Notwehr im Dasein

Der eine spielt lachend mit der Welt, der andere verdingt sich als Friseur: Charlie Chaplin im Klassiker „Der große Diktator“ (1940). © Roy Export S.A.S.

Der jüdische Witz stellt die menschliche Existenz oft mit Schmerz und Bitterkeit in Frage. Ein Streifzug durch die Filmgeschichte von Ernst Lubitsch bis Woody Allen.

Von Herbert Heinzelmann

Als Moses vom Berg Sinai herabsteigt, balanciert er drei große Steintafeln in seinen Armen. Gott der Herr habe ihm fünfzehn Gebote gegeben, verkündet er und lässt noch im selben Augenblick eine der Steintafeln fallen. Als sie zerbricht, haspelt sich Moses geistesgegenwärtig aus der Zahl Fünfzehn eine Zehn zurecht – zumindest in Mel Brooks’ verrückte Geschichte der Welt (1981).

Brooks’ Komödie ist eine Parodie auf das Historienkino, vor allem auf dessen üppigste Version, das Monumentalspektakel. Sehr subtil ist der Einfall mit Moses nicht. Aber er zeigt dreierlei: Erstens, der Verfasser hat keinen Respekt vor dem Heiligen und Erhabenen. Zweitens, der Protagonist gerät in eine missliche Situation, aus der er sich mit Schlagfertigkeit herauswindet. Drittens, der Witz der Szene entsteht, weil Sprache hinzukommt: ohne Sprache würde der Witz nicht funktionieren. So lassen sich aus dieser Szene von Mel Brooks, geboren als Melvin Kaminsky und Sohn jüdischer Einwanderer in New York, beinahe die wichtigsten Elemente des jüdischen Humors herausdestillieren.

Heiter hingenommene Trauer

Es gibt viele Witze von Juden über Juden; Witze, die meistens sehr selbstkritisch sind. Zugleich sind sie aber auch identitätsstiftend, denn sie bestimmen immer wieder aufs Neue, was es bedeutet, jüdischen Glaubens zu sein. Für ein Volk, das jahrhundertelang über die Welt verstreut lebte, war dieser Kitt notwendig, sonst wäre der Volkscharakter womöglich verloren gegangen – unvorstellbar ausgerechnet bei dem Volk, das Gott als das seine ausgewählt hat. Allerdings mussten sich die Juden schon immer fragen, wie es Gott denn mit der Auserwähltheit halte. Als sie sich in der babylonischen Gefangenschaft quälten, konnten sie noch prophetische Versprechen gegen ihre Zweifel setzen. Später, in der Diaspora, blieb ihnen nur noch der Humor.

 Der deutsche Politiker und Dichter Carlo Schmid hat diesen Humor so definiert: „Der jüdische Witz ist heiter hingenommene Trauer über die Antinomien und Aporien des Daseins.“ Antinomien sind Gegengesetzlichkeiten und Aporien unauflösbare Widersprüche. Sie lassen sich illustrieren an den Beispielen der Wahl Gottes und der tatsächlichen Situation seines Volkes, beziehungsweise an der Wahl von Moses als Empfänger von Gottes Gesetzen gegenüber seiner realen Tollpatschigkeit aus der Sicht von Mel Brooks. Es ist die Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die den jüdischen Witz ausmacht, sowohl in den Bereichen des Theologischen und Philosophischen wie des ganz Banalen. Die Witze der Juden, schreibt die Schriftstellerin und Journalistin Salcia Landmann, „sind zahlreicher, tiefer, schärfer, schlagender als die der anderen Völker. Sie verspotten überhaupt nur selten bloß einzelne komische Eigenschaften des Menschen, sondern stellen oft die gesamte menschliche Situation mit Schmerz und Bitterkeit in Frage.“

