Ein Rückblick auf die lange Tradition der jüdischen Bälle, von den ersten Bal Parés in der Nachkriegszeit bis zum heutigen Wizo-Ball im Wiener Rathaus.
Von Ida Labudovic
Es liegen fast 70 Jahre dazwischen, mehrere Generationen, viele Hochzeiten und eine ganz andere Welt. Wie jede Geschichte, hat auch diese ihren Anfang und dieser liegt im Jahr 1948.
Stefan Landau war damals, drei Jahre nach dem Kriegsende, ein junger enthusiastischer Mann mit einer Funktion: Er war Gesellschaftsreferent der Jüdischen Hochschülerschaft. Vereinfacht gesagt – ein Haberer, ein Freund, der sich gerne mit anderen jüdischen Freunden trifft. Heute erzählt der Wiener in seinem Büro mit einem leichten polnischen Akzent gerne und mit Leidenschaft aus seinen Erinnerungen. Der erste Bal Paré, dessen Name die besondere Festlichkeit unterstreichen soll, fand im Künstlerhaus statt und war der „einsame Höhepunkt der jüdischen Gesellschaft“. Etwa 600 Leute, Schüler, Studenten, Holocaustüberlebende, Flüchtlinge aus den osteuropäischen Länder, „die ganze jüdische Bevölkerung Wiens“, habe daran teilgenommen. „Es war das gesellschaftliche Ereignis des Jahres. Diejenigen, die den Holocaust überlebt haben, waren hungrig nach Unterhaltung, Tanzen, Plaudern, und Witze erzählen. Bei allen herrschten Durst und Gier nach Vergnügen“, sagt Landau. „Die Vision von 400 jüdischen Hochschülern unter ihrem Präsidenten Alex Gutman war es, an der Gesellschaft teilzunehmen und die ermordete Intelligenz Wiens zu ersetzen“, meint er. Aber nicht nur das. Der Reinerlös wurde an bedürftige Studenten verteilt und viele haben es damals auch benötigt. Ein Drittel der Studenten hatte nach dem Krieg keine Familienangehörigen mehr.
Damals konnte man keine langen Musselinkleider aus Seide sehen, „es gab auch kein Smoking oder Frackzwang, aber jeder hat darauf geachtet, so elegant wie möglich zu erscheinen“. Das Ehrenkomitee wurde aus Professoren, Spitzen der Stadtverwaltung und jüdischen Organisationen vor allem der Kultusgemeinde gebildet. Nach 1948 war auch der Botschafter des Staates Israel Mitglied des Ehrenkomitees.
Bei der Eröffnung des Balls wurde die Hatikwa, die Hymne Israels, gesungen und das rief starke Emotionen hervor. Dann folgte eine Eröffnungspolonaise, ausgeführt von der jüdischen Jugend unter Leitung eines jüdischen Choreographen, der die verhängnisvolle Kriegszeit in Shanghai überlebt hatte.
Ein weiterer Höhepunkt war das Mitternachtskabarett unter Teilnahme von Karl Farkas, Amin Berg, Fritz Heller und anderen Größen des Wiener Kabaretts. Während des langen Abends, der oft bis fünf Uhr in der Früh dauerte, entstanden viele Freundschaften und sogar einige Ehen. Eine davon war die von Leon Zelman, dem späteren Präsident der Jüdischer Hochschülerschaft und Gründer des Jewish Welcome Service. Auf dem Ball im Jahr 1952 hat Leon Zelman seine zukünftige Frau kennengelernt. Zelman, der von Anfang an an der Organisation des Bal Paré zusammen mit Edmund Reis und Stefan Landau beteiligt war, war auch an diesem Abend mit vielen seiner Freunden dabei. Er sah damals die 16-jährige Gila, forderte sie zum Tanzen auf und aus den Beiden wurde schließlich ein Ehepaar. It was love in the air.
Bis zum Ende der Sechzigerjahre organisierte die Jüdische Hochschülerschaft die Bal Parés regelmäßig in der Halle U des Messepalastes – „der Wohlstand hat diese Tradition auslaufen lassen“.
