Jüdinnen und Juden, die sich gegen Israel positionieren, werden von propalästinensischen Demonstranten oft instrumentalisiert. Manche
ultraorthodoxen jüdischen Gruppen lehnen den Staat Israel per se ab.
Von Mark Elias Napadenski
Innerhalb der jüdischen Gemeinschaft gibt es viele unterschiedliche Positionen – und das ist gut so. Besonders kontrovers sind aber die
Antizionisten. Diese Gruppe spielt eine polarisierende Rolle, indem sie sich wie der Name bereits vermuten lässt, gegen den Zionismus ausspricht und mit antisemitischen Organisationen kooperiert. Diese Gruppen perpetuieren teilweise selbst antisemitische Parolen, verleihen somit Antisemiten einen „koscher Stempel“, und werden instrumentalisiert. Die Beteiligung antizionistischer Juden an Demonstrationen und politischen Aktionen dient als Feigenblatt für Antisemitismus auf Pro-Palästina Protestaktionen.
Antizionistische Jüdische Gruppen
Die notorischsten Gruppierungen sind Neturei Karta und Jewish Voices for Peace, deren Ursprung in unterschiedlichen theologischen und politischen Überzeugungen liegt. Neturei Karta, eine ultraorthodoxe jüdische Gruppe, lehnt den modernen demokratischen Staat Israel ab, da deren Anhänger glauben, dass die Gründung eines jüdischen Staates nur durch die Ankunft des Messias geschehen darf. Sie gehen davon aus, dass der moderne Staat Israel nicht das jüdische Volk oder das Judentum repräsentiert, weil er von nicht-orthodoxen Juden gegründet wurde. Besondere Aufmerksamkeit erlangte die Gruppe wegen eines Treffens mit dem ehemaligen iranischen Präsident Raisi im September 2023 in New York, am Rande einer UNO- Generalversammlung oder einer Teilnahme an einer „Holocaust Konferenz“ in Teheran 2006. Jewish Voices for Peace hingegen ist eine 1996 in San Francisco gegründete, weniger religiös motivierte Gruppe. Sie betrachtet den Zionismus als eine koloniale Bewegung und bedient einen Reigen an antisemitischen Narrativen, bis hin zum grotesken Apartheid-Vorwurf. Bezeichnend ist, dass sie am 7. Oktober 2023 auf Instagram einen Beitrag mit dem Titel: „The root of violence is oppression“ (Die Wurzel von Gewalt ist Unterdrückung) postete und die israelische sowie die US-Regierung als Verantwortliche nannte. Jegliche Schuld der Hamas wurde ausgespart.
Judeo Bolschewienerinnen
Auch in Wien gibt es mittlerweile eine Gruppe aus diesem Kontext. Sie nennen sich „Judeo Bolschewienerinnen“. Diese antizionistische Gruppe setzt sich in ihrem Selbstverständnis für soziale Gerechtigkeit, Antikolonialismus und die Rechte der Palästinenser ein. Und dennoch ist sie dafür bekannt, offen BDS, die in Österreich als antisemitische Organisation eingestuft wird, zu unterstützen und mit weiteren Gruppierungen zu kooperieren, denen antisemitische Tendenzen nachgesagt werden. Am 27. Juni 2024 postete sie auf Instagram ein Bild, das die roten Hände von Demonstranten zeigt. Eine klar antisemitisch konnotierte Aktion. Mit dieser Geste knüpfen sie direkt an den grausamen Lynchmord in Ramallah aus dem Jahr 2000 an. Der palästinensische Mörder, der zwei israelische Reservisten getötet hatte, streckte damals triumphierend seine blutigen Hände aus dem Fenster. Auch den Vorwurf „Israel Kindermörder“ finden sie laut ihrer Website nur folgerichtig.
