Vor zwei Jahren bahnte sich ein Rechtsstreit zwischen dem Rothschild-Nachfahren Geoffrey Hoguet und der Stadt Wien an. Es geht um die Zukunft der Rothschild-Stiftung und um die fragwürdige Haltung der Stadtpolitik in dieser Causa. Ein Überblick und fünf Fragen.
Von Nini Schand
Am 22. März 2021 wurde Geoffrey Hoguet die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Als symbolische Geste, wie es seitens der Stadt hieß. Was für eine Koinzidenz – oder doch viel mehr Ambivalenz. Denn gleichzeitig streitet Hoguet mit der Stadt Wien an anderen Schauplätzen heftigst um das Vermächtnis seiner Familie. Mit „Gesten“ wird es hier nicht getan sein. Schließlich geht es um die Wiederrichtung eines unabhängigen Kuratoriums für die Rothschild-Stiftung.
„Die österreichischen Rothschilds sind nicht nur ausgestorben, sondern wurden ausgelöscht. Es gibt in Österreich heute nicht mehr viel, was an sie erinnern könnte“, schreibt der Historiker Roman Sandgruber in seinem Buch Rothschild: Glanz und Untergang des Wiener Welthauses über deren Wiener Linie. Der aktuelle Fall Rothschild/Hoguet – oder besser das Verhalten der Stadt Wien – scheint diesen traurigen Befund geradezu einzuzementieren.
Worum geht es eigentlich und warum tut sich die Stadt Wien so schwer, anzuerkennen, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht?
Die Vorgeschichte
Der in den USA lebende Nachfahre der Wiener Rothschild-Linie kämpft um das Vermächtnis seines Urgroßonkels Nathaniel Rothschild. Geoffrey Hoguet fordert, dass dessen Stiftung rechtmäßig wiederhergestellt wird. Nathaniels Bruder Albert hatte 1907, zwei Jahre nach Nathaniels Tod, in dessen Auftrag die „Nathaniel Freiherr von Rothschild’sche Stiftung für Nervenkranke“ gegründet, ausgestattet mit zwanzig Millionen Kronen (heute ca. 120 Mio. Euro). Dies ermöglichte 1912 die Gründung der Nervenheilanstalt am Rosenhügel und zwei Jahre später im Maria-Theresien-Schlössel in Döbling, um „mittellose Österreicher, ohne Rücksicht auf Nationalität, politische Richtung und Konfession, die unter psychischen und neurologischen Problemen leiden“, zu unterstützen. Eine Gründung, geprägt von gesellschaftspolitischer und sozialer Verantwortung und vom Willen, dies auch für nachfolgende Generationen zu sichern. Damit legte Rothschild den Grundstein für eine der zentralen Gesundheitseinrichtungen in der Stadt.
Geoffrey Hoguet ist es nicht nur aus historischen Gründen ein Anliegen, nach der Vertreibung aus Österreich eine moralische und rechtliche Wiedergutmachung einzufordern, sondern auch aus persönlichen Gründen – er ist selbst an Parkinson erkrankt. Und schließlich geht es dabei auch darum, der Erinnerung an seine Familie gerecht zu werden. Außer rostigen Initialen in einem Balkongitter am Rosenhügel erinnert dort gar nichts an die Rothschild’sche Gründung.
Albert Rothschilds Sohn Alfons, also Geoffrey Hoguets Großvater, war Mitglied des zwölfköpfigen Stiftungskuratoriums, das aus neun von der Familie zu nominierenden Mitgliedern, zwei Vertretern des Landes Niederösterreich und einem Vertreter des Landes Wien bestehen sollte. Bis 1938, als die gesamte Familie Rothschild aus Österreich vertrieben, ihr Vermögen geraubt und arisiert wurde. Die Stiftung wurde Ende 1938 aufgelöst und das Bar- und Immobilienvermögen der Stadt Wien übertragen.
1956 wurde zwar aufgrund des Urteils der Rückstellungskommission die Rechtspersönlichkeit der Stiftung auf der Grundlage der ursprünglichen Satzung wiederhergestellt. Allerdings – und das ist der Ausgangspunkt der aktuellen gerichtlichen Auseinandersetzung – wurde die Stadt Wien als Verwaltungsorgan festgelegt und die Einsetzung des unabhängigen zwölfköpfigen Kuratoriums unter Einbindung der Familie gemäß Stiftungssatzung einfach ignoriert. Später argumentierte die Stadt Wien, dass man die Erben nicht hätte finden können.
Scheinerrichtung und Scheingeschäfte
Das scheint wenig nachvollziehbar, liefen doch die Jahre zuvor schon zahlreiche zum Teil langwierige Rückstellungsverfahren mit der Familie oder waren bereits abgeschlossen. Abgesehen von den fragwürdigen Vorgängen rund um die Rückstellung der Kunstsammlung wurden beispielsweise Louis Rothschild 1948 Liegenschaften bei Waidhofen an der Ybbs und Göstling zurückgestellt, auch die Abwicklung des Bankhauses (Überlassung an die Republik unter der Bedingung der Errichtung eines Pensionsfonds) erfolgte 1949. Die beiden Palais wurden 1950 nach der Rückgabe an Louis Rothschild und seine Schwägerin Clarisse Rothschild, Hoguets Großmutter, an die Arbeiterkammer verkauft und bekanntlich abgerissen.
