Dass der einstige Mussolini-Fan Gianfranco Fini Chef von Italiens Konservativen wird, ist nur mehr eine Frage der Zeit.
Von Cornelia Mayrbäurl
„Furibondo ed arrabbiatissimo“, „rasend und sehr wütend“ soll Silvio Berlusconi gewesen sein, als sein Parteifreund Gianfranco Fini erst im März wieder einmal deutlich auf Distanz zum skandalgebeutelten Chef von Italiens regierendem Rechtsbündnis „Volk der Freiheit“ („Popolo della Libertà“, PdL) ging. Zuvor hatten Journalisten Fini danach gefragt, ob denn seine Zukunft überhaupt noch in der gemeinsam mit Berlusconi geschaffenen Partei liege. „So wie das ,Volk der Freiheit‘ derzeit aussieht, gefällt es mir nicht“, sagte Fini, Präsident der Abgeordnetenkammer in Rom und damit Italiens dritthöchster Würdenträger, trocken. Doch der smarte 57-Jährige weiß genau, wie er gelegentliche Seitenhiebe auf den Regierungschef mit Loyalitätsbekundungen ausgleichen muss. „Wenn es mir um persönliche Leadership ginge, dann hätte ich mich an meine eigene Partei geklammert. Aber ich glaube an das gemeinsame Projekt mit Silvio Berlusconi. Ich will auch keine neue Partei gründen. Wer mir ein Komplott unterstellt, hat nichts verstanden“, sagt er dann. Nicht zuletzt wegen dieses geschickten Balanceakts gilt Fini seit mindestens einem Jahrzehnt als „delfino“, als Thronfolger und nächster Chef der italienischen Rechten, wenn denn Berlusconi doch einmal über seine Frauengeschichten oder seine Schwierigkeiten mit der Justiz stolpert.
Doch für manche ist Parlamentspräsident Fini, der sich mit diesem Amt im Rücken gern als besonnener Staatsmann präsentiert, etwas ganz anderes: ein Wendehals, ein Opportunist. 1992 war Fini der Ansicht, Mussolini sei „der größte Staatsmann des Jahrhunderts, und lebte er heute, würde er die Freiheit der Italiener garantieren“. Jener Benito Mussolini, der ab Herbst 1938 immer neue „Gesetze zum Schutz der italienischen Rasse“ erlassen hatte, welche schließlich mit dem Tod von 5.916 Juden, vor allem in Auschwitz, endeten. Im Dezember 2008 hingegen enthüllte Fini im Palazzo Montecitorio, Roms Parlament, in Anwesenheit des Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinden Italiens eine Gedenktafel: „Die Erinnerung an die Verfolgung und die Gräuel, die den Rassengesetzen folgten, mögen als ewige Mahnung dienen, damit das italienische Parlament auf immer ein Bollwerk der Freiheit und Würde der Person sei.“
In den sechzehn Jahren zwischen 1992 und 2008 legte Gianfranco Fini einen langen politischen Weg zurück. Ricardo Pacifici, der Präsident der Kultusgemeinde Rom, meinte beim Besuch Finis in der römischen Synagoge im Vorjahr: „Die Tatsache, dass sich zumindest die Führung der Rechten als antifaschistisch bezeichnet, ist ein Fortschritt, den wir sorgsam hüten müssen.“
Der Reihe nach. Der Journalist und Buchautor Fini (eben veröffentlicht: „Die Zukunft der Freiheit. Unerbetene Ratschläge an die 1989 Geborenen“) startete seine politische Karriere ganz weit rechts, bei Italiens Neofaschisten. Als Protegé von Giorgio Almirante, der nur eineinhalb Jahre nach dem Sturz Mussolinis 1946 den „Movimento Sociale Italiano“ (MSI) gründete, übernahm Fini 1987 mit nur 35 Jahren den Parteivorsitz. Zuvor hatte er in der Jugendorganisation der Partei Karriere gemacht und als Journalist im Parteiblatt „Secolo d’Italia“ geschrieben.
