Marko Feingold war der älteste Überlebende des Holocaust in Österreich. Die Dokumentation „Ein jüdisches Leben“ setzt ihm nun ein filmisches Denkmal. Kurz nach den Dreharbeiten starb Feingold im September 2019 im Alter von 106 Jahren.
Von Gabriele Flossmann
„Fragt uns und hört uns zu, wir sind die letzten, die euch erzählen können, was damals unter dem Hitler-Regime in Deutschland – und damit auch in Österreich – passiert ist.“ So könnte man das Projekt des Videoarchivs Shoah Foundation von Steven Spielberg beschreiben. Der Starregisseur, der ansonsten sein Betätigungsfeld im Hollywood-Blockbuster-Genre hat, sah seine jüdische Herkunft als Verpflichtung und legte das weltgrößte Zeitzeugenarchiv an. Es umfasst etwa 52.000 Interviews, in denen Überlebende des Holocaust in jeweils zweieinhalbstündigen Interviews über die damalige Zeit erzählen. Insgesamt gibt es 120.000 Stunden Filmmaterial. Das bedeutet: Würde man sich alle Videos en suite anschauen, bräuchte man sieben Jahre. Tag und Nacht. Knapp dreißig Jahre ist es her, seit Spielberg seine Initiative setzte, die mit der Zeit immer kostbarer wird. Denn bald wird es keine Überlebenden mehr geben, die als Zeitzeugen über den Holocaust berichten könnten.
Auch in Österreich haben Filmemacher die Stimmen und Erinnerungen dieser Menschen festgehalten, so wie – gerade noch rechtzeitig – Christian Kermer, Roland Schrotthofe und Florian Weigensamer für Ein jüdisches Leben jene von Marko Feingold. Er starb am 19. September 2019, kurz nach den Dreharbeiten. Mit 106 Jahren war Feingold der älteste Überlebende des Holocaust in Österreich. Durch diesen Film soll seine Geschichte als unvergängliches Dokument erhalten bleiben, zugleich werden auch aktuelle Entwicklungen beleuchtet und zeitlose Fragen zu Moral, Verantwortung und zur Würde des Menschen aufgeworfen. In dem mit bisher unveröffentlichtem Material angereicherten Film konfrontiert Feingold das Publikum mit den unmenschlichen Ereignissen des 20. Jahrhunderts, mit dem tiefsitzenden Antisemitismus, der im Vorkriegs-Wien wurzelt und bis in die Gegenwart reicht. Feingold war ein Mahner, aber auch ein Mutmacher, ausgestattet mit Humor und Zivilcourage. Noch in hohem Alter hielt er Vorträge, gab Interviews. Er war davon überzeugt, dass es die Aufgabe aller Menschen sein müsse, Demokratie mit Leben zu füllen und gegen Rassismus und Ausgrenzung aufzustehen.
Dunkle Erinnerungen
Feingold wurde im Jahr 1913 in Banskà Bystrica (Neusohl) in der heutigen Slowakei geboren. Aufgewachsen allerdings ist er mit seinen drei Geschwistern auf der „Mazzesinsel“ im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Das Jahr 1938 wurde für ihn wie für so viele Jüdinnen und Juden in Österreich zur schicksalhaften Wende. Marko und sein Bruder Ernst wurden verhaftet und gefoltert. Die Gestapo hatte es weniger auf die beiden jungen Männer abgesehen als auf ihren Vater, der sich bereits während des Ständestaat-Regimes gegen illegale Nazis engagiert hatte. Der Vater konnte gewarnt werden, die beiden Brüder wurden freigelassen und setzten sich nach Prag ab.
Bald darauf wurden sie als Staatenlose nach Polen abgeschoben, kehrten jedoch mit falschen Papieren nach Prag zurück und führten Sabotageakte gegen die Nazi-Besatzer durch. Nach kurzer Zeit wurden sie enttarnt, inhaftiert, erneut gefoltert – und ins KZ Auschwitz deportiert. Zu diesem Zeitpunkt existierte die berüchtigte Rampe von Auschwitz noch nicht, und die Bahngleise führten nicht bis ins Konzentrationslager. Das KZ Auschwitz lag wenige Kilometer von der Zugsstrecke Prag–Krakau entfernt, der Zug hielt einfach auf freiem Feld. Marko und sein Bruder sowie 450 weitere Häftlinge wurden aus den Güterwaggons getrieben und mussten die Strecke zu Fuß zurücklegen. Dieser Ort, erinnerte sich Feingold, sah wie ein Schlachtfeld aus, Boden und Felder waren blutgetränkt.
Späte Aufarbeitung
Marko Feingold überlebte insgesamt vier Konzentrations- und Vernichtungslager: Auschwitz, Neuengamme, Dachau und schließlich Buchenwald, wo er am 11. April 1945 die Befreiung erlebte. Feingold strandete wie viele andere Displaced Persons (DPs) in Salzburg, wo er das Bekleidungsgeschäft „Wiener Moden“ gründete. Er war bereits 1946 und 1947 Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg und übte diese Funktion nach seiner Pensionierung im Jahr 1979 noch viele Jahre aus. Er prägte das jüdische Leben in Salzburg nach dem Zweiten Weltkrieg wie kein anderer und setzte sich für Versöhnung über ideologische und religiöse Gräben hinweg ein.
Noch im hohen Alter besuchte er junge Ex-Neonazis, die im Gefängnis saßen. Er erzählte ihnen von seinem harten Dasein als junger Mann in Österreich und wie er die Kurve zu einem guten Leben kratzte – trotz der bösen Erlebnisse mit den Nazis. Selbst scheinbar Unbelehrbare lernten durch ihn dazu, sogar ungewöhnliche Freundschaften wurden geschlossen. Der Kampf gegen das Vergessen wurde ihm zur Lebensaufgabe. Feingold hielt mehr als 6000 Vorträge vor Schulklassen – und zeigte sich über das oft fehlende Wissen der Jugendlichen bedrückt: „Es wird in Schulen nicht ausreichend über Rechtsradikalismus unterrichtet.“
Feingold kritisierte auch oft, dass sich Österreich einer ehrlichen Auseinandersetzung mit seiner NS-Vergangenheit nie gestellt habe. Noch immer würden zu viele Menschen an den Mythos vom ersten überfallenen Land glauben. Zu spät für eine Aufarbeitung sei es aber nie. „Natürlich würde es mich freuen, wenn ich 120 Jahre werden würde“, sagte er einmal: „Aber das hat bisher nur Moses erreicht. Und so heilig war ich nie.“
„Marko Feingold – Ein jüdisches Leben“
Ab 1.10. im Kino