Von Peter Menasse
An den Bundespräsidenten der Republik Österreich
Dr. Thomas Klestil
Ballhausplatz
1010 Wien
Wien, 10. Oktober 2000
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
Sie haben in den Jahren Ihrer Präsidentschaft immer wieder Gruppen von Juden bei sich empfangen, die als junge Menschen aus Österreich vertrieben wurden, und anderswo eine neue Heimat gefunden haben. Die Republik hat damit dank Ihrer (und wohl auch Dr. Leon Zelmans) Initiative eine Geste gesetzt, die versuchen wollte, Opfern der Nazizeit ein Stück Ehre zurückzugeben, sich bei Ihnen zu entschuldigen. Österreichische Tageszeitungen haben über diesen Akt der Versöhnung auch stets berichtet und die Freude der alten Menschen über die späte Würdigung widergespiegelt. Für diese Aktion möchte ich Ihnen meinen Respekt ausdrücken.
Ich möchte Sie mit meinem Brief aber noch auf eine zweite, kleine Gruppe von Opfern aufmerksam machen. Sie gehören der selben Altersgruppe wie die von Ihnen Empfangenen an, sind ebenfalls vertrieben worden, haben ihre Familien und Freunde verloren, sind gedemütigt und seelisch verletzt worden. Nach dem Krieg sind sie aus der Emigration in ihre Heimat zurückgekehrt. Sie haben auch noch 1945 daran geglaubt, dass es ein friedliches Zusammenleben aller Österreicher geben kann, ja dass sie selbst weiterhin Teil dieses Österreichs sein können. Sie haben ihre Landsleute als Verführte angesehen, als Opfer wirtschaftlicher Not, nicht als notorische Täter. Diese Menschen sind zurückgekommen und haben am Wiederaufbau Österreichs mitgearbeitet, obwohl sie vorher nichts zerstört haben. Sie haben an die Demokratiefähigkeit des Landes geglaubt und ihren Beitrag zur demokratischen Entwicklung geleistet.
Diese heute alten Menschen sind noch niemals von einem Repräsentanten des Staates empfangen worden. Die meisten von ihnen leben zufrieden in Österreich und lieben das Land. Eine Geste der Ehre, Dank dafür, dass sie dem Land ihr Vertrauen und Ihre Kraft geschenkt haben, wurden ihnen jedoch nicht zuteil.
Der Umgang des offiziellen Österreich mit den im Lande lebenden Juden hat einen wesentlichen Aspekt, den ich Ihnen zur Erwägung vorlegen möchte. Wenn sich das Land glaubhaft und nachhaltig vom Antisemitismus befreien will, braucht es Juden, die hier zu Hause sind. Nur an der Form des Zusammenlebens mit ihnen lässt sich ermessen, wie weit dieser Teil der demokratischen Entwicklung tatsächlich gediehen ist.
Viele der Menschen, die nach der Vertreibung wieder hierher zurückgekommen sind, darunter auch meine Eltern, haben keine Entschädigung für ihr verlorenes Hab und Gut verlangt. Für ihre Verluste gibt es ohnehin keinen ökonomischen Gegenwert. Was sie aber wohl freuen würde, wäre eine Geste des Dankes und der Anerkennung durch den höchsten Repräsentanten ihres Staates. Es gelte, einen symbolischen Akt zu setzen, der die Demütigung der Ve rgangenheit von ihren Schultern nimmt.
Ich möchte Ihnen daher vorschlagen, auch die in Österreich lebenden Opfer des NS-Regimes in kleinen Gruppen zu einer Kaffeejause einzuladen, um sich bei ihnen für die Arbeit zugunsten des Landes zu bedanken. Ich meine damit alle Opfer, nicht nur die jüdischen. Ihre Adressen sollten über die Datei des „Nationalfonds“ einfach zu eruieren sein.
Mit freundlichen Grüßen
Mag. Peter Menasse