1993 gelangte Fini in die Stichwahl um das Amt des Bürgermeisters von Rom – solchen Erfolg bei den Wählern hatte ein Neofaschist noch nie erlangt. 1993 war aber auch das Jahr, in dem in Italiens Politik kein Stein auf dem anderen blieb. Ein Erdbeben namens Tangentopoli zertrümmerte die Parteien; der riesige Schmiergeldskandal brachte das gesamte System zum Einsturz. Das Vakuum, das das Ende der ewigen Regierungspartei Democrazia Cristiana hinterließ, wurde vom Unternehmer Silvio Berlusconi rasch gefüllt, der in der Politik quasi ein neues Geschäftsfeld entdeckte. Mit dem Kabinett Berlusconi zogen 1994 erstmals einige Neofaschisten in die Regierung ein; der MSI hatte in den Wahlen das historische Hoch von 13 Prozent erreicht.
Fini erkennt, dass die neuen Zeiten auch nach einem neuen politischen Gewand verlangen. Der MSI beschließt 1995 auf einem Parteitag, sich als „Alleanza Nazionale“ (AN) neu zu gründen. Der alte und neue Präsident will die Partei für klassische Konservative, Liberale und gemäßigte Katholiken attraktiv machen und ist dafür bereit, „ohne Zögern anzuerkennen, dass der Antifaschismus historisch ein essenzieller Moment für die Wiederkehr der demokratischen Werte war, die der Faschismus aufgehoben hatte“. Ein harter Kern rund um Pino Rauti spaltet sich daraufhin im „MSI Fiamma Tricolore“ ab. 1996 ist AN, die in einem Bündnis mit Berlusconis Forza Italia antritt, mit 15,7 Prozent Italiens drittstärkste Partei.
In den Jahren darauf verfolgt Gianfranco Fini konsequent und hartnäckig das Ziel, als Politiker einer ganz normalen, reputierlichen Rechtspartei anerkannt zu werden. „AN blickt nach Israel, dem aus der Asche des Holocaust entstandenen Landes, um jene internationale Glaubwürdigkeit zu erlangen, die die Abwendung vom Faschismus bezeugt. Ein Treffen mit Benjamin Netanyahu wäre für Fini die endgültige Legitimierung auf dem Weg seiner Identifikation mit Europas liberal-konservativem Lager“, schreibt der „Corriere della Sera“ 1998. So betreibt der Sohn eines Retters Tausender Juden in Jerusalem Lobbying für Fini, es gibt vielerlei geheime Kontakte, aus Israel kommen Beobachter zu einem Parteitag von AN. Die damalige Präsidentin der Israelischen Kultusgemeinden Italiens, Tullia Zevi, bleibt den Bemühungen Finis gegenüber skeptisch: „Weder wollen wir noch sind wir dazu autorisiert, Zeugnisse auszustellen und Noten zu vergeben. Fini muss nicht gewisse Dinge sagen, um den Juden zu gefallen … er darf nicht vergessen, dass die Arbeit innerhalb der Partei stattfinden muss. Und es ist eine Arbeit, die viel Geduld erfordert.“ Für sie ist Fini „aber kein Le Pen, kein Demagoge, und daher wünsche ich mir, dass ihm sein Vorhaben gelingt.“ Um klarzustellen, dass er vor dem Holocaust nicht die Augen verschließt, besucht der AN-Parteichef im Februar 1999 Auschwitz.
Der politische Wandlungsprozess des AN-Parteichefs führt dazu, dass schließlich auch in Israel diskutiert wird, ob Fini willkommen sei oder nicht. Die Fronten verlaufen nicht immer klar, so gehen etwa in der Arbeiterpartei die Meinungen dazu auseinander. Im November 2003 ist es schließlich so weit: In Jerusalem empfängt Regierungschef Ariel Sharon den Ex-Faschisten über eine Stunde lang, und auch Oppositionsführer Schimon Peres trifft Fini. Peres meint danach: „Wir sind glücklich, dass seine Haltung zu Israel und zum Antisemitismus gereift ist; wir sind glücklich, dass seine Partei den Weg der Demokratie gewählt hat.“ Nach einem Besuch in Yad Vashem spricht Fini vom Holocaust als dem „absoluten Bösen“ und schließt auf Nachfrage eines Journalisten auch den Faschismus mit ein. Die Abkehr von der eigenen politischen Vergangenheit ist damit endgültig vollbracht.
Zuhause gehen dafür die Wogen hoch. „Fini hat unsere Gefühle verraten … er ist das absolut Böse in AN … er hat historisch Unrichtiges gesagt und er hat den Faschismus verleugnet“, beschuldigt Alessandra Mussolini, die Enkelin des Duce, den Parteichef, bevor sie AN verlässt.
