Mit „Micha Shagrir“, einem Porträt über den israelischen Filmemacher und gebürtigen Linzer, feierte das Filmfestival Crossing Europe heuer seine Eröffnung – ausnahmsweise im Internet. Ein Gespräch mit Regisseur Michael Pfeifenberger über seine Freundschaft mit Shagrir, Israel und Sätze, die ihn hellhörig werden lassen.
Der als Josef Michael Schwager geborene Micha Shagrir war im August 1938 – damals knapp ein Jahr alt – gemeinsam mit seinen Eltern vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach Palästina geflüchtet. Bis 1942 lebte die Familie in Heftziba, später in Tel Aviv und Cholon. In den sechziger Jahren begann sich Shagrir für das Kino zu interessieren – als Regisseur wie auch als Produzent. Erst nachdem er sich im späteren Alter mit seiner Geburtsstadt ausgesöhnt hatte, kam er bis zu seinem Tod im Jahr 2015 oft und gerne nach Linz. Vor allem zum Crossing Europe-Festival, für das er auch den Film Bischofstrasse, Linz produzierte, eine persönliche und zugleich historische Sicht auf die Stadt, in der Shagrir die absurde Nachbarschaft seiner Familie mit jener von Adolf Eichmann thematisiert.
Micha Shagrir ist ein von Michael Pfeifenberger behutsam gestaltetes cineastisches Kleinod, ein Porträt über den in Israel zu verdientem Ruhm gekommenen Österreicher. Wegbegleiter erzählen darin, was er über seinen Tod hinaus für sie bedeutet. Pfeifenberger geht auch auf Shagrirs Frau Aliza ein, die am 3. Oktober 1980 bei einem Terroranschlag in Paris ermordet wurde.
NU: Sie setzen sich in Ihren Filmen immer wieder mit jüdischen Themen auseinander – wie nun in Ihrer Dokumentation über Micha Shagrir. Wie haben Sie ihn kennengelernt?
Michael Pfeifenberger: Professor Frank Stern, der damals am Institut für Zeitgeschichte in Wien unterrichtete, hatte mich als „filmmaker in residence“ an die Ben-Gurion-Universität vermittelt. Damals wurden an einigen israelischen Kinematheken Filme von mir gespielt, unter anderem in Jerusalem. Und nach der Israel-Premiere von 011-Beograd kam Micha Shagrir auf mich zu und sagte: „Ich bin auch Österreicher.“ Aus diesem Kennenlernen ist eine tiefe Freundschaft geworden – und auch eine berufliche Zusammenarbeit. Wir haben vier Filme gemeinsam produziert. Als Mentor und Leitfigur vermisse ich ihn bis heute.
Obwohl Sie in Ihren Arbeiten immer wieder jüdischen Geschichten aufgreifen, besitzen Sie selbst keinen jüdischen Background. Wie sind Sie dazu gekommen?
Als man mich als „filmmaker in residence“ nach Be’er Scheva holte, haben die Verantwortlichen ganz bewusst einen Goi gesucht (lacht), der Seminare und Workshops mit den filmbegeisterten Studenten machen kann. In meiner Schulzeit in den Siebzigern hat ja der Geschichtsunterricht bei den „Helden von Stalingrad“ geendet und als ich das meiner Mutter erzählte, sagte sie: „Bub, da war noch viel mehr. Und deshalb musst du heut aufbleiben und fernsehen!“ Damals lief gerade die Serie Holocaust und ich war tief betroffen. Seither hat mich dieses Thema nicht mehr losgelassen.
In Ihrem Film „Desert Kids“ haben Sie sich auf behutsame Weise mit dem Nahostkonflikt auseinandergesetzt. Planen Sie weitere Filme zu diesem Thema?
Mir ging es bei diesem Film um den Druck, dem vor allem junge Menschen in diesem Gebiet ausgesetzt sind. Ich wollte wissen, wie man sich fühlt, wenn Sirenengeheul zum kindlichen Alltag gehört. Ich bin ja fünf- bis sechsmal pro Jahr im Negev unterwegs, und da bekomme ich das alles mit. Aber einen Film über den Nahostkonflikt will ich nicht machen – das steht mir nicht zu, schon gar nicht als Österreicher.
Sie sind derzeit in Österreich festgehalten. Wie sehr geht Ihnen das Reisen nach Israel, das Drehen von Filmen ab?
Man traut sich das ja kaum zu sagen – aber mir kommt der Stillstand gerade recht. Endlich habe ich Zeit, meinen Film über Helga Pollak-Kinsky fertig zu schneiden. Sie ist eine Österreicherin, die den Holocaust überlebt hat. Sie ist jetzt 89 Jahre alt, und die Schilderungen ihrer Odyssee durch mehrere Konzentrationslager, die sie in Mein Theresienstädter Tagebuch 1943 – 1944 und die Aufzeichnungen meines Vaters Otto Pollak gesammelt hat, sind ebenso spannend wie ergreifend. Sie war zwölf Jahre alt, als sie mit ihrem Vater ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurde. Ihre Geschichte ist geradezu ein Modellfall für das Schicksal jüdischer Kinder in dieser Zeit.
Wie und wo sind Sie ihr begegnet?
Durch Micha Shagrir. Mit ihm habe ich das Zentralkomitee österreichischer Juden in Israel kennengelernt, mit dem ich seither schon jahrelang zusammenarbeite. In der Folge sind ja auch einige Porträts von Überlebenden entstanden. Es ist mir ein besonderes Anliegen als Österreicher und als Filmemacher, den überlebenden Zeitzeugen ihre Geschichte zurückzugeben – in Form eines Films.
Es fällt auf, dass Ihre Filme fast immer von Menschen handeln, die es auf irgendeine Weise schwer im Leben haben. Wie kommen Sie an diese Themen?
Die kommen von meiner Empathie für Outcasts. Für Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft, ihres Aussehens, ihrer kulturellen Zugehörigkeit, ihrer Veranlagung von der gerade „herrschenden“ Gesellschaft abgelehnt oder sogar verfolgt werden. Zu den Sätzen, die mich schon früh in meiner Jugend hellhörig werden ließen, gehört unter anderem: „Ich hab’ eh nichts gegen die Juden, aber…“ Wenn solche Pauschalurteile auftauchen, dann kann ich mich nicht zurückhalten. Das ist mein politischer Ansatz, den ich auch in meine Filme einbringe.