Meine Heldinnen waren besser angezogen

Die mittlerweile 99-jährige Lily Renée ist eine der wenigen Zeichnerinnen, die sich in der Welt der Cartoons durchsetzen konnten. Die von ihr geschaffenen Comics lassen auf den ersten Blick nicht darauf schließen, dass sie aus der Feder einer Frau stammen.

Von Danielle Spera

Mit Lily Renée unterwegs sein zu dürfen ist ein Privileg. Dieses „Unterwegs mit…“ führt uns in „Vor-Corona-Zeiten“ von Wien nach New York und zurück. Auf Lily Renée wurde ich durch den langjährigen Kulturjournalisten Hans Haider aufmerksam, der sie durch eine Reportage entdeckt hatte, die er über ihren ersten Mann, Eric Peters, schrieb.

Über Besuche in ihrer Wohnung auf der Madison Avenue mitten in der Upper East Side von Manhattan freut sich Lily Renée besonders, da sie seit einigen Jahren fast nichts mehr sehen kann. Ihre Helferin Mila, stets in neonfarbene Disco-Stretchoutfits gekleidet, ist zur Seite, wenn Frau Renée während des Gesprächs Zeichnungen, Unterlagen oder Fotos zeigen will, darunter auch Bilder aus ihrer Kindheit.

Geboren wurde sie als Lily Willheim 1921 in Wien, wo sie im vierten Bezirk nahe der Karlskirche in der behüteten Umgebung einer bürgerlichen jüdischen Familie aufwuchs. Sie zeichnete bereits von früher Kindheit an. Unter dem Esstisch, den sie als Einzelkind wie einen Schutzschirm empfand, entstanden ihre ersten Bilder, voll von Fantasie. Ihre Schule, die vom Wiener Frauenverein gegründet worden war (heutige Sir Karl Popper Schule), erwies sich als für ihre Kreativität zu wenig herausfordernd, so reüssierte sie nebenbei als Gaststudentin an der Akademie.

Der vielversprechende Weg von Lily Willheim wurde durch das Jahr 1938 brutal unterbrochen. Nach vielen Schikanen und der Überwindung zahlreicher bürokratischer Hürden gelang es, Lily mit einem Kindertransport nach Großbritannien in Sicherheit zu bringen, Lilys Eltern schafften die Ausreise in die USA. „Mein unbeschwertes Leben war mit einem Mal zu Ende, meine Freundinnen mussten flüchten, die schmerzvollen Ereignisse lassen meine Erinnerungen an diese Zeit wie ausgelöscht erscheinen.“

Männerdomäne

New York war zwar ein sicherer Hafen, jedoch musste die Familie Willheim bei null beginnen. Lily zeichnete Reklameanzeigen, bemalte Schachteln und wurde durch ihre Schönheit auch ein gefragtes Modell. Neben all dem entwickelte sie ihr zeichnerisches Talent weiter und besucht die Visual School of Arts.

Ihr Weg in die Welt der Comics eröffnete sich durch ihre Mutter, die eine Annonce zur Rekrutierung von Zeichnern in einem Comic-Verlag gesehen hatte. Nach einer kurzen Probezeit wurde Lily angestellt. „Ich wusste damals nicht einmal, was Comics waren.“ Es war die Zeit der Hochblüte der Comics. Mitten im Weltkrieg und danach war Ablenkung gefragt, gleichzeitig wurden Zeichner händeringend gesucht. In den Comics waren Superhelden und auch Superheldinnen im Einsatz gegen das Böse, und so schuf Lilly Renée mit Señorita Rio eine Superwoman, die engagiert gegen die Nazis kämpfte. „Wir zeichneten alle ähnliche Protagonisten. Meine waren jedenfalls definitiv besser angezogen“, erzählt sie bis heute stolz. Gleichzeitig meint sie bescheiden: „Ich bin ja nur die Illustratorin, die Figur und die Story hat jemand anderer erfunden“, ohne zu erwähnen, dass sie als Frau in der männerdominierten Comic-Welt eine Ausnahmeerscheinung war. Intern erlebte sie zahlreiche #MeToo-Momente, wie man es heute nennen würde. Fanpost erhielt sie an den Adressaten „Mr. Renée“, da sie ihre Comics mit „L. Renée“ signierte und alle dachten, dass die sexy angehauchten Comics aus der Feder eines Mannes stammen müssten.

Besondere Reise

Neben ihren Comicserien schuf Lily Renée aber auch Entwürfe für Stoffe oder ein Kinderbuch, das ihr besonders am Herzen lag: Red Is The Heart. „Die Verlage hier haben es abgelehnt, das Buch herauszubringen. Das Buch sei nichts für amerikanische Kinder, wobei ich nicht verstehe, ob Kinder in den USA anders sind als alle anderen.“ Den Herzenswunsch nach der Publikation ihres Kinderbuchs wurde Lily Renée vom Jüdischen Museum Wien erfüllt, es kam anlässlich der Ausstellung Die drei mit dem Stift heraus. Nach der Renaissance ihrer Arbeiten in der Welt der Comics zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde Lily als Teil der Ausstellung des Jüdischen Museums Wien – neben Leben und Arbeit von Bil Spira und Paul Peter Porges – in ihrer Heimatstadt Wien wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt.

Lily Renée zur Ausstellungseröffnung in Wien willkommen zu heißen, war ein ganz besonderer Moment. Dass sie mit 98 Jahren nochmals zurückkommen würde, hätte sie selbst nie geglaubt. „Zu Hause fühle ich mich heute nirgends. Auch wenn ich schon so viele Jahre in New York wohne. Jetzt freue ich mich auf ein Stück Wiener Schnitzel und ein Himbeer-Soda. Das ist auch eine Art, das Zuhausesein wieder zu empfinden.“ Österreich ehrte Lily Renée mit einem Orden, worüber sie sich natürlich freute – viel mehr jedoch darüber, dass ihre Enkel und Urenkel wieder in Wien ansässig sind. Dass die Ausstellung Die drei mit dem Stift im Frühjahr 2021 im Austrian Cultural Forum in New York zu sehen sein wird, bedeutet die Abrundung einer ganz besonderen Lebensreise.

An eine von Frauenhand geführte Feder würde man bei Lily Renées Zeichnungen für die „Abbott & Costello“-Reihe nicht denken.
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