Alexia Weiss erzählt, wie sie auf die Idee kam, einen Roman zu schreiben, und warum das Zusammenleben von Juden und Nichtjuden für sie nach wie vor nichts „Normales“ hat.
Von Anna-Maria Wallner (Interview) und Paul Divjak (Fotos)
NU: Was hat Sie dazu gebracht, einen solchen Roman zu schreiben?
Weiss: Ich befasse mich schon seit vielen Jahren mit jüdischen Themen. Was in der amerikanischen Literatur gang und gäbe ist, nämlich Schilderungen aus dem heutigen jüdischen Alltag, hat mir in der deutschsprachigen Literatur gefehlt. Das wollte ich zunehmend lesen. Und da ich schon lange den Wunsch hatte, nicht nur journalistisch, sondern auch Prosa zu schreiben, habe ich mir dieses Thema gestellt: Judentum in Wien im Hier und Heute.
Gab es literarische Vorbilder?
Nicht direkt Vorbilder, aber viele, viele Bücher, die ich gerne gelesen habe. Da sind zum einen die Romane von Leon de Winter, da sind zum anderen kritische Bücher wie „Ungehorsam“ von Naomi Alderman oder „Vorsicht, Bissiger Gott“ von Shalom Auslander, da sind israelische Autorinnen wie Yael Hedaya oder Zeruya Shalev. Natürlich habe ich auch die Bücher von Lily Brett sehr gerne gelesen oder „Vienna“, den Roman von Eva Menasse. Ich wollte aber weder einen Familienroman schreiben noch etwas Autobiografisches.
Gibt es eine Grundaussage? Den Leser lässt das Buch trotz allem sehr positiv und zuversichtlich zurück.
Mit „Haschems Lasso“ wollte ich das Spektrum jüdischen Lebens heute in Österreich darstellen. Viele Romane, die sich mit dem Judentum befassen, haben den Holocaust zum Thema. Mir geht es um das Heute, darum zu zeigen, welche Themen die jüdische Gemeinde bzw. Juden in Österreich heute bewegen – und das anhand von Personen, von Frauen, die Abbild des realen Lebens sind. Wie finde ich einen jüdischen Partner, ist dabei eine zentrale Frage. Aber auch: Wie gebe ich meinem Kind Jüdischkeit mit? Und: Wie funktioniert Integration? Vielen nichtjüdischen Österreichern ist nicht bewusst, dass ein großer Teil der Gemeinde in den letzten Jahrzehnten zugewandert ist, vorrangig aus der ehemaligen Sowjetunion.
Die einzelnen Frauenfiguren wirken sehr real. Gab es echte Vorbilder?
Es ist nicht so, dass die Frau XY für Jekaterina aus dem Buch Modell gestanden hat und die Frau YZ für Rachel. Aber natürlich habe ich die Figuren in Anlehnung auf Frauentypen geschaffen, wie es sie in der Wiener Gemeinde tatsächlich geben könnte.
Welche Figur ist am authentischsten?
Das kann ich natürlich nicht sagen – hier sind die Leser am Zug. Das bisherige Feedback hat aber bereits gezeigt: Jeder findet eine andere Figur am authentischsten. Und es ist dann von jüdischer Seite immer die Figur, die die eigenen Positionen vertritt und von nichtjüdischer Seite eine Figur, die besonders „anders“, also quasi exotisch scheint.
Mit welcher Figur identifizieren Sie sich am meisten?
Ich mag natürlich alle Figuren. Meiner Wertehaltung kommen aber sicher Desirée und Ruth am nächsten.
Manche Lebenswege wirken doch ziemlich überzeichnet. Die Vollwaisin Claudia, die im Internat streng katholisch erzogen wird und dann zum Judentum konvertiert und darin voll aufgeht. Die Großmutter Hanni, die ausgerechnet beim Besuch in der alten Heimat Wien und kurz vor der Hochzeit ihres Enkels stirbt. Ist das noch reales Leben oder nötige Dramaturgie eines Romans?
Ein Roman ist ja keine Reportage. Und um Positionen aufzuzeigen, bedarf es eben ganz klarer Figuren mit teils drastischen Erlebnissen. Dass bei alten Menschen die alten Traumata wieder aufbrechen, ist übrigens traurige Realität. Die Ärzte und Psychologen bei ESRA können ein Lied davon singen. Und Konvertiten, die sich nicht wegen eines Partners, sondern aus eigener religiöser Überzeugung für das Judentum entscheiden, leben dies dann meist tatsächlich sehr streng aus.
Sie haben erst mit 18 Jahren erfahren, dass Sie jüdischer Herkunft sind. Warum?
Meine Eltern hielten es für besser, uns Kinder ohne dieses Wissen aufwachsen zu lassen, als uns einer möglichen Gefahr auszusetzen.
Wie stark hat das Ihr Leben verändert?
Natürlich hat das Auswirkungen. Zunächst habe ich die Sache beiseite geschoben, doch zunehmend habe ich mich immer mehr mit jüdischen Themen, mit dem Judentum auseinandergesetzt.
Wie jüdisch leben Sie heute? Wie stark sind Sie in der Gemeinde eingebunden?
Irgendwann fiel die Entscheidung, mich in der Kultusgemeinde als Mitglied eintragen zu lassen. Begründet war das weniger religiös als vielmehr mit dem Bedürfnis, auch ganz offiziell Teil einer Zahl zu sein. Der Zahl, die dokumentiert, dass Hitler es nicht geschafft hat, alle Juden in Wien auszurotten. Man könnte auch sagen: ein politisches Statement. Ich feiere inzwischen die großen Feste, vor allem um meiner heute dreijährigen Tochter damit von Anfang an eine klare jüdische Identität zu ermöglichen. Das ist mir sehr wichtig, dass sie in dem Bewusstsein aufwächst: Ich bin Jüdin. Ich führe aber keinen koscheren Haushalt und halte auch Schabbat nicht ein.
Wer soll dieses Buch lesen? Für wen haben Sie das Buch geschrieben?
Für alle, die sich für jüdisches Leben interessieren. Vielleicht wird gemeindeintern über die eine oder andere Frage, etwa die der „richtigen“ jüdischen Erziehung, diskutiert. Und vielleicht gewinnen Nichtjuden einen Einblick in eine Welt, die ihnen nicht bekannt ist. Damit würde auch eine Schwelle etwas herabgesetzt. Ich habe das Gefühl, dass der Umgang von Juden und Nichtjuden sich hierzulande immer noch nicht normalisiert hat. Das heißt im schlechten Fall werden weiter stereotype Vorurteile transportiert, im besten Fall gibt es eine Art Beißhemmung. Das gilt übrigens auch für die hiesigen Medien.