Manfred Bockelmann ist ein Philosoph seiner selbst. Er vermag sich wie von außen zu betrachten. Ein Maler der Stille wird achtzig, und scheut sich auch nicht vor lauten Botschaften seiner Bilder.
Von Hubert Nowak
Vom Wohnzimmer fällt sein Blick auf die ineinander fließenden Horizonte der Kärntner Berge, dahinter die Karawanken. Diese Unendlichkeit der Weite war ihm oft das Motiv für seine abstrakten Landschaften. Je älter er wird, desto mehr geht er ins Detail. Ein Baumstrunk, ein hingeworfener Bademantel, ein Gesicht wird mit all seinen Adern, Fasern und Schatten auf Großformaten förmlich seziert. „Ich habe mein Spätwerk schon sehr früh gemacht“, sagt Bockelmann in Anspielung darauf, dass Künstler im Alter meist immer abstrakter werden. Er geht jetzt mehr in die Tiefe, schaut immer noch genauer hin. Auf welkende Blätter, auf Hochhäuser in New York, auf Arbeitsmäntel von Kernphysikern. Schaut den Kindern in die Augen, die von den Nazis ins Gas geschickt worden sind.
„Ich musste das machen“, sagt er über diese Bilder gegen das Vergessen, „aus Scham für meine Generation über den Holocaust.“ Nie war er Porträtmaler. Aber Kindern, die in Auschwitz ermordet wurden, als er geboren wurde, musste er neue Präsenz verleihen. Mit Kohle auf unschuldig weißer Leinwand. Erkennungsdienstliche Fotos der Nazis waren die Vorlage. „SS-Leute in Auschwitz waren Hobbyfotografen.“ Verunsicherte Gesichter. Angst. Leute aus dem Dorf seiner Kärntner Umgebung waren die ersten Testseher. „Viele waren Haider-Wähler, aber alle waren beeindruckt“, sagt er. Daraus eine Ausstellung zu machen, war gar nicht einfach. Sehr groß waren die Ängste vor der Erinnerung. Aber es gelang. Zuerst in Wien, im Leopold-Museum, und dann, ganz spektakulär in Berlin. Vor dem Bundestagsgebäude.
Er wurde im Krieg geboren, 1943, und sieht es als Glück an, dass er in eine gute Zukunft gehen konnte. Dennoch, als Kind war er von Ängsten geplagt, von Unsicherheiten. „Ich hab mich durch die Schule geduckt.“ Ungern war er in Räumen, viel lieber im Freien. „Ich wurde Maler, um mich von meinen Ängsten zu therapieren“, gesteht er. Vielleicht hat er schon von daher den Blick für die Details in der Natur.
Eigentlich sollte er, der Nachzügler nach zwei wesentlich älteren Brüdern, Landwirt werden. Aufgewachsen auf Schloss Ottmanach am Kärntner Magdalensberg war er ausersehen, den elterlichen Gutsbetrieb weiterzuführen. Denn bei Udo war das überragende musikalische Talent sehr früh klar und so dominant, dass sogar die Eltern bald mit dem Klavierspielen aufhörten, und John wurde Industriekaufmann.
Doch Udo Jürgens hat die zeichnerischen Fähigkeiten des Bruders erkannt und gefördert. Als er schon ein gefeierter Sänger war, hat er Manfreds Arbeiten immer genau angesehen. Die beiden waren in der Kunst verbunden, einerlei ob Musik oder Malerei, das war ihre Achse. In der Kunst haben sie sich immer verstanden. Der Musiker beneidete den Maler um die Beständigkeit seiner Bilder, im Vergleich zur vermeintlichen Flüchtigkeit seiner Lieder. Mit „Mein Bruder ist ein Maler“, hat er ihm ein Denkmal gesetzt. „Das war ein Weihnachtsgeschenk von ihm an mich“, erinnert sich Manfred zurück. „Er hat davor lang mit mir gesprochen, über die Kunst, über sein unstetes Leben und meine Zurückgezogenheit. „Die Erde ist ihm untertan, er herrscht mit seinen Farben / Über Meer und Länder, über Glück und Träumerei.“ So heißt es in dem Lied. Er herrscht also. Sieht seine Welt oft in kräftigem Blau. Ein Blatt, ein Ast, ein Baumstamm. In blau. Manfred Bockelmann sieht sich freilich nicht als Schöpfer neuer Welten, erklärt das ganz profan: „Blau ist die überwiegende Farbe der Erde, das Firmament, das Wasser. Auch die Fruchtbarkeit ist eingebettet in diese Farbe. In der Fotografie wären alle Fotos blau, würden nicht entsprechende Filter eingesetzt.“
Er, der Fotograf, weiß das natürlich. Hat er doch mit der Kamera der Mutter sein erstes Geld verdient. Als Udo mit siebzehn schon eine Band hatte und ein Foto brauchte, hat das der achtjährige Bruder gemacht. Später, als er in München wohnte, um nicht zum Militär zu müssen, fotografierte er Studenten für Passfotos, Schauspieler, die Gefängnisdirektorin von Moabit oder schöne Mädchen wie Uschi Obermaier und Karin Feddersen, noch vor ihrer große Modelkarriere. Später wurde er Herausgeber von Kunstbänden, auch mit Friedensreich Hundertwasser. Blieb letztlich der Kamera immer treu. Heute noch ist sie sein Skizzenblock für die Malerei, für Details, die er dann groß macht.
