Koscher in Krakau und Czernowitz

2006 wird erstmals eine koschere Studienreise nach Osteuropa veranstaltet. Sie führt die Teilnehmer in einem großen Bogen durch ganz Osteuropa – nach Bielitz, Krakau, Krasiczyn, Lemberg, Czernowitz, Munkacs, Budapest und zurück nach Wien. NU hat sich das Programm angeschaut.
Von Katja Sindemann

Reisen nach Osteuropa, auf den Spuren der jiddischen Stetls, gibt es bereits jede Menge. Krakau, Lemberg, Czernowitz sind gern und oft angefahrene Zielorte von Studienreisen. Was jedoch 2006 angeboten wird, ist Novum und Rarität zugleich: eine koschere Reise nach Galizien und in die Bukowina. Übernachtet und gegessen wird nur in Hotels bzw. Restaurants, die entweder durch das örtliche Rabbi-nat oder die jüdische Gemeinde überwacht und als koscher bestätigt sind. An einigen Stationen kann auch die örtliche Mikwa in Anspruch genommen werden. Die Reise wurde von dem erfahrenen Ost-Euro–pa- Experten, Historiker und Reiseleiter Götz Wagemann konzipiert. Aufgrund zahlreicher Studienreisen nach Galizien, Polen, in die Bukowina, Ukraine und ins Baltikum kann er mit persönlichen Ortskenntnissen aufwarten. Auf seinen bisherigen Gruppenreisen in diese Region konnte er immer wieder den Bedarf an bzw. die Nachfrage für koschere Essens- und Aufenthaltsmöglichkeiten feststellen. So kam er auf die Idee, eine solche Reise selbst zu organisieren und anzubieten. Der Reiseverlauf schlägt einen großen Bogen durch ganz Osteuropa: Wien–Bielitz–Krakau–Krasiczyn–Lemberg–Czernowitz–Munkacs–Budapest–Wien. Die Reise wandelt auf den Spuren jüdischer Vergangenheit. Natürlich wird das Jüdische Viertel in Krakau besichtigt, trifft man Vertreter der jüdischen Gemeinde in Lemberg, dem heutigen L’viv in der Westukraine, ehemalige Hauptstadt Galiziens und Schmelztiegel österreichischer, ukrainischer, polnischer und jüdischer Kultur. Das gilt natürlich genauso für Czernowitz, Hauptstadt der Bukowina, auch das „Babylon Mitteleuropas“ oder „Kleinwien des Ostens“ genannt. Paul Celan, Rose Ausländer, Gregor von Rezzori sind nur einige der literarischen Namen, die untrennbar mit der Stadt verbunden sind. Heutige Czernowitzer konstatieren nüchtern, dass die Stadt mit, von und gegen ihren Mythos lebt. Bildete sie bis 1940 noch eine deutsch-österreichisch-jüdisch-rumänische Melange, so dominiert heute die ukrainische Bevölkerung. Der russische Anteil mit rund 11% ist vergleichsweise gering. Die deutsche Bevölkerung wurde 1940 „heim ins Reich“ geholt, der Großteil der Bukowiner Juden wurde ab 1941 von der SS und rumänischen Truppen ermordet. Die heutige jüdische Gemeinde ist fast ausgestorben. Lebten 1989 noch um die 15.600 Juden in der Stadt, so waren es im Jahr 2001 nur mehr 1.300. Die überwiegende Mehrheit hat auf der Suche nach besseren Arbeits- und Lebensbedingungen ihre Heimat verlassen. Eine Reise auf den Spuren jüdischer Vergangenheit, das heißt aber auch: Viele Reiseteilnehmer sind Nachfahren vertriebener bzw. emigrierter osteuropäischer Juden, die erstmals die Heimat ihrer Väter, Großväter und Urgroßväter besuchen. Sie kennen von Kindheit an die Erzählungen, Beschreibungen und Schilderungen ihrer Mütter, Großmütter und Urgroßmütter. Sie wissen – vielleicht sogar noch von alten Fotos – welches Haus in der Stadt vormals Wohnsitz ihrer Familie war, wo ihre Angehörigen am örtlichen Friedhof begraben sind, wo die Schule, der Arbeitsplatz, die Synagoge ihrer Vorfahren lagen. Einigen gelingt es sogar, Zutritt zu ihren früheren Wohnungen und Häusern zu erhalten. Dabei können sich durchaus geschichtsträchtige Szenen abspielen. So berichtet Götz Wagemann gerne von jener älteren Dame, die nach über 50-jähriger Abwesenheit ihr altes Haus in Czernowitz wieder betrat, das sie im Zuge der Shoa verlassen hatte. Zielstrebig ging die Frau in ein bestimmtes Zimmer, an eine bestimmte Stelle in der Wand und öffnete ein dort verborgenes Geheimfach. Und siehe da: es waren all ihre Ringe, Schmuckstücke und Münzen, die sie vor ihrer Flucht dort versteckt hatte, noch vorhanden. Und das, obwohl seit ihrer Abreise zahlreiche andere Eigentümer in der Wohnung gelebt hatten. Nun, das ist sicher eine Einzelgeschichte. Aber es gibt noch andere: etwa die jenes reichen Amerikaners (welcher Amerikaner ist angesichts ukrainischer Verhältnisse nicht reich?), dessen Vorfahren aus Czernowitz stammten, und der vor wenigen Jahren hier ein Hotel gekauft hat und betreibt, als Reminiszenz an die verloren gegangene Familientradition. Diese Erinnerung an die alte Heimat wird immer noch lebendig erhalten, etwa in dem „Weltverband Bukowiner Juden“ mit Sitz in Tel Aviv und Filialen in Jerusalem und Haifa, der auch die deutschsprachige Zeitschrift „Die Stimme“ herausgibt. Gerade für die Nachfahren osteuropäischer Stetlbewohner, die sich mit der Reise in die zugleich vertraute wie unbekannte Heimat nicht nur ihrer geographischen, sondern auch ihrer religiösen Wurzeln bewusst werden, ist das Angebot einer koscheren Reise sehr attraktiv. An allen Reisetagen wird koscheres Essen angeboten. In Budapest, Krakau und Munkacs wird in koscheren Hotels übernachtet. In der Ausgangs- und Endstation Wien gilt dies auch für von auswärts angereiste Reiseteilnehmer. In Krakau und Budapest steht den Teilnehmern eine Mikwa zur Verfügung. In Krakau kann fakultativ ein Kletzmerabend besucht werden. In Lemberg und Czernowitz steht jeweils ein Tag zur freien Gestaltung bzw. laut Interesse der Gruppe zur Verfügung. Von Lemberg aus erfolgt ein Abstecher nach Brody, dem Geburtsort von Joseph Roth. Der Schriftsteller hat den tragischen Niedergang der k.u.k. Habsburgermonarchie in seinen Romanen wie dem „Radetzky-Marsch“ verewigt. Nach Wunsch und Möglichkeit können sich die Reiseteilnehmer an Gebeten und Gottesdiensten der lokalen jüdischen Gemeinde beteiligen. Katja Sindemann studierte Geschichte und Vergleichende Religionswissenschaft, war freie Mitarbeiterin im ORF und ist seit 2000 freie Journalistin und Filmemacherin. Zuletzt erschien: „Wiener Orte der Stille“ in der edition wien-facetten. In diesem Buch sucht Katja Sindemann jene versteckten Orte in der Bundeshauptstadt auf, die abseits der touristischen Trampelpfade liegen – was sie besonders sehenswert macht.

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