Immer lauter werden die Stimmen jener Palästinenser, die den bewaffneten Kampf gegen Israel deutlich kritisieren. Eine Chance, die man nutzen sollte.
Von Eldad Beck
Es ist „Bon Ton“, den israelischen Premier, Ariel Sharon, zu kritisieren und zu dämonisieren. Man redet oft von seiner „dunklen und blutigen Vergangenheit“ oder seiner „Brutalität“ und seinen „Gewaltmethoden“. Ariel Sharon ist sicher kein Engel, aber – hatte er wirklich Unrecht, als er nach seiner Wahl mit der systematischen Zerstörung der palästinensischen Autonomiebehörde, des Arafat-
Regimes, begann? Der bisherige Kommandant der zentralen Region der israelischen Armee, General Yitzhak Eitan, sagte vor ein paar Wochen bei seiner Postenübergabe: „Die Palästinenser verstehen, dass sie auf der strategischen Ebene den Feldzug verloren haben. Die Opposition organisiert sich. Es gibt Gruppierungen, die Arafat kritisieren und die deutlich sagen, dass zwei Jahre Terror und Kampf nur Hunger, Arbeitslosigkeit und Not brachten und den politischen (palästinensischen) Zielen überhaupt nicht dienten. Auf der palästinensischen Seite gibt es zur Zeit ein Erdbeben.“
Eine rein israelische Sicht der Dinge? Nach zwei Jahren Blut und grausamer Gewalt haben die Palästinenser keine Angst mehr, ähnliche Meinungen zu äußern. Schon Ende Juni dieses Jahres schreibt der weltberühmte palästinensische Kulturwissenschaftler Edward Said im „Tagesspiegel“: „Arafat ist schlicht daran interessiert, sich selbst zu retten.
Er hatte fast zehn Jahre die Freiheit, ein kleines Königreich zu regieren, und war im Wesentlichen darin erfolgreich, Schmach und Schande über sich und die meisten seiner Mannschaft zu bringen. Autorität wurde zu einem anderen Wort für Brutalität, Autokratie und unvorstellbare Korruption […] Nachdem er das nun drei Mal (Jordanien, Libanon, West Bank) gemacht hat, sollte Arafat nicht die Gelegenheit zu einer vierten Katastrophe erhalten.“
Said, der an der Columbia Universität in New York englische Literatur lehrt, ist bekannt als einer der ersten und konsequentesten Arafat-Kritiker. Doch er ortet das Problem auch woanders: „Wenn es eine Sache gibt, die uns zusammen mit Arafats ruinösem Regime mehr geschadet hat, dann ist es diese katastrophale Politik des Tötens israelischer Zivilisten, was der Welt weiterhin beweist, dass wir in der Tat Terroristen sind und eine unmoralische Bewegung dazu.“
Auch der palästinensische Abgeordnete Muawiya Al-Masri findet klare Worte der Kritik an Arafat im Gespräch mit der jordanischen Zeitung „Al-Sabil“: „Er [Arafat] missbraucht Menschen für seine ganz persönlichen Ziele. Der Präsident beherrscht das Land mit Geld […] ein undurchdringlicher Nebel umgibt alle wirtschaftlichen Aktivitäten und Entscheidungen der Regierung. Fest steht, dass Etatmittel missbraucht werden, um Menschen zu bestechen.“ Abbas Zaki, Mitglied der Fatah-Führung, verurteilt die gesamte Vision der Intifada in einem Interview mit „Focus“ am 29. Juli 2002: „Die erste Intifada hatte eine klare Führung, und sie war vom Volk getragen, auf dessen Bedürfnisse und Erwartungen immer Rücksicht genommen wurde. Diese neue Intifada hat keine geschlossene Führung und kein klares Konzept, und das Volk spielt auch keine entscheidende Rolle mehr. Der so genannte militärische Kampf hat das Chaos hervorgebracht, vor dem wir in Palästina nun stehen […] als die palästinensische Führung 1994 aus dem Exil zurückkam, wurde sie korrupt. Sie steckten mehr ein, als sie vertragen konnten, es gab keinen wirklichen Fortschritt beim Friedensprozess, und es fehlten Menschen mit Visionen“.
