Das Jubiläum der Salzburger Festspiele ist Anlass, sich nicht nur mit der ruhmreichen, sondern auch der diskursiven Geschichte auseinanderzusetzen.
„Der Führer hat angeordnet, dass alle persönlichen Gegenstände des früheren Besitzers von Leopoldskron, des Professors Max Reinhardt diesem ohne weiteres zurückzugeben sind”, schrieb Hauptmann Fritz Wiedermann am 24. 11. 1938. Der persönliche Adjudant Hitlers war damit den Interventionen von Prinzessin Stephanie von Hohenlohe nachgekommen. Die Realisierung besagten Aktes allerdings ist keineswegs belegt, finden sich im Anhang doch auch Dokumente, die noch diverse Verfahrensprüfungen vorsahen. Vielmehr dürfte dies einer der typischen Schach- und Winkelzüge eines für damalige Verhältnisse atypischen Arisierungsverfahrens gewesen sein. Im Jahr 1918 hatte der Theaterprinzipal Schloss Leopoldskron erworben, seit damals war es Zeuge und Schauplatz der Festspiele in einem.
In Die Akte Leopoldskron porträtiert der Historiker Johanners Hofinger das Gebäude, recherchiert dessen Geschichte und Gegenwart. Leopoldskron kann als Synonym für Arisierung und Restitution gelten, als Ort der Kultur und der Unkultur, als Hort der Vernunft und Leidenschaft.
Von 1918 bis 1938 stand das Barockschloss mitsamt Garten und Weiher im Besitz Max Reinhardts und seiner Frau, der Schauspielerin Helene Thimig. Reinhardt empfing dort Spitzen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Er inszenierte den Wohnsitz als Teil des Gesamtkunstwerks. Die symbiotische Verbindung von Leopoldskron mit den nunmehr „arischen Festspielen“ nutzte auch das NS-Regime nach dem „Anschluss“ 1938. Reinhardt selbst sollte Leopoldskron nie mehr wiedersehen – der Mitbegründer der Festspiele starb 1943 im Exil. Seine Salzburger Besitzungen wurden, nach langwierigen Rechtsstreitigkeiten, in den 1950er Jahren an seine Erben restituiert.
Gewissenhaft
Als das „moralische Gewissen” der Festspiele bezeichnete Gerard Mortier die jährlich stattfindenden „Festspiel-Dialoge”. Die Gespräche setzten sich von Beginn an mit den jeweiligen Neuinszenierungen und ihrem gesellschaftlichen Kontext auseinander, waren quasi werkbezogene Begleiter des weltbekannten Festivals. Redner und Rednerinnen kamen aus der Kunst, der Philosophie, der Literatur, der Soziologie, der Trendforschung, dem Kulturjournalismus, der Musikwissenschaft, der Hirnforschung oder der Genetik. Menschen zu einem intellektuellen Dialog aufzufordern und daraus Neues zu entwickeln, war Michael Fischer (1945–2014), Initiator und langjährigem Leiter der Festspiel-Dialoge, immer sehr wichtig. Zu den Protagonisten der Reihe zählten unter anderem Aleida und Jan Assmann, Karl Heinz Bohrer, Elisabeth Bronfen, Massimo Cacciari, Antonia Eder und Rolf Hochhuth.
Hohelied
„Wer hier den Jedermann gibt, hat den Olymp seiner Zunft erklommen. Wer hier den Taktstock schwingt, hat sich den Titel Maestro wahrlich verdient. Die Festspiel-Intendanten schaffen jedes Jahr aufs Neue den Balanceakt zwischen Kunstanspruch und Wirtschaftlichkeit, zwischen Innovation und Tradition.“ Ein Hohelied auf hundert Jahre Salzburger Festspiele stimmt Malte Hemmerich an: Highlights aus einem Jahrhundert Festspielgeschichte mit Herbert von Karajan, Teodor Currentzis, Nikolaus Harnoncourt, Tobias Moretti, Klaus-Maria Brandauer, Anna Netrebko und vielen anderen.
Die Melange der drei Neuerscheinungen macht deutlich, worin Glanz und Reiz des Salzburger Reigens liegen.
Johannes Hofinger
Die Akte Leopoldskron
Verlag Anton Pustet, Salzburg 2020, 216 S., EUR 24,–
Ilse Fischer, Helga Rabl-Stadler
Festspiel-Dialoge
Verlag Anton Pustet, Salzburg 2020, 544 S., EUR 39, –
Malte Hemmerich
100 Jahre Salzburger Festspiele
EcoWin Verlag, Salzburg 2019, 144 S., EUR 18,–