Gadže. So nennen Roma Menschen, die nicht ihrer Volksgruppe angehören. Juden sind von diesem Begriff ausgenommen. Die enge Verbundenheit veranlasste die Roma dazu, für das jüdische Volk ein neues Wort zu erfinden – Bibolde.
VON SAMUEL MAGO
Die Gründe für die große Sympathie zwischen Juden und Roma sind breit gefächert. Für manche sind es Gemeinsamkeiten in der Kultur und in den Traditionen. Für andere sind es Affinitäten im Aussehen. Manche führen es auf die gemeinsame Verfolgungsgeschichte und den Holocaust zurück. Eines aber ist klar: Juden und Roma leben in Europa seit Jahrhunderten Seite an Seite und teilen ein Lebensgefühl, das kaum beschrieben werden kann.
Heiraten zwischen Juden und Roma sind in Mitteleuropa keine Seltenheit. Die ungarische Volkszählung 2011 ergab, dass Juden mit Roma-Wurzeln zahlenmäßig direkt auf Juden mit ungarischen Wurzeln folgen. Robert Báthory ist einer von ihnen. Der ungarische Rom ist mit einer Jüdin verheiratet und konvertierte zum Judentum. NU sprach mit dem Ehepaar in Budapest.
Jahadut und Romanipe
Der Jászai-Mari-Platz mit seinen Kaffeehäusern und Jazzklubs ist ein beliebter Treffpunkt für junge Juden. Hier lebt Familie Báthory-Beck in einer gemütlichen Altbauwohnung. Ihre Ketubba an der Vorzimmerwand sticht gleich ins Auge. Ein Davidstern ziert das obere Ende dieses Ehevertrags. Unten sieht man eine Rose, als Symbol für Roberts Roma-Herkunft, wie seine Frau Nora erklärt. Wir setzen uns ins Wohnzimmer. Das Babyphon behalten die frischgebackenen Eltern stets im Auge. Die Wand ist bis zum Plafond voll mit Büchern – vorwiegend von und über Juden und Roma. Nora und Robert sind etablierte Journalisten in Ungarn. Intellektuell, schreien die Bücherregale.
Speziell seit dem Fall des Eisernen Vorhangs bleiben Türen für Juden und Roma in Ungarn oft verschlossen. Angehörige beider Minderheiten erleben ihren Alltag häufig so, als wären sie Bürger zweiter Klasse. „Ich glaube, dass das Fundament unserer Beziehung wirklich mein jüdischer und Roberts Roma-Hintergrund war. Unsere zwei Kulturen sind hier in Ungarn sehr verstoßen, und ich glaube, das schweißt die zwei Minderheiten noch enger zusammen“, meint Nora. Robert nickt: „Menschen und Gruppen, die ähnliche Schicksale haben und ständig benachteiligt werden, kommen sich schnell näher. Zusammen sind wir irgendwie stärker. Das ist auch bei Nora und mir der Fall.“
Nora verbrachte ihre Kindheit in einer Plattenbauwohnung in der ungarischen Kleinstadt Cegléd. Ihr Vater war Mathematiker und wurde in den neunziger Jahren Leiter einer der größten Telekommunikationsfirmen Ungarns. „Er kletterte die Karriereleiter hinauf, und so wurde auch unsere finanzielle Situation immer besser.“ Nora war ein künstlerisch begabtes Kind. Sie spielte Cello und besuchte eine Schule mit musikalischem Schwerpunkt. Nach dem Abschluss eines jüdischen Gymnasiums absolvierte sie eine Musikausbildung und spielte am Víg-Theater in Budapest. Später wechselte sie in die Medienbranche und arbeitet heute für die Nachrichtensendung Tények.