„Alles Hora – Alles Walzer“
Daphna Frucht sitzt in einer noblen Wiener Hotel Lobby, dezent gekleidet und trägt eine „WIZO-Kette“ mit vielen farbigen Herzen. Sie spricht überlegt und strahlt bemerkenswerte Ruhe aus, obwohl sie ziemlich viel zu tun hat. Daphna ist gerade aus Israel, ihrem Geburtsland zurückgekommen. Sie ist Gründungsmitglied der Young- WIZO Österreich, einer Frauen-Wohltätigkeitsorganisation, die verschiedene soziale Projekte unterstützt. Die Organisation betreut unter anderem in der Stadt Rechovot eine Tagesstätte mit achtzig Kindern verschiedener Herkunft und Religion.
Mit der gleichen Begeisterung wie die Organisatoren damals in den Vierzigerjahren engagiert sie sich gemeinsam mit ihren Freundinnen bei den Vorbereitungen für den WIZOBall: „Die Idee war, wieder einen Ball für die jüdische Gemeinde zu machen, vor allem in Wien, einer Stadt mit Ballkultur und diesmal machen wir einen internationalen Ball“. Internationalität ist den „WIZO-Damen“, wie man sie umgangssprachlich nennt, auch gelungen, denn etwa 450 Personen aus verschiedenen Ländern haben sich für den Ball angemeldet. Der Ball fand Ende März im Wiener Rathaus unter dem Motto „Alles Hora! – Alles Walzer!“ statt und der Reinerlös ging zur Unterstützung von Projekten wieder nach Israel.
Die Erfolge dieser Organisation sind größtenteils ihrer Präsidentin Hava- Eva Bugajer zu verdanken. Sie sieht die Organisation als „Brückenbauer“ zwischen den Generationen und der Ball ist für sie die richtige Gelegenheit dazu.
Schon während der ersten Bal Parés waren es die WIZO-Frauen, die für das Buffet gesorgt haben. Man wusste jedes Jahr, welche Frau welche der typischen jüdischen Spezialitäten, ob Gefillte Fisch oder frischgebackene Challa, zubereitet hatte. Durch das Engagement der WIZO-Damen ist der „Bal Paré irgendwann zum gemeinsamen WIZO-Ball geworden“, meint Hava-Eva Bugajer. Der letzte WIZOBall, der unter dem Namen Bal Paré firmierte, hat im Jahr 2009 anlässlich des sechzigjährigen Bestehens des Staates Israel stattgefunden.
Tanzstunde
Tanzunterricht an einem sonnigen frühen Sonntagnachmittag im März: Etwa 20 Paare unterhalten sich in Deutsch, Iwrith und Englisch und folgen den Instruktionen des Tanzlehrers Roman Svabek. Traditionelle und nichtreligiöse Jugendliche bemühen sich um Gleichschritt und Harmonie. Dana Winter ist eine davon. Sie ist zuständig für die Organisation der Debütanten, die, wie sie selbst, den Ball eröffnen werden. Natürlich werde sie ein weißes langes Kleid tragen, sagt sie und fügt hinzu: „Der International WIZO Ball ist für mich ein bedeutendes Ereignis, da es der erste jüdische Ball für mich sein wird.“ Außerdem finde sie „toll, dass er im Rathaus stattfindet und die jüdische Kultur mit der wienerischen bzw. österreichischen vereint.“
Auch Elias Zolotar, obwohl ein erfahrener Tänzer mit „Leidenschaft für Ballsaal-Tänze“, frischt noch einmal seine Tanzkenntnisse auf. Er hat schon einige jüdische Bälle eröffnet, aber für ihn ist das wieder eine Gelegenheit, dabei zu sein und es ist ihm „eine Ehre, für seine Leute da zu sein“.
Der Frühling hat begonnen und schon wieder ist love in the air. Wie damals, im Jahr 1948, als diese Tradition ihren Lauf genommen hatte.