Die Geschichte der organisierten Kriminalität in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist eng mit der Entwicklung transnationaler Netzwerke, gesellschaftlicher Umbrüche und ökonomischer Machtkämpfe verbunden. Innerhalb dieser Sphären sticht eine Gruppe besonders hervor: die sogenannte Kosher Nostra – ein informeller Begriff für die jüdische Mafia.
Von Simon Mraz
Vor allem Meyer Lansky, einer der einflussreichsten Gangster seiner Zeit, prägte diese Organisation. Seine Aktivitäten reichten von den Vereinigten Staaten über Kuba bis nach Europa, und in Städten wie Salzburg hinterließ er indirekt Spuren, die verdienen in Erinnerung gerufen zu werden. Die Kosher Nostra entstand in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts als eine jüdische Antwort auf die Dominanz einiger ethnischer Gruppen in der organisierten Kriminalität, wie etwa der italienischen Mafia oder den irischen Gangs. Die Wurzeln dieser Strukturen lagen oft in den Ghettos von New York, wo auch viele jüdische Einwanderer unter prekären Bedingungen lebten. Innerhalb dieser Gemeinden entwickelten sich Netzwerke, die auf Loyalität und einem starken Zusammenhalt basierten – zunächst zur Selbstverteidigung und später zur finanziellen Bereicherung.
Meyer Lansky (geb. 1902 in Grodno, heute Ukraine; gest. 1983 in Miami, USA), der als „Mob’s Accountant“ bekannt wurde, war eine der zentralen Figuren dieser Bewegung. Er war nicht nur ein brillanter Organisator, sondern auch ein Meister darin, illegale Aktivitäten wie Glücksspiel, Geldwäsche und Alkoholschmuggel während der Prohibition zu systematisieren und zu expandieren.
In den Jahren des aufkeimenden Nationalsozialismus gab es selbst in New York Nazi-Veranstaltungen, getragen von einzelnen Vertretern deutschstämmiger Amerikaner, insbesondere des „German-American Bundes“. Der jüdische Politiker und Richter Nathan David Perlman trat in Folge an Lansky heran und bat ihn, die Veranstaltungen des Bundes zu stören, gegen die es keine offizielle Handhabe gab. In der Folge organisierte Lansky gewaltsame Angriffe seiner jüdischen Handlanger auf Nazi-Veranstaltungen. Nachdem mehrere Nazis schwer verletzt worden waren, ohne dass es zu Todesfällen gekommen war, ging die Anzahl der Nazi-Veranstaltungen spürbar zurück. Lansky selbst sagte in einem Interview dazu: „Wir verfolgten sie und schlugen sie zusammen. Wir wollten ihnen zeigen, dass Juden sich nicht immer zurückhalten und die Beleidigungen einfach einstecken.“ (1)
Meyer Lansky und Kuba
Ab den 1930er Jahren begann Lansky, seinen Einfluss auf Kuba auszubauen. Kuba war für die amerikanische Mafia von besonderem Interesse, da die Insel aufgrund ihrer Nähe zu den Vereinigten Staaten und ihrer lockeren Gesetzgebung ein ideales Terrain für Glücksspiel, Prostitution und Drogenhandel bot. Ein entscheidender Moment in dieser Entwicklung stellte sich 1952 ein, als Lansky eine Allianz mit Fulgencio Batista, dem damaligen kubanischen Diktator, schmiedete. Diese Partnerschaft ermöglichte es Lansky und anderen Mobstern, Kuba zu einem „Vergnügungsparadies“ für wohlhabende Amerikaner zu machen.
Lansky leitete den Bau und Betrieb luxuriöser Casinos und Hotels, darunter das berühmte Hotel Nacional de Cuba und später das Riviera Hotel in Havanna. Diese Einrichtungen waren mehr als nur Orte des Glücksspiels – sie symbolisierten eine Ära des wirtschaftlichen und kulturellen Einflusses der Mafia auf der Insel. Lansky betrieb seine Geschäfte mit äußerster Effizienz und schuf ein System, das nicht nur hohe Profite generierte, sondern auch von den kubanischen Behörden weitgehend geduldet wurde.
