Munich

Die einen heben ihn in den Himmel, die anderen verteufeln ihn. Steven Spielberg ist zwar gewohnt, dass seine Filme für Gesprächsstoff sorgen, doch selten hat einer seiner Streifen schon vorab solche Debatten verursacht. „Munich“, der mit dem Olympia-Attentat 1972 beginnt, sich aber vor allem um die israelische Reaktion darauf dreht, ist noch nicht im Kasten, im Dezember soll der Streifen in Nordamerika, Anfang Jänner in Europa anlaufen. Doch bereits jetzt formieren sich die Anhänger und die Gegner des Films und auch Spielbergs.
Von Fritz Neumann

Nach US-Medienberichten nahm “Munich”-Drehbuchautor Tony Kushner und nimmt damit Spielberg für den Film (Produktion: Universal Pictures und Spielbergs Dream Works-Studio) Anleihen an einem umstrittenen Buch des kanadischen Journalisten George Jonas. Es trägt den Titel “Vengeance: The True Story of an Israeli Counter-Terrorist-Team”. Und genau daran stoßen sich jene, die Spielberg kritisieren. Laut “Vengeance” hatten Mossad-Agenten eher auf Geheiß denn mit Duldung von Ministerpräsidentin Golda Meir das “Komitee X”, auch “Zorn Gottes” genannt, gebildet. Es sollte alle jene Palästinenser eliminieren, die direkt oder indirekt am Olympia-Attentat beteiligt waren. Jedenfalls wurden bei Vergeltungsaktionen etwa ein Dutzend Menschen getötet, darunter auch mindestens ein Unschuldiger. Der marokkanische Kellner Ahmed Bouchiki fiel im Juli 1973 in Lillehammer einer Verwechslung zum Opfer, der Mossad hatte ihn für Ali Hassan Salameh (“der rote Prinz”), einen der Drahtzieher von München, gehalten. Die norwegische Polizei konnte sechs Mossad-Agenten verhaften, sie wurden zu jeweils fünf Jahren Haft verurteilt. Die israelische Regierung entschuldigte sich bei Bouchikis Familie und zahlte eine Entschädigung. Im Mittelpunkt von “Munich” wird also nach Angaben der Universal-Studios ein geheimes israelisches Sonderkommando stehen, das die Drahtzieher der Organisation “Schwarzer September” überführen und eliminieren soll. Spielbergs Sprecher Marvin Levy hat vergeblich betont, dass “enorme Nachforschungen angestellt und Berichte vieler Beteiligter im Skript verarbeitet” wurden. Der große Meister selbst, der sich lange Zeit in Schweigen hüllte, sah sich am Ende aufgrund der Diskussionen doch zu einem Statement veranlasst. In diesem nannte er “das Olympia-Attentat sowie die Reaktion Israels einen entscheidenden Moment in der Geschichte des Nahen Ostens”. Laut Spielberg sei es “einfach, auf historische Momente zurückzublicken. Schwieriger ist es, die Ereignisse vom damaligen Blickpunkt der tatsächlich Beteiligten zu beurteilen”. Er betrachte die israelische Reaktion auf München aus dem Blickwinkel jener Männer, “die für den Vergeltungsschlag gewählt wurden”, dabei werde “die menschliche Seite einer Tragödie” sichtbar. “Und wenn wir erkennen, wie die unerbittliche Entschlossenheit dieser Männer, ihre Mission erfolgreich durchzuführen, langsam beunruhigenden Zweifeln über ihr Handeln Platz macht, können wir meiner Meinung nach etwas Wichtiges über die tragischen Konfliktsituationen von heute lernen.” Wohl wissend, dass er sich auf heikles Terrain begeben hat, ließ sich Spielberg von Mike McCurry, einst Sprecher des Weißen Hauses, und Dennis Ross, früher Nahostbeauftragter von Ex-US-Präsident Bill Clinton, beraten. Dem Vernehmen nach hat auch Clinton selbst auf Spielbergs Bitte hin das Skript gelesen. Ansonsten wurde Geheimhaltung groß geschrieben, nur wenige Schauspieler und enge Spielberg-Vertraute sollen das Drehbuch vom Anfang bis zum Ende kennen. In der Hauptrolle des führenden Mossad-Agenten wird der Australier Eric Bana (“Hulk”) zu sehen sein, in weiteren Rollen agieren Daniel Craig, der als nächster James Bond gehandelt wird, Geoffrey Rush, Mathieu Kassovitz, Hanns Zischler und Ciaran Hinds. Auch die Darsteller haben sich öffentlich bis dato kaum über den Inhalt des Films geäußert, allein