2001, noch vor dem Israel-Besuch, war Fini nach einigen Jahren in der Opposition als Italiens Vizekanzler unter Berlusconi wieder in die Regierung eingezogen. Dass er auch in den europäischen Verfassungskonvent entsandt wurde, gab ihm die Gelegenheit, sich und seine Partei im Rahmen der EU als eine Gruppe ähnlich der französischen Gaullisten zu positionieren. Von 2004 bis 2006 oblag Fini dann das Amt des Außenministers – eines, das es ermöglicht oder sogar verlangt, als vom üblichen Parteien-Hickhack abgehoben aufzutreten.
Vielleicht ist der politische Wandlungsprozess des einstigen Mussolini- Anhängers auch vor dem Hintergrund zu sehen, wie er überhaupt bei den Neofaschisten landete. 2004 erzählte Fini der Zeitung „La Repubblica“ davon, wie er 1968 ins Kino ging, um den John-Wayne-Film „The Green Berets“ zu sehen. Linke Gruppen erachteten den Streifen als kriegstreiberisch und wollten Besucher vor einem Kino in Bologna daran hindern, den Film anzusehen. „Ich hatte keine genauen politischen Ansichten. Mir gefiel John Wayne, das war alles. Am Kinoeingang werde ich angerempelt, angespuckt und getreten … und als Reaktion auf so viel Arroganz habe ich mir mal die Jugendorganisation des MSI angesehen.“
Nicht nur mit der Neubewertung der Vergangenheit, auch mit den gesellschaftspolitischen Haltungen, die er mittlerweile einnimmt, geht Fini deutlich auf Distanz zum rechten Rand. In puncto künstliche Befruchtung oder hinsichtlich der Möglichkeit für Homosexuelle, ihre Partnerschaft registrieren zu lassen, vertritt er nun liberale Standpunkte und wurde dafür mehrmals auch von Parteifreunden kritisiert. Und indem er für Italien als laizistischen Staat eintrat, legte sich Gianfranco Fini mehrmals mit dem Vatikan an. Etwa auch, als 2008 die eingangs erwähnte Tafel zum Gedenken an die Rassengesetze im Parlament enthüllt wurde. Deren Infamie, so meinte der Parlamentspräsident, könne der Faschismus allein nicht erklären. Die „gehässige Bösartigkeit“ der Gesetze sei bedauerlicherweise unter den Italienern und auch in der katholischen Kirche auf keinerlei Widerstand gestoßen.
Finis politische Umorientierung findet sogar in seinem Privatleben Entsprechung. 2007 ließ er sich von seiner langjährigen Frau Daniela scheiden, die er in jungen Jahren als Sekretärin in der Parteizeitung kennengelernt hatte. Die militante MSI-Aktivistin „mit einem undiplomatischen römischen Vulgärwortschatz und undurchsichtigen Privatgeschäften“ sei ein Karrierehindernis geworden, schrieb die Schweizer „Weltwoche“. Gleichzeitig war die 35 Jahre alte Elisabetta Tulliani, die die Geliebte eines betrügerischen Fußballmanagers war, bevor sie es zum TV-Starlet mit eigener Sendung brachte, schon von Fini schwanger. Die beiden haben mittlerweile zwei Kinder. „Ein Politiker, der theoretisch ganz Familie und Vaterland ist, geriet in eine Nachmittags-TV-Geschichte“, kommentierte eine Redakteurin des „Corriere della Sera“. Jüngst erzählte Fini in einem Fernsehinterview auch, dass er durchaus die Windeln seiner kleinen Tochter wechsle, „das ist weder links noch rechts, da geht es einfach darum, ein guter Papa zu sein.“ Auch dies eine neue Facette an dem Politiker, der sonst kalt und überkorrekt wirkt.
Schon im Jänner 2007 hatte Silvio Berlusconi Fini als seinen Nachfolger genannt – falls es gelänge, aus „Forza Italia“ und AN eine neue gemeinsame Partei zu formen. Nicht ohne Schwierigkeiten, aber doch, rauften sich der schillernde Unternehmer und der steife Staatsmann zusammen. Im März dieses Jahres ging Finis „Alleanza Nazionale“ endgültig im „Volk der Freiheit“ auf. Jetzt muss der geläuterte Ex- Faschist, der ja schon langen Atem bewiesen hat, nur noch auf Silvio Berlusconis Abgang warten. Dann ist er Italiens konservative Nummer eins.