Sari Nusseibah, der gemäßigte Gründer der Universität „Alquds“ in Jerusalem und Beauftragter für die Affären Jerusalems an der Autonomiebehörde, sagt gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ am 8. August: „Wenn der Kampf gegen die Okkupation mir kein Leben in Freiheit, in Demokratie, in Würde und Gleichberechtigung bringt, dann will ich keinen Staat, dann will ich kein Ende der Okkupation […] wir müssen unseren Leuten, unsere n Kindern beibringen, wer sie sind, aber ihnen auch die Wertschätzung für andere beibringen, für andere Traditionen. Palästinenser sollen in einer pluralistischen Gesellschaft aufwachsen und nicht in einer Gesellschaft, in der man sich selbst als das einzig lebenswert e Wesen versteht oder die eigene Nation, die eigene Religion.“
Man kann nicht bestreiten, dass die palästinensische Bevölkerung seit Ausbruch der Intifada unter schlimmsten Lebensbedingungen leidet. Nach zwei Jahren eines grausamen „Unabhängigkeitskampfes“ ist aber eine deutliche Entwicklung auf der palästinensischen Seite zu bemerken. Ähnlich wie nach der Niederlage im Libanon 1982, beginnen die Zungen sich zu lösen: Plötzlich kritisiert man Arafat, seine Politik, Korruption, Autorität und Legionäre. Plötzlich redet man vom „Fehlen der Demokratie“ in den palästinensischen Reihen. Plötzlich werden die Selbstmordattentate als „unmenschlich und unmoralisch“ bezeichnet. Die Fatah-Bewegung versucht, ihre größte politische Rivalin – die radikale Gruppe Hamas – im Rahmen eines Grundsatzabkommens zu zwingen, den bewaffneten Widerstand gegen die israelische Besatzung auf das Westjordanland und den Gaza-Streifen zu beschränken und auf Attentate innerhalb Israels zu verzichten. Man verzichtet auf das Rückkehrrecht der Flüchtlinge. Ja, Arafat sei sogar bereit, das im Februar 2001 mit Israel verhandelte Ta b a – Abkommen zu akzeptieren, heißt es.
Zwei Jahre Blut, Opfer und Gewalt haben beide Seiten zurück an Punkt null gebracht. Die Palästinenser sind jetzt bereit, zu akzeptieren, was sie damals abgelehnt haben. Aber wollen die Israelis noch so viel geben?
Solange die Gewalt weitergeführt wird, werden die Israelis keine Kompromisse akzeptieren. Vor allem nicht gegenüber einer palästinensischen Führung, die sich unfähig, unwillig und unehrlich gezeigt hatte. Doch Arafat wird nicht von sich aus auf seinen Platz verzichten. Genauso wie Fidel Castro in Kuba oder Saddam Hussein im Irak – der ewige Überlebende des Nahen Ostens sieht nicht, dass seine Zeit vorbei ist. Und solange Euro p a ihn hofiert, hat er auch keinen Grund zu gehen. Vielleicht sollten die Europäer den hoffnungstragenden Stimmen in den palästinensischen Reihen endlich zuhören. Und vielleicht sollten die Europäer die Kräfte des Wechsels in der palästinensischen Gesellschaft unterstützen. Warum boykottiert oder sanktioniert man einen Saddam, einen Mugabe oder einen Milosevic´, während Arafat unantastbar bleibt?
Wenn Arafat und sein Regime – wie auch alles, was sie symbolisieren – ein Teil der Geschichte würden, wären auch die Israelis in der Lage, ein ernstes Friedensangebot vorzubringen. Aus purem Eigeninteresse und nicht aus einer falschen Friedensmission heraus. Denn auch wenn die Generation Arafats weg ist, bleibt die Generation von Hamas und Dschihad, die jedes Abkommen mit Israel als eine taktische und zeitbegrenzte Lösung vor der erwünschten Zerstörung Israels sieht. Diese Organisationen leben vom Hass, und ohne Hass haben sie keine Zukunft. Dieser Hass muss neutralisiert und entwurzelt werden. Derzeit scheint es so, als ob das nun