Craig wird im Magazin “Empire” wie folgt zitiert: “Der Film zeigt, dass Rache nichts bringt. Blut bringt wieder Blut hervor.” Mit Sicherheit legt es “Munich” darauf an, dass Parallelen zur Gegenwart gezogen werden. Wenn Spielberg die Frage aufwirft, wie eine Nation auf Terror reagieren soll, wird wohl am Vergleich mit der US-Reaktion auf 9/11 kein Weg vorbeiführen. Auch kann man davon ausgehen, dass der in Lillehammer ermordete marokkanische Kellner Bouchiki in “Munich” vorkommen wird – und tut er das, so liegt London mit dem von der Polizei in der U-Bahn erschossenen Brasilianer Jean Charles de Menezes nicht wirklich weit von Lillehammer entfernt. Israel hat nie formell die Urheberschaft für Tötungen übernommen, die dem Anschlag von München folgten. Bis dato gibt es zwei Filme, die sich mit München 1972 auseinander setzen: “21 Hours at Munich” (USA, 1976) und “Ein Tag im September” (Großbritannien/Schweiz, 2000), der in der ARD lief und mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Man darf darauf gespannt sein, wie Israel bei Spielberg und wie Spielberg hernach in Israel wegkommen wird. Spielberg hält derzeit bei drei Oscars, zwei bekam er für “Schindlers Liste” (Regie, Produktionsarbeit), einen für “Der Soldat James Ryan” (Regie). Mit “Munich” nimmt er den nächsten Anlauf. München 1972: Das schreckliche Ende der heiteren Spiele. Chronologie einer Geiselnahme mit tödlichem Ausgang. Von Fritz Neumann 24. August: Zwei Männer und eine Frau fliegen von Algier über Paris nach Frankfurt am Main. Zwei ihrer drei Koffer sind mit Maschinenpistolen gefüllt. Am Zoll muss nur ein Koffer geöffnet werden, es ist jener, der ausschließlich Damenwäsche enthält. 26. August: Ein Mann reist nach München, in seinem Gepäck hat er zehn Handgranaten. Die Olympischen Spiele werden eröffnet, die “heiteren Spiele”, so lautet die Devise. 4. September: Die israelische Olympia-Mannschaft ist im Deutschen Theater zu Gast, wo das Musical “Anatevka” gegeben wird. Die Palästinenser treffen sich in einem Münchner Restaurant, um letzte Details der “Operation Iqrit und Biri’m” zu besprechen. 5. September: Um 4:30 Uhr dringen acht palästinensische Terroristen ins olympische Dorf ein. Das Kommando der Gruppe “Schwarzer September” stürmt die Wohnungen israelischer Sportler, Trainer und Funktionäre in der Connollystraße. Moshe Weinberg, Betreuer der Ringer, versucht zu fliehen und wird erschossen. Josef Romano, Gewichtheber, wird angeschossen, er erliegt Stunden später seinen schweren Verletzungen. Neun Israelis werden als Geiseln genommen: Mark Slavin (Ringer), Andre Spitzer (Fecht-Trainer), Amitzur Shapira (Leichtathletik-Trainer), Kehat Shorr (Schieß-Trainer), David Berger (Gewichtheber), Josef Gottfreund (Ringer-Kampfrichter), Jakov Springer (Gewichtheber-Kampfrichter), Zeev Friedman (Gewichtheber), Eliezer Halfin (Ringer). Die Palästinenser wollen die Freilassung inhaftierter Palästinenser in Israel erzwingen, Israel lehnt ab. Die Geiselnehmer verlängern ihr Ultimatum von 12 bis 13, später bis 17, schließlich bis 19 Uhr. Der deutsche Innenminister Hans-Dietrich Genscher erreicht, mit den Geiseln sprechen zu dürfen. Er einigt sich mit dem Anführer der Terroristen darauf, dass zwei Helikopter zur Verfügung gestellt werden. Bundeskanzler Willy Brandt telefoniert mit Ägyptens Ministerpräsident Aziz Sidki, der einem Flugzeug mit Terroristen die Landeerlaubnis in Kairo verweigert. Mit einem Bus fahren die acht schwer bewaffneten Palästinenser mit ihren neun Geiseln zu zwei Helikoptern, mit den Helikoptern fliegen sie zum Militärflughafen Fürstenfeldbruck. Ein dritter Hubschrauber mit den Mitgliedern des Krisenstabs und dem israelischen Geheimdienstchef General Zamir an Bord folgt ihnen. Die Lage in Fürstenfeldbruck, kurz nach 22:30 Uhr: eine Boeing 727, betankt mit 5.000 Litern Treibstoff in hundert Metern Entfernung von den Helikoptern. Acht