Debatten über Israel und Antisemitismus
Judith Butler, eine prominente jüdische Intellektuelle und Kritikerin des Zionismus, die besonders in der queer-feministischen Linken hoch angesehen wird, schlägt in dieselbe Kerbe. Sie spricht öffentlich zwar immer wieder von der Differenz zwischen legitimer Kritik und Antisemitismus, identifiziert aber ebenfalls BDS als legitime, nicht antisemitische Organisation. Zudem spricht sie davon, den 7. Oktober als „bewaffneten Widerstand gegen einen kolonialen Staat“ zu verstehen.
Die antizionistischen Juden sind auf pro-Palästina-Protesten gern gesehene Gäste und vertreten oft die Position, dass ihre Kritik am Zionismus und an Israel nicht antisemitisch sein kann, da sie ja selbst jüdisch sind. Diese Widersprüchlichkeit macht all jene betroffen, die mit antisemitischen Übergriffen konfrontiert sind. Positionen, die die Grenze zwischen veritabler Kritik und antisemitischen Narrativen verwischen, verhindern schlussendlich auch einen ernsthaften Diskurs. Vor allem wenn Antizionismus als harmlose Position abgetan wird. Die Anti-Defamation League sieht das ganz klar: „Anti-Zionismus unterscheidet sich von der Kritik an der Politik oder Handlungen der israelischen Regierung oder an spezifischer Politik der zionistischen Bewegung vor der Staatsgründung darin, dass er die grundlegende Legitimität der jüdischen Selbstbestimmung und Staatlichkeit angreift.“
Instrumentalisierung von Jüdinnen und Juden
Zentrales Thema in dieser Debatte ist der Vorwurf des sogenannten Tokenismus. Er beschreibt die Praxis, Mitglieder einer marginalisierten Gruppe einzubeziehen, um lediglich den Anschein von Diversität und Inklusion zu wahren. Bei Pro-Palästina-Protesten werden antizionistische Juden instrumentalisiert, um Kritik an Israel und am Zionismus gegen den Vorwurf des Antisemitismus abzuwehren.
Mag es unterschiedliche Meinungen zur politischen Ausrichtung des Staates Israel geben, die Delegitimierung des Existenzrechts Israels ist nicht bloß „antizionistische“ Meinungsäußerung, sondern ganz klar antisemitisch. Der Begriff „israelbezogener Antisemitismus“ ist in diesem Kontext von besonderer Bedeutung. Vorherrschend sind alte Vorstellungen, dass Antisemitismus im Erscheinungsbild von NS-Rhetorik oder Neonazi-Manier auftritt. Dabei perpetuieren verklausulierte Codes sowohl in der Linken als auch im arabischen Raum, wo Antisemitismus weit verbreitet ist
Israelbezogener Antisemitismus funktioniert in vielen Fällen auf subtilere Weise als „alteingesessener“ Judenhass. Hier wird Kritik an der israelischen Politik oft als Vorwand genutzt, um antisemitische Stereotype zu verbreiten und Israel zu dämonisieren. Ein Beispiel: Kritik an israelischen Militäraktionen kann in den Vorwurf umschlagen, alle Juden weltweit würden diese unterstützen und seien somit kollektiv verantwortlich. Solche Verallgemeinerungen sind nicht nur falsch, sondern fördern auch eine feindselige Stimmung gegenüber jüdischen Gemeinschaften. Indem Israel als „der Jude unter den Staaten“ dämonisiert wird, verlagert sich der Hass von der Politik auf die Menschen, die mit dieser Nation assoziiert werden.
3-D-Test
Wer sich unsicher ist, ab wann eine Aussage als Israelbezogener Antisemitismus gelesen werden kann, sollte den 3-D-Test durchführen. Die drei D stehen für Dämonisierung, Doppelstandards und Delegitimierung. Trifft bereits eines der D auf eine Aussage zu, sollten die Alarmglocken läuten. Nathan Scharanski, israelischer Politiker und Erfinder dieses Tests wollte bereits vor 20 Jahren einen Weg finden, Antisemitismus zu demaskieren. Es ist heute ein Werkzeug das aktueller denn je dabei hilft, Antisemiten aus der Deckung zu holen.