Es sei, schrieb die israelische Zeitschrift „Haaretz“ anlässlich der ungewöhnlich hohen Beteiligung der jüdischen Gemeinde an den Krönungsfeierlichkeiten für King Charles, „a Jewish Coronation“. Als einziges Wiener Museum besuchten Charles und Camilla vor sechs Jahren im Rahmen ihrer Wien-Visite das Jüdische Museum Wien. Persönliche Erinnerungen der damaligen Direktorin.
Von Danielle Spera
Als am Samstag, den 6. Mai 2023, zum ersten Mal seit siebzig Jahren wieder ein britischer Monarch gekrönt wurde, war das auch ein besonderer Tag für die jüdische Gemeinde Großbritanniens. Durch die enge Beziehung von König Charles mit dem Judentum wurde die Krönung auch zu einem Ereignis mit und für die britischen Jüdinnen und Juden.
Der britische Oberrabbiner Sir Ephraim Mirvis rief dazu auf, dass jedes Gemeindemitglied an diesem Tag Mitzwot, gute Taten zu Ehren des neuen Königs, vollbringen solle. Er selbst und seine Frau wurden nicht nur zur Zeremonie eingeladen, sondern hatten vor der Krönung als Gäste bei King Charles übernachtet, um die Schabbat-Ruhe einhalten zu können. Unter den Musikstücken hatte das Königshaus sich auch drei Kompositionen von jüdischen Musikerinnen und Musikern gewünscht. Zum Schluss der Zeremonie in der Westminster Abbey durften die Religionsvertreter Grußworte an den neuen König richten. Diese Botschaft der Gemeinsamkeit war auch eine Premiere. Die bedeutende Beteiligung der jüdischen Gemeinde an der Krönung ließ die israelische Zeitschrift Haaretz titeln: „A Jewish Coronation“.
Das britische Königshaus pflegt insgesamt einen entspannten Umgang mit dem Judentum. Zwar war Königin Elizabeth in ihrer gesamten Regentschaft nie nach Israel gereist, doch besuchte sie 2015 Bergen-Belsen, das einzige Konzentrationslager, das 1945 von britischen Truppen befreit wurde. Und sie erhob zahlreiche Rabbiner oder jüdische Persönlichkeiten in den Adelsstand beziehungsweise ernannte sie in das House of Lords. Prinzessin Anne ist in zweiter Ehe mit Timothy Laurence verheiratet, der väterlicherseits jüdische Vorfahren hat. Ganz abgesehen davon gibt es im britischen Königshaus seit Jahrhunderten die Tradition, dass jedes männliche Baby von einem Mohel, also einem religiös ausgebildeten Fachmann, beschnitten wird. Nur Prinzessin Diana hatte sich geweigert, dies bei ihren Söhnen William und Harry durchführen zu lassen. Wie tausende andere Juden wurde König Charles vom Londoner Rabbiner Jacob Snowman beschnitten.
König Charles hat eine besondere enge Verbindung zur jüdischen Gemeinde, etwa durch seine Freundschaft mit dem früheren britischen Oberrabbiner Lord Jonathan Sacks. Bei dessen Pensionierung 2013 hielt Charles eine brillante Rede, in der er darauf anspielte, dass beide gleich alt seien; der Oberrabbiner ginge in Pension, während er sein Amt als König noch gar nicht angetreten habe. Als Lord Sacks überraschend starb, würdigte Charles ihn mit den Worten, Sacks sei „ein Licht für seine Nation“ gewesen, er würde ihn mehr vermissen, als er je in Worte fassen könnte.
Bei vielen Gelegenheiten hob Charles hervor, dass er, geboren 1948, genauso alt sei wie der Staat Israel. Besonders wichtig ist ihm die Tatsache, dass seine Großmutter väterlicherseits, Alice von Battenberg, im Zweiten Weltkrieg eine jüdische Familie gerettet hatte. Während ihrer Arbeit für das Rote Kreuz versteckte Alice von Battenberg, die von Geburt an gehörlos war, die griechisch-jüdische Familie Cohen vor den Nazis. Als sie dazu verhört wurde, gab sie vor, nichts zu verstehen. 1993 erhielt sie posthum die Ehrung „Gerechte unter den Völkern“ der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Ihrem Wunsch entsprechend wurde Alice von Battenberg in der Maria-Magdalenenkirche auf dem Ölberg in Jerusalem beerdigt. Aus dem Garten des dortigen Klosters stammen auch die Oliven für das Öl, mit dem Charles und Camilla anlässlich der Krönung gesalbt wurden. Ein Besuch am Grab seiner Großmutter stand für den nunmehrigen König Charles bei jeder Reise nach Israel auf dem Programm. Er besitzt übrigens eine eigens für ihn gestaltete Kippa aus blauem Samt, die mit dem Wappen des Prinz of Wales, seinem früheren Titel, bestickt ist. Eine neue Kippa ist vermutlich bereits in Arbeit.
2017 reiste Charles gemeinsam mit seiner Frau Camilla nach Wien, ich hatte das große Privileg, die beiden durch das Jüdische Museum führen zu dürfen. Besuche aus dem britischen Königshaus stehen nicht auf der Tagesordnung österreichischer Museen. Umso glücklicher waren wir, dass HRH, der Prince of Wales, sich unter allen Wiener Museen das Jüdische Museum ausgesucht hatte. Dieser Entscheidung gingen aufregende Wochen voran. Mitte Februar erreichte mich ein Anruf aus der britischen Botschaft in Wien. Man sei beauftragt, Kultureinrichtungen für den royalen Besuch zu sondieren. Aus diesem Grunde würde eine Abordnung des Royal Household unser Museum gründlich unter die Lupe nehmen. Die überraschende Ankündigung erfolgte mit dem Ersuchen um allerstrengste Geheimhaltung. Die achtköpfige Delegation des Buckingham Palastes erschien auf die Minute pünktlich am 28. Februar 2017 um 16 Uhr. Die Namen Charles und Camilla wurden nicht ausgesprochen, sondern es hieß „Male Principle“ (Prinz Charles) und „Female Principle“ (Herzogin Camilla). Wenige Tage später wurde eine Gruppe von Sicherheitsleuten aus dem Königshaus eingeflogen, um das JMW auf seine Sicherheitslage zu überprüfen. Es folgten unzählige E-Mails mit ebenso vielen Fragen, und schließlich erhielt ich von Clarence House, dem Sitz des damaligen Thronfolgerpaares, einen minutiösen Ablauf für den Besuch am 7. April 2017. Neben einer Führung wünschte sich Charles, Holocaust-Überlebende kennenzulernen, die mit Hilfe von Kindertransporten in Großbritannien überlebt hatten, sowie ein Treffen mit Jugendlichen aus dem Nahen Osten. Er hatte von den Programmen erfahren, die wir seit 2016 für muslimische Flüchtlinge durchführten, und wollte einen Eindruck davon bekommen. Für beide Gruppen nahm sich das royale Paar viel Zeit. Dem heutigen König war es wichtig, mit jedem einzelnen Anwesenden zu sprechen und deren Lebensgeschichten zu erfahren. Mit höchster Aufmerksamkeit hörten Charles und Camilla allen Geschichten zu. Am Schluss blieb auch noch Zeit für humorgewürzten Small Talk. Ich persönlich war überwältigt von der Sympathie und Offenheit, mit der mir der damalige britische Thronfolger begegnete, und für sein leidenschaftliches Interesse am und sein Wissen über das Judentum.
Daher ein großes „Mazel Tov“ für den neuen König!