Terroristen stehen fünf Scharfschützen gegenüber. Zwei Terroristen untersuchen das Flugzeug. Als sie zu den Helikoptern zurückgehen, eröffnen die Scharfschützen das Feuer. Zwei Attentäter werden tödlich getroffen, die anderen setzen sich zur Wehr, eine Kugel durchschlägt die Scheibe des Towers und tötet Polizeiobermeister Anton Fliegenbauer. Über Handlautsprecher werden die Terroristen zur Aufgabe aufgefordert. Gepanzerte Polizeifahrzeuge treffen ein. Um 23:35 Uhr wird im deutschen Fernsehen fälschlicherweise berichtet, dass alle Geiseln entkommen und die meisten Terroristen tot seien. Knapp nach Mitternacht springt ein Terrorist aus einem der beiden Hubschrauber und wirft eine Handgranate hinein, der Hubschrauber explodiert sofort. Ein anderer Attentäter erschießt die vier im zweiten Helikopter sitzenden, gefesselten Geiseln. Fünf Terroristen werden getötet, drei gefangen genommen. Um 2:40 Uhr gibt Bayerns Innenminister Bruno Merk den Tod aller Geiseln bekannt. Einen Tag lang ruhen die Spiele, am 6. September versammeln sich 3.000 Sportler und 80.000 Besucher zur Trauerfeier im Olympiastadion. Der israelische Delegationsleiter Shmuel Lalkin verliest die Namen der toten Teammitglieder. Die Münchner Philharmoniker spielen Beethovens Trauermarsch der Eroica und die Egmont-Ouvertüre. IOC-Präsident Avery Brundage sagt, dass Terror den Sport nicht in die Knie zwingen könne. “The Games must go on.” Israels Olympia-Mannschaft verlässt München mit den Särgen der toten Teamkollegen am 7. September in einer El-Al-Sondermaschine, die Beisetzungen sollen noch vor den jüdischen Neujahrs-Feierlichkeiten stattfinden. Die Leichen der palästinensischen Attentäter werden auf Gaddafi-Wunsch am 11. September nach Tripolis geflogen, wo den Attentätern einen Tag später unter enthusiastischer Teilnahme der Bevölkerung ein Heldenbegräbnis zuteil wird. “Ein Freischärlerkommando hat gegen fünf Uhr früh den Zaun des Olympischen Dorfes überstiegen. Die Eindringlinge haben den Wohnblock der israelischen Mannschaft besetzt. Es wurden Schüsse und Rauch gemeldet.” Hierbei handelte es sich nicht etwa um eine Meldung aus den Nachrichten am 5. September, sondern um einen “Eventualfall”, ein Szenario, das der Münchner Polizeipsychologe Georg Sieber bereits im Februar 1972 beschrieben hatte. Sieber sollte einen Katalog mit möglichen Konflikt- und Störsituationen erstellen, er erstellte und rechnete “mit Kommandos von „Kamikaze“-Truppen, die ohne Rücksicht auf eigenes oder fremdes Leben vorgehen”. Siebers Szenario wurde in den obersten Polizeikreisen als “zu unrealistisch” abgelehnt. 8.000 Polizisten sollten vor allem außerhalb der Olympia-Austragungsstätten für Sicherheit und Ordnung sorgen. In den Stätten und auch im Olympischen Dorf war ein eigener Ordnungsdienst mit 2.100 Beamten zuständig, diese Beamten allerdings waren unbewaffnet und hatten keine polizeilichen Befugnisse. Die niedrigen, von den Terroristen leicht zu überwindenden Zäune um das Olympische Dorf wurden später von offizieller Seite auch damit erklärt, dass man gerade in Deutschland bei den Sportlerunterkünften nur ja nicht mit Mauern und hohen Stacheldrahtzäunen an Konzentrationslager erinnern wollte. Man wollte Sicherheit und Ordnung “nicht formal, blind und unflexibel” durchsetzen. Angesichts der Devise von den “heiteren Spielen”. 29. Oktober 1972: Auf dem Weg von Beirut nach Frankfurt wird ein Lufthansa-Flugzeug entführt. Die deutsche Bundesregierung entspricht rasch und ohne Konsultation Israels dem Wunsch der Kidnapper und lässt die drei überlebenden Terroristen von München frei. In den Medien wird über eine BRD-Absprache mit den Palästinensern und darüber spekuliert, dass so künftige Anschläge in Deutschland verhindert werden sollten. An Bord des entführten Flugzeugs waren nur sehr wenige Passagiere und weder Frauen noch Kinder.

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