Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate haben Frieden geschlossen. Eine wirkliche Überraschung war die Ankündigung einer „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen den beiden Ländern nicht.
Von Johannes Gerloff (Jerusalem)
Die erste Nachricht, dass Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit Scheich Mohammed Bin Sajed Al Nahjan, dem Kronprinzen von Abu Dhabi und Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) telefoniert habe, kam nicht aus einem der beiden Länder, sondern aus den USA. Eine „umfassende Normalisierung der Beziehungen“ soll vereinbart worden sein, verkündete US-Präsident Donald Trump das Vorhaben.
Israel würde seine Souveränitätserklärung über Teile des Westjordanlandes aussetzen, so die Erklärung aus Washington. Liberale Beobachter sehen damit Israels Souveränität über Teile der Westbank vom Tisch, die Bautätigkeit in den Siedlungen eingestellt und die Zweistaatenlösung als einziges verbleibendes Ziel. Die Mehrheit der israelischen Juden sowie das weltweite Judentum zeigten sich jedenfalls begeistert. Die Siedler hingegen fühlen sich hintergangen und werfen Netanjahu vor, mit einem Land einen Friedensvertrag zu schließen, mit dem Israel nie im Kriegszustand war.
Anders als bei früheren Abkommen mit arabischen Nachbarn gingen der Ankündigung dieses Friedensvertrags keine Ausarbeitungen von Visaverträgen, Sicherheitsvereinbarungen oder Flugverbindungen voraus. Selbst Israels Sicherheitskabinett, seine Außen- und Verteidigungsminister erfuhren von Netanjahus Telefonat mit dem Scheich erst durch die Verlautbarung aus Washington, möglicherweise erst aus den Medien. Eine wirkliche Überraschung war die Ankündigung einer „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen Israel und den VAE dennoch nicht: Geheimdienste, Waffenhändler und Militärs kooperieren seit Jahrzehnten, auch in der Landwirtschaft sowie der Bewässerungs- und Cybertechnik sind schon Milliardenbeträge zwischen Israel und den VAE geflossen.
Kompromisslos
Die Vereinigten Arabischen Emirate sind ein Zusammenschluss von sieben Emiraten im Südosten der arabischen Halbinsel, unmittelbar am Persischen Golf gelegen. Nur zwölf Prozent der Bevölkerung der VAE sind allerdings tatsächlich Emiratis. Unter der arbeitenden Bevölkerung stellen sie gar nur ein Prozent. „Ein ungeschriebenes soziales Gesetz macht eine zufällige Konversation mit Emiratis schwierig, wenn sie nicht schlicht unangemessen ist“, sagt Michael Bassin, der als amerikanischer Jude Jahre in den VAE gelebt hat. Hunderte – manche Schätzungen sprechen sogar von 1500 – Juden leben in den Emiraten. Mittlerweile gibt es dort drei jüdische Gemeinden, von denen zwei orthodox sind. 2019 wurde Jehuda Sarna offiziell der Titel eines Oberrabbiners der VAE verliehen.
Unter Menschenrechtsaktivisten sind die VAE berüchtigt für das kompromisslos geltende Scharia-Recht, harte Kollektivstrafen, die Todesstrafe und dafür, dass Gastarbeiter kaum Schutz genießen. Die britische Organisation „Detained in Dubai“ („Verhaftet in Dubai“) hat seit ihrer Gründung im Jahr 2008 mehr als 10.000 Menschen betreut, die mit dem rigorosen Rechtssystem der VAE in Konflikt geraten sind.
Wie schnell man in den VAE im Gefängnis landen kann, weiß die Juristin und „Detained in Dubai“-Gründerin Radha Stirling. Der Grund mögen „verdächtig“ viele Antidepressiva im Gepäck sein oder weil ein Geschäftsmann einen einheimischen Kollegen aus Versehen an der Hüfte berührt hat. Ungefähr die Hälfte ihrer Klienten sind Geschäftsleute, die mit einheimischen Partnern in Konflikt geraten sind. Nicht nur Regimekritik, schon ein ungedeckter Scheck, „anrüchige“ oder saloppe Bemerkungen, emotionale Ausbrüche einer betrogenen Ehefrau oder auch nur ein negatives Wort über einen Autovermieter in den sozialen Medien können rechtliche Folgen nach sich ziehen.
