„Österreich hat keine Extremismusklausel“

Von der FP-Historikerkommission zur Erforschung der eigenen Parteigeschichte erwartet sich Andreas Peham wenig. 
© Paul Kranzler

Andreas Peham, Rechtsextremismus- und Antisemitismusforscher im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), betreut auch die 1995 gegründete Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich. Ein Gespräch über rechten und muslimischen Antisemitismus, die BDS-Bewegung, das „Ibiza-Video“ und die von der FPÖ eingesetzte Historikerkommission.

NU: Was sagt das „Ibiza-Video“ über die FPÖ aus?


Peham: Was wir schon immer gesagt haben, und wofür es in der Geschichte genug Beispiele gibt: dass Rechtsextremisten auf vielen Ebenen ein Problem darstellen. Politisch, aber auch ethisch. Es ist einfach eine menschliche Verkommenheit, die sich da äußert. Über den Charakter dieser Leute haben wir uns nie Illusionen gemacht, er ist vielfältig in der jüngeren Geschichte erwiesen. Man denke daran, womit sich die Justiz seit der ersten ÖVP-FPÖ-Regierung beschäftigt hat oder nach wie vor beschäftigt. Insofern ist das nur die Fortsetzung eines bestimmten Charaktertypus, der die Kader dieser Partei immer ausgezeichnet hat, der hier zum Vorschein kommt. Überrascht bin ich so gesehen gar nicht, ich fühle mich eher bestätigt.

Aber auch in dieser Derbheit?


Ja. Absolut!

Nach dem Liederbuch-Skandal beschloss die FPÖ im Februar 2018 die Einberufung einer Historikerkommission, um die „Geschichte des dritten Lagers“ aufzuarbeiten und „dunkle Flecken der Parteigeschichte“ zu beleuchten. Nun ist die FPÖ aus der Regierung. Was bedeutet das für die Kommission? 


Es wird jetzt noch unwahrscheinlicher, dass wir jemals irgendwelche Ergebnisse dieser Kommission zu Gesicht bekommen. Es war aber von vornherein nicht viel zu erwarten. Die Anonymität der Mitglieder dieser Kommission spricht jeder Wissenschaftlichkeit Hohn. Jene Mitglieder, die bekannt sind, wie etwa Lothar Höbelt, nennen das Ganze eine Farce. Ich muss dem zustimmen, denn es gibt nichts zu erforschen. Die FPÖ ist die besterforschte Partei Österreichs. Die Burschenschaften haben von Anfang an gesagt, dass ihre Archive verschlossen bleiben. Dabei wäre das entscheidend gewesen. Der Anlass der Einberufung der Kommission war ja schließlich ein Skandal innerhalb der Burschenschaften.

Jahrelang wurden Sie von der FPÖ attackiert, die unter anderem eine Einstellung der Förderungen verlangte. Gibt es nicht einen Wandel innerhalb der Partei?


Ja, unbedingt! Und manche, vor allem in den Burschenschaften im Umfeld der FPÖ, sind gar nicht darüber erfreut. Wir haben letztens einen Bericht erhalten von einer Veranstaltung, bei der Wilhelm Brauneder die Historikerkommission vorgestellt hat und sich massive Kritik von Burschenschaftern anhören musste. Nach außen dringt aber nur ganz wenig durch. Auch jene, die uns am liebsten zusperren wollten, mussten stillhalten. Denn es ging um weitaus mehr. Sie hatten ja wirklich etwas vor mit dem Land, sie hatten ein Ziel und am Weg dorthin mussten sie uns freundliche Nasenlöcher machen.

Was war das Ziel?


Manche nennen es die illiberale Demokratie, noch weiter Rechtsstehende hofften auf den autoritären Führerstaat. Mit der FPÖ hätte es einen Ausbau der Demokratie, mehr Freiheit und Menschenrechte mit Sicherheit nicht gegeben. Wohl eher von allem weniger.

Hat die FPÖ heute mehr Probleme mit Rechtsextremismus als zuvor?


