
Was bleibt nach neuneinhalb Jahrzehnten Leben? Erinnerungen an den Geruch kubanischer Zigarren im großen Salon mit dem mächtigen Kamin, die elegant geschwungene Holztreppe, die zu einer Galerie führt. Der Glanz hunderter Rosskastanien im Leiterwagerl, die der vierjährige Felipe im Park des Springer Schlössls in Meidling gesammelt hat, um sie anschließend im Schönbrunner Schlosspark an die Rehe zu verfüttern.
Diese Erinnerungen gehören Felipe Propper, dem heute 94-jährigen Enkel von Maria Cäcilia Springer, der im Frühsommer mit seiner Frau Renate Goldschmidt an den Ort seiner Kindheit zurückkehrt. Das Paar besucht erstmals das sogenannte Springer Schlössl in Wien Meidling, das sein Urgroßvater Gustav von Springer um 1890 für seine Tochter Maria Cäcilia in den historischen Park am Meidlinger Gatterhölzl bauen ließ.
Gustav von Springer, der Industrielle und Großgrundbesitzer, sorgt sich um die Gesundheit seiner einzigen Tochter. Sie soll an die frische Luft. Die Schwindsucht ist eine Wiener Krankheit. Mitzis Mutter Helene ist kurz nach der Geburt der Tochter in einem Pariser Nobelhotel gestorben. Maria Cäcilia ist ein schwaches Kind, Sonne und Luft gelten als wirksame Medizin gegen die verbreitete Tuberkulose.
Der Vater umsorgt, verhätschelt die Kleine. Sie ist sein einziges eheliches Kind. Seine Erbin. Für sie kauft er zehn Hektar Parklandschaft nächst dem Kaiserschloss, und für sie bauen die bekannten Architekten Fellner & Helmer eine stattliche Villa, mit Reitwegen und Kegelbahn und dem ersten elektrisch betriebenen Springbrunnen der Monarchie. Gerüchte über eine Parzellierung des einstigen Waldgebietes Gatterhölzl sowie Pläne zum Bau eines Infektionsspitals und einer Kaserne beunruhigen Gustav von Springer. Er lässt besorgt bei Kaiserin Elisabeth anfragen. Die besänftigt. Seine Kleine dürfe gern im für die Hoheiten reservierten Teil des Schönbrunner Schlossgartens spazierengehen. Dort trifft sie gelegentlich Sisi, wenn ihre Majestät mit ihrem Griechischlehrer Constantin Christomanos Verse deklamierend durch den Park lustwandelt. Wirklich? Jedenfalls eine schöne Geschichte.
Maria Cäcilia Baronin Springer, verehelichte Fould, gehört der Besitz nach dem frühen Tod ihres Vaters. Sie wird die Hefe-Industrien in Wien-Fünfhaus und in Paris weiterführen, das Vermögen mehren, bis es die Nazis 1938 rauben, die elegante Villa zur „Gauschule Schönbrunn“ umfunktionieren und das wertvolle Inventar stehlen.
Baronin Fould-Springer hat das Geschäft vom Vater gelernt. Schon als Kind nimmt er sie mit in sein Büro, spricht mit der Tochter über Geschäfte. Sie wächst anders auf als viele gleichaltrige Mädchen, deren einzige Bestimmung Schönheit und eine möglichst gute Partie sind. Maria teilt auch die väterliche Passion, den Pferderennsport. Sie führt den Rennstall der Familie weiter und lässt ungarische Spitzenpferde züchten.
Imposante Hochzeit
Die Ehe der Baronin Springer mit Eugene Fould verläuft unglücklich, daran ändert auch die imposante Hochzeit in der Synagoge in der Seitenstettengasse nichts. Der Empfang findet im Springer Schlössl statt. Die drei Buffets werden von Frau Anna Sacher arrangiert. Der französische Ehemann zeigt sich indes eher an Männern als an seiner Angetrauten interessiert. Dennoch wird sie vier Kinder zur Welt bringen, drei in der Meidlinger Villa. Und sie wird nach dem frühen Tod ihres Gatten dessen englischen Lebensfreund Frank Wooster ehelichen. Ein Arrangement. Manche Wege sind eben verschlungen.
Nach 1945 wird das Schlössl restituiert. Maria Springer kehrt aber nicht mehr nach Wien zurück. Sie verkauft das devastierte Anwesen weit unter seinem Wert mit der Auflage, es zu erhalten und für Bildungszwecke zu nützen. Nachdem die Nazis es in eine Gauschule umfunktionierten, zog nach dem Krieg die Parteiakademie der ÖVP ein.
Und jetzt die Heimkehr
Und jetzt die Heimkehr nach so vielen Jahrzehnten. NU-Herausgeberin Danielle Spera hat Felipe Propper und seine Frau in New York kennengelernt und den Wienbesuch in der heutigen Politischen Akademie der Volkspartei arrangiert. Der Enkel der einstigen Besitzerin hat aus New York ein vergilbtes Foto mitgebracht. Alle sind drauf: die als Respektsperson gefürchtete Großmutter, der geliebte Enkel, das große Auto und Franz, der Hausverwalter, vor dem prachtvollen Tor und der Allee, die auch heute noch zur Villa führt.
Ein anderes Bild zeigt fünf Dutzend würdiger Herren im Park vor dem Schlössl. Freunde, Angestellte, Verwandte und ein Mädchen, ganz in weiß. Und die 16-jährige Maria Cäcilia, neben ihrem Vater, dem Baron. Der jüdische Philanthrop ist der jüngste Sohn des Bankiers Max Springer, der aus Bayern in die k.u.k. Residenzstadt gezogen ist. Max Springer beteiligt sich am Bau der Semmeringbahn, ist Teilhaber der Anglo-Österreichischen Bank und lässt von den Architekten Fellner & Helmer die erste Spiritusfabrik in der Wiener Ölweingasse bauen. Für seine großzügige Mäzenantentätigkeit wird Max Springer geadelt.
Was den Bankier und Kaufmann wirklich adelt, ist aber seine soziale Ader. Er finanziert den Bau eines Waisenhauses in der Goldschlagstraße, den auch die Architekten Fellner & Helmer planen. Nach seinem Tod richten die drei Söhne eine Stiftung ein, die Jahr für Jahr fünfundzwanzig Bedürftige unterstützt. Heute steht an der Stelle des prachtvollen Gebäudes ein gesichtsloser Bau aus den 1970er Jahren. Nur noch eine kleine Tafel erinnert an das Waisenhaus.
Die von der Tivoligasse aus kaum sichtbare Villa liegt inmitten eines englischen Parks und ist Zeitzeugin österreichischer Politikgeschichte. Seit gut einem halben Jahrhundert beherbergt das Springer-Schlössl die Politische Akademie der Volkspartei. Wenn es wirklich um etwas geht, ziehen sich die jeweiligen ÖVP-Granden zu Beratungen in die „Polak“ zurück. Unwahrscheinlich, dass sie dabei an eine Lebensweisheit von Maria „Mitzi“ Cäcilia von Springer denken. „Vereint Unmögliches.“ Ihr Enkel Felipe bringt die Erinnerung mit.