Kunst ist für ihn universell. Gute Fotografie ist gleichwertig zur Malerei. Skulpturen faszinieren ihn. Kunst kann politisch sein und Gutes bewirken. Für Rotary hat er mit schwerstbehinderten Kindern gemalt, mit seiner Signatur dann auch gut verkauft. Für diese Kinder. Generell ist ihm bei Rotary wichtiger, was man bewirken kann. Freundschaft alleine ist ihm zu wenig. „Die kann man auch nicht verordnen“, sagt er. Auch da ist Bockelmann mehr ein Mann der Stille. Seine Kunst braucht Ruhe. Egal, in welchem Genre. Er hat Bücher gestaltet und auch Filme gemacht. „Würde mir jemand anbieten, Regie in einem Theater zu führen, würde ich ja sagen.“ Ein Universalkünstler? „Es gibt Leute, die das behaupten.“ Nur mit der Musik hält er sich zurück. Am Klavier improvisiert er bisweilen. Da spürt man immer noch die Übermacht von Udo, dem großen Entertainer.
Manfred Bockelmann wohnt im ehemaligen Wirtschaftsgebäude des damaligen Gutshofs, die alte Scheune daneben ist sein Atelier. Zwar ist es da im Winter sehr kalt, aber dafür hat er viel Platz. Den braucht er, für seine großformatigen Bilder. „Großformate sind schon auch etwas für die Eitelkeit“, gesteht er augenzwinkernd, „natürlich will ich überwältigend wirken mit den Bildern.“ Die bleiben länger erhalten. Aber davon verkauft man weniger. Und „kleine Bilder sind vom Arbeitsaufwand her fast identisch“. Versonnen blättert er in den Stapeln seiner Arbeiten. Zieht eines heraus. Ein Diptychon aus 1979. Zarte Schichten, wie ein Fenster zu fernen Horizonten. „Das ist schon gut. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass man später immer besser wird“, meint er über seine eigene Arbeit der frühen Jahre. Dann ein großes Porträt von Christine Lavant, der Dichterin aus dem Lavanttal. Kohle, nur waagrechte Striche. Und dennoch diese eindringlichen Augen. Für eine Lesung der Schriftstellerin hat er es einmal gemacht. Später wurde es technisches Vorbild für die Porträts der ermordeten Kinder von Auschwitz.
Die Bilderstapel in der Scheune sind ein Panoptikum seines Weges. Stille Landschaften, Zeichnungen, Gesichter. Daneben Skulpturen, Montagen. Immer wollte er sich verändern. Auch wenn die Käufer lieber das Wiedererkennbare wollen. „Ich wollte mich nicht selbst kopieren“, sagt er, auch wenn das dem Markt widerspricht. „Das ist doch furchtbar, wenn man als Künstler so denkt.“ Ein Nitsch musste eben immer schütten. Das erkennen die Leute. Bockelmann sucht seine Anerkennung in der unmittelbaren Umgebung. Kritisiert, dass die Kunst so oft nur nach Geld bemessen wird. Dass die Teuersten als die Besten gelten. „Wir werden erst in 100 Jahren wissen, wer heute der beste war.“ Das müssen auch nicht die sein, die heute schon die Museen füllen.
Zeitgenössische Kunst in Museen hält er generell für problematisch. „Museen sind ein Beerdigungsinstitut“, sagt er spitz, „sie sind wichtig für die Kunst, aber problematisch für die Künstler.“ Weil sie zum Stillstand verleiten. Den kann Bockelmann sich selbst mit achtzig nicht vorstellen. Die Wiener Albertina hat vor 40 Jahren schon von ihm Bilder gekauft. „Die wurden seither nicht mehr gesehen. Erst nach meinem Tod, wenn ich einen Durchstarter hab, werden sie die rausholen“, lacht er. Aber da er Stillstand nicht mag, wird man darauf noch lange warten müssen.
Dieser Text ist erschienen im „Rotary Magazin“, Ausgabe Juni 2023. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.