Gemeinsamer Feind Iran
Ein entscheidender Faktor für die Annäherung zwischen dem jüdischen Staat und den VAE ist die Bedrohung durch den Iran mit seinen nuklearen und hegemonialen Ambitionen. Teheran macht aus seinem Bestreben, den Staat Israel auszulöschen, kein Hehl. Zeitgleich führen die schiitischen Mullahs und ihre Verbündeten einen teilweise sehr blutigen Krieg gegen die sunnitischen Araber im Golf, der vor allem im Jemen ausgetragen wird. Weitab von der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit wird dort mit großer Grausamkeit und ohne rechtlich nachvollziehbare Maßstäbe gekämpft. Wiederholt wurden in der Meerenge von Hormus Öltanker von iranischen Schnellbooten festgesetzt oder zumindest attackiert.
Das Atomabkommen zwischen dem Westen und dem Iran im Jahr 2015 war nicht nur Jerusalem ein Dorn im Auge, sondern wurde auch von den Golfarabern heftig abgelehnt. 2016 machte Israels UNO-Botschafter Danny Danon eine Reise nach Dubai, in der es hauptsächlich um den Iran ging. Israels Raketenabwehrtechniken ebenso wie seine Cybertechnologie sind von großem Interesse für die arabischen Golfstaaten. In den vergangenen Jahren hat Israel mehrfach unter Beweis gestellt, dass es als einziges Land im Nahen Osten willens und fähig ist, sich der Bedrohung aus dem Iran zu stellen – die auch die größte strategische Bedrohung der VAE ist.
Palästinensische Reaktionen
Deren Außenminister Anwar Gargasch betonte nun bezüglich des Abkommens, dass es sich dabei nicht nur um eine symbolische Geste handle. Vielmehr wolle sein Land weitreichende bilaterale Beziehungen aufbauen, besonders in den Bereichen Landwirtschaft, Nahrungssicherheit, Cybersicherheit, Tourismus, Technologie und Handel. Die Palästinenser forderte er auf, umgehend Friedensverhandlungen mit den Israelis aufzunehmen.
Tatsächlich war die palästinensische Führung vielleicht der einzige Player auf der Bühne des Nahen Ostens, der von Trumps Verlautbarung komplett überrascht wurde. Spontan wetterte Mahmud Abbas gegen einen „Verrat an Jerusalem, der Al-Aksa-Moschee und der palästinensischen Sache“ und berief seinen Botschafter, Issam Masalha, aus den VAE zurück.
Auf dem Tempelberg zerrissen und zertrampelten palästinensische Gottesdienstbesucher Bilder von Scheich Mohammed Bin Sajed. In Gaza, dem Westjordanland und palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon kam es zu Demonstrationen. Offiziell wird ein Abkommen zwischen Israel und den VAE als „Normalisierung ohne Gegenleistung“ von den Palästinensern vehement abgelehnt. Manche Fraktionen sprachen gar von einem „Messerstich in den Rücken“ durch einen arabischen Verbündeten, dem man vertraut habe.
Kein Notfall
Israel hat bisher mit zwei arabischen Staaten Friedensverträge unterzeichnet: Im März 1979 mit Ägypten und im Oktober 1994 mit Jordanien. Beides sind, wie die VAE, totalitäre Regimes, die ihre Bevölkerung teilweise brutal unterdrücken. Zu beachten ist auch, dass nicht erst der ägyptische Präsident Anwar al-Sadat, sondern bereits Jordaniens König Abdallah I. seine pragmatische Offenheit gegenüber dem jüdischen Staat mit dem Leben bezahlt hat.
„Normalisierung der Beziehungen mit dem jüdischen Staat Israel“ hat in der arabischen Welt einen unmoralischen Beiklang. Gleichzeitig haben Washington und Israel enthusiastisch ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen, „dass mehr arabische und islamische Staaten in naher Zukunft ihre Beziehungen zu Israel normalisieren werden“. Bahrain und Sudan sind gefolgt. Auch der Oman, Marokko, vielleicht sogar Saudi-Arabien könnten ihre Beziehungen zu Israel auf eine neue Ebene stellen. Sultan Qabus von Oman hatte Netanjahu schon im Oktober 2018 zu einem Besuch eingeladen. Und der saudische Kronprinz Mohammed Bin Salman brach wenige Wochen vor der Einladung des Sultans von Oman ein Tabu in der arabischen Welt: Er gestand den Israelis öffentlich „ein Recht auf ihr eigenes Land“ zu.
Die Palästinenser bemühen sich, mit allen Mitteln zu verhindern, dass weitere arabische oder islamische Staaten folgen. Als die US-Botschaft im Mai 2018 nach Jerusalem verlegt wurde, war es den Palästinensern noch gelungen, eine dringliche Sitzung der Arabischen Liga einzuberufen. Dieses Mal nicht mehr.