Nein. Es wurde zu einem Problem, als die FPÖ in der Regierung war. Das ist aber nichts Neues. Wir stufen die Partei seit 1993 als rechtsextrem ein. In der Hinsicht wird sich auch unter Norbert Hofer nicht viel ändern. Ganz im Gegenteil. Die Geschichte der FPÖ zeigt, dass sie gerade in Phasen der Schwächung auf ihren rechtsextremen Kern zurückgeworfen ist. In solchen Phasen sind politische Mäßigung oder verstärkte Abgrenzung von Rechts nicht zu erwarten.

Wohin entwickelt sich die Partei unter Norbert Hofer?


Die Partei bleibt, was sie ist. Ich sehe angesichts der handelnden Personen keine Reformmöglichkeit, geschweige denn eine Neugründung der FPÖ. Es kann aber sein, dass da arbeitsteilig vorgegangen wird und Norbert Hofer sozusagen das freundliche Gesicht der FPÖ wird. Doch im Unterschied zu 2005 fehlt ihnen ein Beißer wie Strache. Da ist weit und breit niemand in Sicht, der in der Öffentlichkeit eine autoritäre und aggressive Führerfigur oder den Volkstribun spielen kann.

Und Kickl?


Der ist zu sehr belastet, obwohl er angeblich der beste Innenminister aller Zeiten war. Es stimmt schon, von seinen agitatorischen Fähigkeiten her ist Herbert Kickl tauglich. Aber auch er hat seine Weste beschmutzt, etwa im BVT-Untersuchungsausschuss.

Wird sich die FPÖ erholen können?


Leider ja. Weil es in Österreich keinen „Cordon sanitaire“ gibt. Als Dokumentationsarchiv haben wir immer davor gewarnt, wie problematisch solche Leute nicht nur in politischer Hinsicht sind. Deren Menschenverachtung ist nicht nur Programm, sondern wirklich habituell. In einer funktionierenden Demokratie hätten solche Leute eigentlich keinen Platz. Sie werden schnell wieder auf die Beine kommen – ich fürchte, auch mithilfe der Konservativen, die keine Koalition mit der Partei ausschließen.

Es war die Einrichtung einer Dokumentationsstelle für politischen Islam geplant. Dabei wollte man sich auch ein Beispiel am DÖW nehmen. Wird das auch unter der künftigen Regierungskonstellation der Fall sein?


Ich gehe stark davon aus. Es war ja auch ein Steckenpferd von Bundeskanzler Kurz und der ÖVP. Ich weiß nicht, ob sie es zu einer Koalitionsbedingung machen würden. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass sie es auch in einer anderen Regierungskonstellation durchsetzen werden. Wobei grundsätzlich nichts gegen so eine Stelle einzuwenden ist, wenn sie unabhängig agieren und wirklich wissenschaftlich arbeiten kann. Die Titelgebung stört mich natürlich ein wenig. Der Begriff „politischer Islam“ ist sehr weit gefasst. Man kann eigentlich bei bösem Willen jeden gläubigen und politisch aktiven Moslem dem politischen Islam zuordnen. Bei manchen, die solch eine Dokumentationsstelle forcieren, ist wohl der Hintergedanke, eine ganze Religionsgemeinschaft unter Generalverdacht zu stellen.

Der Verfassungsschutz beobachtet Islamismus bereits. Wozu also eine Dokumentationsstelle?


Man muss sagen, dass die österreichische Rechtsordnung Extremismus als solchen nicht kennt. Wir haben keine Extremismusklausel. Das bedeutet, dass sowohl der Islamismus als auch der Rechtsextremismus in Österreich legal sind. Das ist eben der Punkt! Verboten ist Islamismus plus Gewalt, das ergibt nämlich Jihadismus. Rechtsextremismus plus Gewalt ergibt Neonazismus. Das ist verboten.

Sehen Sie ein Problem mit islamischem Antisemitismus in Österreich?

