Czernowitz ist die Heimat das 1950 geborenen Künstlers Bronislav Tutelman. Seine fotografische Auseinandersetzung mit dem Friedhof dieser Stadt in der Bukowina ist derzeit in einer Ausstellung in Vorarlberg zu sehen. NU bat Tutelman zum Gespräch.
Von Alexia Weiss
Tutelman stammt aus einer einfachen jüdischen Arbeiterfamilie, in der zwar Jiddisch gesprochen, religiöse Traditionen aber regimebedingt nicht gepflegt wurden. Mit 15 Jahren ging er nach Odessa, um an der Grekov-Kunsthochschule Malerei zu studieren. Seit 1970 lebt Tutelman als freier Künstler in seiner Heimatstadt und beschäftigt sich mit Malerei, Installationen und Fotografie.Sein Thema: ein Abbild der inneren Welt zu schaffen. Tutelman will mit künstlerischen Mitteln geistige Probleme darstellen und zugleich bereits eine Lösung bieten. Czernowitz bildet meist den Ausgangspunkt seiner künstlerischen Auseinandersetzung. Tutelman will aber kein Abbild der Stadt schaffen: Er verwendet sie nach Eigendefinition vielmehr als Basis, um Gefühle darzustellen.Czernowitz, bis 1918 Teil der k. u. k. Monarchie Österreich-Ungarn, beheimatete vor 1940 rund 43.000 Juden. Sie stellten ein Drittel der Bevölkerung dar. Heute leben nur mehr wenige Juden in dieser Stadt. Unter dem NS-Regime mussten tausende in den Lagern Transnistriens, der heutigen Ukraine, ihr Leben lassen. Und auch im Kommunismus wurden sie verfolgt. Religion zu leben, war kaum möglich. „Wir haben natürlich Chanukah gefeiert und Rosch Haschana“, erinnert sich Tutelman. Buben wurden beschnitten, und auch Bar Mitzwas hat es gegeben. „Aber Schabbat haben wir nicht eingehalten und koscher gegessen haben wir auch nicht. Gebetet, nein gebetet haben wir nicht oft.“Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich vieles geändert – auch in Czernowitz. Wer religiös leben will, tut das wieder. Und es gibt eine jüdische Schule, an der Tutelman auch Kunst unterrichtet. Das bringe ihm zwar kein Geld, aber unglaublich viel Energie, sagt Tutelman und strahlt über das ganze Gesicht. Ob er sein Judentum nun auch mehr auslebe? „Nein. Ich bete nicht. Meine Religion ist die Kunst.“Große Zukunft sieht Tutelman für seine Heimatstadt keine. Zu viele Czernowitzer seien inzwischen ausgewandert: in die USA, nach Israel, nach Mitteleuropa. Auch Tutelmans Söhne zog es in die Ferne: Der eine lebt als Künstler in New York. Der andere lernt an einer Jeschiwe in Jerusalem.Jerusalem, diese Stadt, war es auch, in der Tutelman die Idee zu seinem Friedhofsprojekt entwickelte. Bei einer Künstlerkonferenz ging es um das Schtetl von Kiew bis Galizien. Tutelmans Assoziation zum Schtetl seiner Heimat: Hier wird der Weg verschwundenen Lebens sichtbar.Tutelman nahm seine Kamera und suchte auf dem jüdischen Friedhof in Czernowitz nach Motiven, die er als Basis für seine fotografischen Collagen verwenden konnte. Er stellte dabei etwa einen Steinhaufen den zerbrochenen Überresten früherer Grabsteine gegenüber. Eine andere Arbeit reiht das Porträt eines alten Mannes, eine Aufnahme sterbender Bäume und die Ansicht eines verwitterten, schiefen Grabmales übereinander. „Der jüdische Friedhof fesselt durch seine Askese, Menschlichkeit und Schutzlosigkeit“, so der Künstler.Tutelman weiß, dass seine Auseinandersetzung mit jüdischem Sterben provokante Elemente enthält. „Es ist ja ein Kunstprojekt, kein religiöses Projekt“, betont er. Was es aber sicher ist: ein sehr persönliches Projekt.Der Katalog zur Ausstellung „Bukowina in Wort und Bild – Der Stein hinterm Aug“ wird mit den Worten eingeleitet: „Zum Gedenken an meine Eltern und an die im Holocaust umgekommenen Verwandten.“Zu sehen ist die vom Vorarlberger Arzt Thomas Weggemann initiierte Schau bis 31. Mai im Bildungshaus Batschuns (jeweils Montag bis Samstag von 9 bis 18 Uhr und an Sonntagen von 9 bis 12 Uhr). Gezeigt werden 25 Fotoarbeiten Tutelmans. Der Katalog bietet begleitend deutschsprachige Lyrik aus der Bukowina, Heimat einer ganzen Dichterschule, deren Vertreter sich als Folge des NS-Regimes in die ganze Welt verstreuten. Alfred Margul-Sperber, Klara Blum, Rose Ausländer, Moses Rosenkranz, Alfred Kittner, Immanuel Weißglas, Alfred Gong, Selma Meerbaum-Eisinger sie alle stammten aus der Bukowina. Einer der berühmtesten Söhne Czernowitz’ war aber sicher Paul Celan, der in seiner bereits 1944 entstandenen „Todesfuge“ den sozialen und kulturellen Hintergrund des Czernowitzer Mikrokosmos mit der Tragödie des Holocaust verquickte.