Infolge der formellen Wiedererrichtung entwickelte sich bis 1962 ein einzigartiges Rückstellungsverfahren innerhalb der Stadt Wien, und zwar zwischen der MA 12, die über die Stiftung schaltete und waltete, und der MA 65. Anlass war ein beträchtlicher Grundstücksverkauf von fast sieben Hektar an die Wien Film im Jahr 1942. Nach gegenseitigen Verzichtserklärungen und Aufrechnungen wurde der Stadt Wien das Vorkaufsrecht auf alle Liegenschaften der Stiftung eingeräumt. Dies war das Ergebnis eines Vergleichs: Die Stadt Wien vergleicht sich mit der Stadt Wien – das klingt nicht nur höchst befremdlich, sondern war auch eine mehr als fragwürdige Konstruktion, in der die Familie Rothschild außen vor gelassen wurde. Denn die Verwaltung blieb bei der Stadt Wien.
Nach mehreren Grundstücksverkäufen 2002 an – man ahnt es bereits – die Stadt Wien erfolgte 2017 der nächste merkwürdige Schritt, um nicht zu sagen eine Zäsur: Die Stiftungssatzung wurde dahingehend geändert, dass die Stadt Wien als Letztbegünstigter des Stiftungsvermögens eingesetzt wird. Die Frage ist: Zu welchem Zweck wurde dies – wieder ohne die Familie zu kontaktieren – veranlasst? Juristen sind sich einig, dass eine Änderung der Stiftungssatzung nur mit Zustimmung des Rechtsnachfolgers erfolgen kann. Und als Urgroßneffe des Stiftungsgründers sowie als Enkel des letzten Kuratoriumsvorsitzenden will Hoguet dies nun gerichtlich durchzusetzen. Über die Intention der Änderung der Stiftungssatzung kann nur spekuliert werden.
„Perpetuierte Arisierung“
Die Stadt Wien hat offenbar nicht mit Geoffrey Hoguet gerechnet, der sich gegen die, wie er meint, „perpetuierte Arisierung“ wehrt und dementsprechend gegen die Änderung der Stiftungssatzung Beschwerde eingelegt hat. Mehrere Fragen drängen sich auf:
- Wieso wurden bei der Wiedererrichtung der Stiftung nach dem Krieg die Nachkommen der zur Emigration gezwungenen Rothschilds wiederholt übergangen?
- Wieso begegnet man seitens der Stadt Wien dem Ansinnen der Nachfahren von Nathaniel Rotschild, die Stiftung gemäß Satzung wiederherzustellen, ausschließlich mit vorverurteilender Abneigung?
- Wieso muss sich Geoffrey Hoguet bis heute Einsicht in die Akten der Stiftung gerichtlich erkämpfen?
- Aus welchen absurd anmutenden Gründen wird dem Urenkel von Stiftungsgründer Albert Rothschild Parteienstellung verwehrt?
- Warum fällt es der Stadt Wien so schwer, historisch und moralisch reinen Tisch zu machen?
Groteske Argumentation
Die Stadt Wien behauptet, sie habe in den letzten Jahrzehnten Millionen für Erhalt und Betrieb des Spitals aufgewendet. Doch sie hat auch seit 1957 moralisch und rechtlich fragwürdigen Schritte gesetzt. Die Argumentation, dass die Erben nach dem Krieg keinen Antrag auf Wiedererrichtung der Stiftung gestellt hätten, erinnert an die absurden Hürden und Blockaden unzähliger Rückstellungsverfahren der Nachkriegszeit. Bisher stieß man in Wien auf eine Mauer der Verdrängung, der Ablehnung und Anfeindung.
Vor dem Bezirksgericht Hietzing erreichte Hoguet in einer ersten Etappe, dass ein sogenannter Kollisionskurator eingesetzt wird. Das Gericht folgte Hoguets Argumentation, dass die Doppelrolle des Magistrats als Verwalter als auch eventuell Begünstigter der Stiftung unvereinbar sei. Es stelle eine klare Interessenkollision dar, wenn der Magistrat die Stiftung in Verfahren gegen den Magistrat vertreten müsse. Aufgrund der Rekursion der Stadt Wien gelangte die Causa im März 2021 zum Landesverwaltungsgericht Wien, das dem Urenkel des Stiftungsgründers Parteienstellung im Verfahren verwehrt, da er weder Begünstigter noch Organ der Stiftung sei. Mit dieser grotesken, aber rein formalen Argumentation kam es also noch gar nicht zum Kern der Sache. Damit hat die Stadt Wien diese Etappe für sich und somit auch Zeit gewonnen. Auf den für Herbst angekündigten Bericht der von der Stadt Wien erst auf öffentlichen Druck hin eingesetzten unabhängigen Historiker-Kommission, der Gerhard Baumgartner, Oliver Rathkolb, Ilse Reiter-Zatloukal und Ulrike Zimmerl angehören, darf man gespannt sein.
Geoffrey Hoguets Kampf um Gerechtigkeit geht weiter. Vor dem Verfassungs- und vor dem Verwaltungsgerichtshof. Mit der neuen Staatsbürgerschaft.