Der Fall von Kuba
Die Revolution von 1959 unter Fidel Castro markierte das Ende von Lanskys Imperium auf der Insel. Die neuen revolutionären Machthaber betrachteten die Casinos und Hotels als Symbole imperialistischer Ausbeutung und schlossen diese Einrichtungen kurzerhand. Lansky selbst verlor Millionen, da er viele seiner Investitionen auf Kuba nicht rechtzeitig sichern konnte. Die Revolution bedeutete das Ende der Mafia-Dominanz auf der Insel, aber nicht das Ende von Lanskys Einfluss weltweit. Lansky kehrte in die USA zurück, flüchtete jedoch aufgrund des amerikanischen Fahndungsdrucks 1970 nach Israel. Ein, immerhin auch von österreichischen Botschaftern in Israel erzählter, Mythos zur österreichischen Residenz in Herzliya besagt, dass diese zuvor im Besitz Lanskys gewesen sei. Belegen lässt sich die Geschichte nicht, ein überraschender Bezug ist sie allemal. Fakt ist jedenfalls, dass Lansky trotz aller Ermittlungen gegen ihn nie verurteilt wurde, und ein vom FBI vermutetes riesiges Vermögen nach seinem Tod niemals gefunden werden konnte.
Die Verbindung zu Österreich und die faszinierende Geschichte der Virginia Hill
Ob Meyer Lansky selbst jemals in Österreich war, lässt sich nicht belegen. Es gibt nur Hinweise darauf, dass er auch Verbindungen nach Österreich unterhielt, was bei einem weltweit agierenden Geschäftsmann auch nicht besonders verwunderlich erscheinen mag. Überliefert ist, dass bereits 1935 ein Lansky zugerechneter Schmuggelring in Wien zerschlagen wurde.
Die einzige belegte Verbindung ist jene über eine Gefährtin Bugsy Siegels, einem engen Mitstreiter Lanskys und bedeutendem Mitglied der Kosher Nostra, Virginia Hill (geb. 1916 in Alabama, gest. 1966 in Koppl bei Salzburg). Mit 15 Jahren brach sie die Schule ab, um sich zu verheiraten und mit ihrem damaligen Mann in Chicago Fuß zu fassen, was allerdings misslang. Hill begann dann als Kellnerin in einem Mafialokal zu arbeiten und knüpfte Kontakte zum kriminellen Milieu, erwarb sich den Ruf einer Mafiabraut und machte sich als Kurierin für Mitglieder der Mafia einen Namen. Unter anderem war sie Gefährtin von Charles Fischetti, einem Cousin von Al Capone und Benjamin „Bugsy“ Siegel, einem der ältesten und engsten Mitstreiter und Freund von Meyer Lansky. 1950 lernte sie in Sun Valley den aus Österreich stammenden Skilehrer Hans Hauser kennen. Sie heirateten, der Ehe entstammte ein gemeinsamer Sohn, Peter. 1951 wurde sie vorgeladen, um bei den Kefauver-Hearings zur Untersuchung der organisierten Kriminalität als Zeugin auszusagen. Sie verneinte dort, Kenntnis über kriminelle Vorgänge zu besitzen. Nachdem sie schließlich wegen Steuerhinterziehung steckbrieflich gesucht wurde, floh sie mit ihrem Sohn nach Salzburg. Dort lebte sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn auf dem Anwesen seiner Familie auf der Zistelalm am Gaisberg, zog sich aber nach wenigen Jahren in eine Berghütte bei Unken zurück, um dort ihre Memoiren zu verfassen. Die letzte Zeit ihres Lebens verbrachte sie in einer Pension in der Landeshauptstadt Salzburg. Am 24. März 1966 verstarb sie im Alter von 49 Jahren in Koppl an einer Überdosis Schlaftabletten. Virginia Hill ist wie ihr Ehemann Hans Hauser und ihr Sohn Peter am Friedhof Aigen beerdigt.
Die Legacy der Kosher Nostra und Meyer Lansky
Die Geschichte der Kosher Nostra zeigt, wie sich kriminelle Netzwerke an gesellschaftliche und wirtschaftliche Gegebenheiten anpassen konnten, um ihre Macht zu sichern. Meyer Lansky blieb trotz seines kriminellen Engagements eine kontroverse Figur. Einige betrachten ihn als einen brillanten Geschäftsmann und Philanthropen, der seine jüdische Identität nie verleugnete. Andere sehen in ihm einen skrupellosen Gangster, der keine moralischen Grenzen kannte. Kuba war für Lansky der Höhepunkt seiner Karriere, aber auch sein größter Verlust. Die Ereignisse in Havanna illustrieren, wie organisierte kriminelle Netzwerke durch politische Umbrüche destabilisiert werden können.