Ihr Ehemann Robert wuchs im östlichen Teil Ungarns in bescheidenen Verhältnissen auf. Seine Jugend war von Schicksalsschlägen gezeichnet. „Meine Familie war sehr coro (Romanes für ‚arm‘) und mein Zufluchtsort waren eigentlich immer meine Bücher.“ Nach der Matura fing er zu studieren an und machte einige Praktika, unter anderem im Europäischen Parlament. Vier Jahre lang war er Mitarbeiter des ersten Roma-Senders Radio C und begann 2007 in der Fernsehredaktion des ungarischen Rundfunks zu arbeiten, wo er später seine Frau kennenlernte. „Ich hatte immer diesen Drang, als Rom dreimal so viel zu leisten wie ein Gadžo. In der Redaktion, in der Nora und ich uns kennengelernt haben, waren fast alle Journalisten Juden und Roma. Wir sind dort alle Freunde geworden. Und man hat gemerkt, wie verdammt viel wir alle geleistet haben, weil wir den Druck spürten, besser sein zu müssen als die anderen“, erzählt Robert. Heute arbeitet 33-Jährige als Reporter für die Nachrichtensendung 7/24.
Mazel tov und sastipe
So wie es in traditionellen jüdischen Kreisen verpönt ist, einen Goj zu heiraten, sehen es traditionelle Roma nur ungern, wenn man sich mit einem Gadžo trauen lässt. Auf die Frage, wie ihre Familien auf den jeweiligen Partner reagiert haben, schmunzelt das Paar. „Meine Familie hätte mich vielleicht ein bisschen schief angeschaut, wenn ich ihnen eine Gadži vorgestellt hätte. Es wäre kein Drama gewesen, aber bei der Nora stand es einfach außer Frage. Es war, als hätte ich eine Romni mit nach Hause genommen“, erzählt Robert.
Seine Frau lacht: „Für meine Familie war das auch kein Problem. Schau mal, alle meine Großeltern haben den Holocaust durchlebt. Mein Großvater hat nach dem Krieg viel auf Märkten gehandelt und war oft von Roma umgeben. Er konnte sogar ein bisschen Romanes sprechen. Ihm hat der Robert sehr gefallen. Er hat immer gesagt, dass der Robi ein richtiger Ganeff ist, so wie er.“
Um Nora heiraten zu können, konvertierte Robert vor drei Jahren zum Judentum. „Wir kennen viele Ehepaare, die auf der einen Seite Roma und auf der anderen Juden sind“, bestätigen sie. Auch die Hochzeit von Robert und Nora war geprägt von jüdischen und Roma-Bräuchen. Neben Glaszertreten und Sesseltanz vermischte sich authentische Zigeunermusik mit Klezmer. „Das Beste war, als die kleinen Burschen mit Kippa am Kopf den Takt mit Holzlöffeln vorgaben, wie das bei uns Roma üblich ist“, lachen die beiden. Auch das melancholische Liedgut der Roma – die sogenannte Nóta – durfte nicht fehlen. „In der Musik sind sich diese zwei Kulturen auf eine sehr eindeutige Weise ähnlich. Auf einem Konzert von Shantel oder DelaDap! musst du den Leuten echt nicht erklären, ob das jetzt Klezmer oder Gypsy ist. Die beiden Genres sind sich so ähnlich, dass sie fast schon verschmelzen“, meint Robert lächelnd.
Nora und Robert versuchten jahrelang erfolglos, Kinder zu bekommen. Schlussendlich entschieden sie sich für die Adoption. „Für Juden und Roma gibt es nichts Wichtigeres, als Familie und Kinder. Wir haben gleich von vornherein gewusst, dass wir uns ein Roma- Kind wünschen“, erzählt Nora. Die kleine Hanna Báthory ist fast schon ein halbes Jahr alt und fühlt sich bei ihren Eltern sehr wohl. „Wir hatten nicht einmal drei Tage Zeit, um uns darauf vorzubereiten, Eltern zu werden. Plötzlich kam ein Anruf und ich war Vater. Zuerst habe ich mir echt in die Hosen gemacht, aber mittlerweile sind wir einfach nur glücklich“, strahlt der stolze Vater. Nora betont, wie sehr es ihr am Herzen liegt, dass ihre Tochter die Traditionen und Werte beider Kulturen weiterträgt. Die Gutenachtlieder singen die Eltern jetzt schon auf Hebräisch und Romanes.