Ich sehe das Problem. Aber ich gehöre nicht zu jenen, die das Problem des Antisemitismus ausschließlich auf seine islamisierten Artikulationsformen reduzieren. Man kann sagen, die schlechte Nachricht ist, dass es empirisch mehr Antisemitismus von Muslimen gibt. Die gute Nachricht ist, dass ihm argumentativ viel leichter beizukommen ist. Es gibt natürlich Unterschiede, doch die Zuschreibungen, die Juden gemacht wurden und Muslimen gemacht werden, sind sich sehr ähnlich. Indem man ein islamisches Narrativ gegen den Jihadismus starkmacht, kann man vor allem bei jungen Menschen viel erreichen. Das ist eines der Werkzeuge für Präventionsarbeit. Zudem hängt der islamisierte Antisemitismus oft mit dem Nahostkonflikt zusammen. Warum ist das eine gute Nachricht? Er ist nicht ausschließlich in den Köpfen konstruiert, wie etwa autochthoner Antisemitismus. Weil es ein real existierender Konflikt ist, gibt es Fakten, dank derer man Präventionsarbeit leisten kann. Da geht etwas!

Es ist immer wieder die Rede von importiertem Antisemitismus und dass dieser den autochthonen abgelöst hätte.

Nein, wie denn? Das geht ja gar nicht. Die autochthonen Antisemiten haben ja nicht aufgehört, Juden zu hassen. Mit der Rede vom importierten Antisemitismus soll von der Realität des autochthonen abgelenkt werden. Man sollte die Adjektive weniger betonen, dafür den Antisemitismus umso mehr. Ob islamisiert oder autochthon – Antisemitismus ist Antisemitismus, auch wenn er sich unterschiedlich artikuliert.

Die BDS-Bewegung („Boycott, Divestment and Sanctions“) ist eine transnationale politische Kampagne, die mit ihren jährlichen Aktionswochen Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren möchte. Wie bewerten Sie das?

Wir als Dokumentationsarchiv halten die BDS-Kampagne für antisemitisch. Das bedeutet nicht, dass alle BDS-Aktivisten bekennende Antisemiten sein müssen. Wir haben es hier eher mit einem Antisemitismus ohne Antisemiten zu tun. Er lässt sich an den Grundzügen, den Handlungen und Forderungen erkennen. Es geht BDS nicht um die Kennzeichnungspflicht von Waren aus besetzten Gebieten, wie es das EU-Parlament unter großer Kritik beschlossen hat. Es geht hier wirklich um den Boykott Israels, des ganzen Staates. BDS terrorisiert Künstler, weil sie in Israel auftreten, israelische Wissenschaftler und sogar NGOs, die sich für Palästinenser einsetzen. Die Boykottforderung in Verbindung mit der Dämonisierung und Delegitimisierung Israels als jüdischer Staat – das ist für uns Antisemitismus. Wer Hamas als Widerstand affirmiert, muss sich gefallen lassen, ein Antisemit genannt zu werden.

Beobachten Sie die BDS-Bewegung?

Selbstverständlich. Wir haben schon in den neunziger Jahren verstanden, dass das Beobachtungsfeld Rechtsextremismus zu eng ist. Rassismus und Antisemitismus gehen weit über die extreme Rechte hinaus, sogar bis ganz nach links. Wir betreiben natürlich auch Antisemitismusforschung und das umfasst jeden Antisemitismus.

Wie sollte mit Gruppierungen wie BDS umgegangen werden?

So wie es passiert. Es ist schön zu sehen, dass sie in Österreich nicht Fuß fassen können. Nicht zuletzt auch dank der jährlich stattfindenden linken Gegendemonstrationen. Anders als in Frankreich, England oder Spanien herrschen hier ganz andere Umstände. Wir dürfen uns jedoch nicht in Sicherheit wiegen und müssen die Kritik fortführen.

Andreas Peham, geboren 1967 in Linz, hat neben zahlreichen anderen Veröffentlichungen die Monografien „Der rechte Rand. Extremistische Gesinnungen in unserer Gesellschaft“ (2007) und „Extreme Rechte in Europa“ (2011) publiziert.

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