Chronologie einer Geiselnahme mit tödlichem Ausgang.
Von Fritz Neumann
24. August: Zwei Männer und eine Frau fliegen von Algier über Paris nach Frankfurt am Main. Zwei ihrer drei Koffer sind mit Maschinenpistolen gefüllt. Am Zoll muss nur ein Koffer geöffnet werden, es ist jener, der ausschließlich Damenwäsche enthält. 26. August: Ein Mann reist nach München, in seinem Gepäck hat er zehn Handgranaten. Die Olympischen Spiele werden eröffnet, die „heiteren Spiele“, so lautet die Devise. 4. September: Die israelische Olympia- Mannschaft ist im Deutschen Theater zu Gast, wo das Musical „Anatevka“ gegeben wird. Die Palästinenser treffen sich in einem Münchner Restaurant, um letzte Details der „Operation Iqrit und Biri’m“ zu besprechen. 5. September: Um 4:30 Uhr dringen acht palästinensische Terroristen ins olympische Dorf ein. Das Kommando der Gruppe „Schwarzer September“ (siehe Kasten) stürmt die Wohnungen israelischer Sportler, Trainer und Funktionäre in der Connollystraße. Moshe Weinberg, Betreuer der Ringer, versucht zu fliehen und wird erschossen. Josef Romano, Gewichtheber, wird angeschossen, er erliegt Stunden später seinen schweren Verletzungen. Neun Israelis werden als Geiseln genommen: Mark Slavin (Ringer), André Spitzer (Fecht-Trainer), Amitzur Shapira (Leichtathletik-Trainer), Kehat Shorr (Schieß-Trainer), David Berger (Gewichtheber), Josef Gottfreund (Ringer- Kampfrichter), Jakov Springer (Gewichtheber- Kampfrichter), Zeev Friedman (Gewichtheber), Eliezer Halfin (Ringer). Die Palästinenser wollen die Freilassung inhaftierter Palästinenser in Israel erzwingen, Israel lehnt ab. Die Geiselnehmer verlängern ihr Ultimatum von 12 bis 13, später bis 17, schließlich bis 19 Uhr. Der deutsche Innenminister Hans-Dietrich Genscher erreicht, mit den Geiseln sprechen zu dürfen. Er einigt sich mit dem Anführer der Terroristen darauf, dass zwei Helikopter zur Verfügung gestellt werden. Bundeskanzler Willy Brandt telefoniert mit Ägyptens Ministerpräsident Aziz Sidki, der einem Flugzeug mit Terroristen die Landeerlaubnis in Kairo verweigert. Mit einem Bus fahren die acht schwer bewaffneten Palästinenser mit ihren neun Geiseln zu zwei Helikoptern, mit den Helikoptern fliegen sie zum Militärflughafen Fürstenfeldbruck. Ein dritter Hubschrauber mit den Mitgliedern des Krisenstabs und dem israelischen Geheimdienstchef General Zamir an Bord folgt ihnen. Die Lage in Fürstenfeldbruck, kurz nach 22:30 Uhr: eine Boeing 727, betankt mit 5.000 Litern Treibstoff in hundert Metern Entfernung von den Helikoptern. Acht Terroristen stehen fünf Scharfschützen gegenüber. Zwei Terroristen untersuchen das Flugzeug. Als sie zu den Helikoptern zurückgehen, eröffnen die Scharfschützen das Feuer. Zwei Attentäter werden tödlich getroffen, die anderen setzen sich zur Wehr, eine Kugel durchschlägt die Scheibe des Towers und tötet Polizeiobermeister Anton Fliegenbauer. Über Handlautsprecher werden die Terroristen zur Aufgabe aufgefordert. Gepanzerte Polizeifahrzeuge treffen ein. Um 23:35 Uhr wird im deutschen Fernsehen fälschlicherweise berichtet, dass alle Geiseln entkommen und die meisten Terroristen tot seien. Knapp nach Mitternacht springt ein Terrorist aus einem der beiden Hubschrauber und wirft eine Handgranate hinein, der Hubschrauber explodiert sofort. Ein anderer Attentäter erschießt die vier im zweiten Helikopter sitzenden, gefesselten Geiseln. Fünf Terroristen werden getötet, drei gefangen genommen. Um 2:40 Uhr gibt Bayerns Innenminister Bruno Merk den Tod aller Geiseln bekannt. Einen Tag lang ruhen die Spiele, am 6. September versammeln sich 3.000 Sportler und 80.000 Besucher zur Trauerfeier im Olympiastadion. Der israelische Delegationsleiter Shmuel Lalkin verliest die Namen der toten Teammitglieder. Die Münchner Philharmoniker spielen Beethovens Trauermarsch der Eroica und die Egmont-Ouvertüre. IOC-Präsident Avery Brundage sagt, dass Terror den Sport nicht in die Knie zwingen könne. „The Games must go on.“ Israels Olympia-Mannschaft verlässt München mit den Särgen der toten Teamkollegen am 7. September in einer El-Al-Sondermaschine, die Beisetzungen sollen noch vor den jüdischen Neujahrs- Feierlichkeiten stattfinden. Die Leichen der palästinensischen Attentäter werden auf Gaddafi-Wunsch am 11. September nach Tripolis geflogen, wo den Attentätern einen Tag später unter enthusiastischer Teilnahme der Bevölkerung ein Heldenbegräbnis zuteil wird. „Ein Freischärlerkommando hat gegen fünf Uhr früh den Zaun des Olympischen Dorfes überstiegen. Die Eindringlinge haben den Wohnblock der israelischen Mannschaft besetzt. Es wurden Schüsse und Rauch gemeldet.“ Hierbei handelte es sich nicht etwa um eine Meldung aus den Nachrichten am 5. September, sondern um einen „Eventualfall“, ein Szenario, das der Münchner Polizeipsychologe Georg Sieber bereits im Februar 1972 beschrieben hatte. Sieber sollte einen Katalog mit möglichen Konflikt- und Störsituationen erstellen, er erstellte und rechnete „mit Kommandos von ‚Kamikaze‘-Truppen, die ohne Rücksicht auf eigenes oder fremdes Leben vorgehen“. Siebers Szenario wurde in den obersten Polizeikreisen als „zu unrealistisch“ abgelehnt. 8.000 Polizisten sollten vor allem außerhalb der Olympia-Austragungsstätten für Sicherheit und Ordnung sorgen. In den Stätten und auch im Olympischen Dorf war ein eigener Ordnungsdienst mit 2.100 Beamten zuständig, diese Beamten allerdings waren unbewaffnet und hatten keine polizeilichen Befugnisse. Die niedrigen, von den Terroristen leicht zu überwindenden Zäune um das Olympische Dorf wurden später von offizieller Seite auch damit erklärt, dass man gerade in Deutschland bei den Sportlerunterkünften nur ja nicht mit Mauern und hohen Stacheldrahtzäunen an Konzentrationslager erinnern wollte. Man wollte Sicherheit und Ordnung „nicht formal, blind und unflexibel“ durchsetzen. Angesichts der Devise von den „heiteren Spielen“. 29. Oktober 1972: Auf dem Weg von Beirut nach Frankfurt wird ein Lufthansa-Flugzeug entführt. Die deutsche Bundesregierung entspricht rasch und ohne Konsultation Israels dem Wunsch der Kidnapper und lässt die drei überlebenden Terroristen von München frei. In den Medien wird über eine BRDAbsprache mit den Palästinensern und darüber spekuliert, dass so künftige Anschläge in Deutschland verhindert werden sollten. An Bord des entführten Flugzeugs waren nur sehr wenige Passagiere und weder Frauen noch Kinder.