Tod, Gott und Geschick

 Es gibt wohl keinen anderen jüdischen Filmemacher, der diese Regeln so gut beherrscht wie Woody Allen. Seine Figuren stellen immer die allgemein menschlichen Fragen nach Tod, Gott und Geschick. Sie sind sich ihrer existenziellen Unsicherheit und Gefährdung genauso bewusst wie der Fernsehproduzent Mickey Sachs in Hannah und ihre Schwestern (1985). Eine kleine Unregelmäßigkeit in seiner Gesundheit lässt ihn sofort in maßlos übertriebene Hypochondrie (nach Landmann ein typisch jüdisches Leiden) verfallen und mit Gott hadern. Allen arbeitet hier mit einer weiteren Methode des jüdischen Witzes: dem Aufblähen einer Nichtigkeit zur apokalyptischen Bedrohung: „Du wirst sterben, ich werd’ sterben, das Publikum wird sterben, die Fernsehgesellschaft, der Sponsor. Alle!“ Das kann nur durch witzige Banalisierung konterkariert werden: „Ich weiß. Und dein Hamster auch.“

Auch Woody Allens Witz ist in erster Linie Wortwitz. Die Sprache ist das Medium, in dem sich jüdischer Humor ausdrückt. Er ist keine Sache des Bildes; schließlich sind die Juden das erste Volk des mythologischen Bilderverbots. Deswegen sind die Filme der jüdischen Komiker-Truppe Marx Brothers visuell fast alle uninteressant. Die Sprengkraft ihres Witzes liegt vor allem in den Wortfluten von Groucho Marx, mit denen er die Logik der Sprache ad absurdum führt. Damit knüpft er an humoristische Parodien an, die auf die Wortklaubereien chassidischer Rabbis oder das magische Gemurmel der Kabbala als jüdische Esoterik abzielen. Ergänzt wird Grouchos Sprachzerstörung durch die Sprachverweigerung von Harpo Marx. Dessen Stummheit nimmt dem Juden seine letzte Waffe, den verbalen Witz, mit der er es mit der Unerträglichkeit des Daseins aufnimmt.

Gelächter über dem Abgrund

 Weil sein Humor das blitzende Dialogduell mehr als Show denn als existenzielle Notwehr kennt und weil seine Filme ohne den Aufeinanderprall der Bilder nicht witzig wären, wird der jüdische Humor zur Interpretation der Filme des jüdischen Regisseurs Ernst Lubitsch selten herangezogen. Dennoch hat Lubitsch 1942 den Film gedreht, der wie kein anderer die Verzweiflung als Grundierung des jüdischen Witzes offen legt: Sein oder Nichtsein, die erste Komödie über die Judenverfolgung durch die Nazis, unübertroffener Vorläufer aller verzweifelten Holocaust-Komödien von Jakobowsky und der Oberst (mit dem jüdischen Komiker Danny Kaye) bis Zug des Lebens. Lubitsch treibt sein Personal auf das Hochseil von Sprachverwirrung und Identitätstausch; darunter gähnt der Abgrund der Vernichtung.

In ihren Arbeiten über den jüdischen Witz hat Landmann festgestellt, dass diesem Humor mit der Gründung des Staates Israel die Voraussetzung der Diaspora verloren gegangen sei. Tatsächlich spielt er in den meisten israelischen Filmen – mit Ausnahmen wie Der Blaumilchkanal nach einem Buch von Ephraim Kishon – kaum eine Rolle. Der filmische Witz ist nach Amerika ausgewandert. Dort mutiert er im urbanen Schmelzkessel New York vom provinziellen Schtetl-Humor zur aggressiven Klamauk-Expression, die Mel Brooks für sich beansprucht. Landmann sagt: „An die Stelle des geistvollen jüdischen Witzes tritt drüben mehr und mehr die Flucht in die psychoanalytische Behandlung. Auch sie lehrt schließlich, genau wie der Witz, die miserable Wirklichkeit zu durchschauen und sie dennoch mit guter Haltung zu ertragen.“ Womit man wieder bei Woody Allen als dem exemplarischen jüdischen Filmemacher des 20. Jahrhunderts angekommen ist. Seit fünfzehn Jahren geht Alvy Singer in Der Stadtneurotiker zum Analytiker, dann meint er: „Ich geb’ ihm jetzt noch ein Jahr – und dann pilger’ ich nach Lourdes.“

Woody Allen in einer seiner autobiografisch gefärbten Großstadtkomödien, hier noch an der Seite von Diane Keaton: „Der Stadtneurotiker“ (1977). © Annie Hall 1977 United Artists
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