Eine kleine Shoppingtour durch den zweiten Wiener Gemeindebezirk.
VON PETRA STUIBER (TEXT) UND IDA SALAMON (FOTOS)
Tägliches Einkaufen zählt nicht zu meinen Kernkompetenzen. Weder mag ich es, noch kann ich es besonders gut.
Entweder ich schreibe keine Einkaufsliste, weil ich eh im Schlaf weiß, was die Geburtstagstorte (Becherkuchen!) braucht. Dann stehe ich am Ende zwar stolz mit dem Star-Wars-Dekor aus Zuckerguss, dafür aber ohne Eier und Haselnüsse da. Ein Jammer.
Also Liste schreiben: im Supermarkt systematisch vorgehen, kein Abschweifen, keine Umwege, keine Extra- Ausgaben, streng nach Vorlage. Vorbildlich. Zu Hause komme ich dann leider oft genug drauf, dass ich wieder keine Milch für den Morgen- Kakao meines Älteren gekauft habe. Weil ich sie nämlich nicht aufgeschrieben habe. Offenbar leide ich an einem genetischen Defekt: Sobald ich auf einen Zettel „Einkaufsliste“ notiere, einen Doppelpunkt dahinter setze und das Ganze unterstreiche, setzt mein Hirn aus. Mir fällt nicht mehr ein, was ich zehn Minuten davor noch als „Must have now!“ ausgemacht hatte.
Die besten Erfolge erziele ich noch, wenn ich gar nicht ans Einkaufen denke. Etwa beim Babyschwimmen im schönen Dianabad. Während ich den Kleinen akustisch mit „Blubblubb macht der grüne Frosch im Teich…“ foltere, brennt sich ganz nebenbei die perfekte Liste in meine grauen Zellen: Weintrauben, Striezel, Hühnerfleisch, Süßes für den Gatten, Wein und Seife. Alles da. Selbstredend muss das alles, kaum sind Mutter und Kind trocken, sofort gekauft werden, sonst – eh schon wissen. Womit wir endlich beim Thema „koscher Shoppen“ sind. Was liegt denn bitte näher am Dianabad als die legendäre Mazzes-Insel im zweiten Bezirk? Eben. Nun mag die LeserInnenschaft einwenden, dass das ja überhaupt nicht gelten kann und darf, wenn eine Schickse plötzlich auf Kaschrut beachten macht und auch noch darüber schreibt. Stimmt. Ich kann nicht beurteilen, ob Wien aus der Sicht sehr frommer Menschen ein Einkaufs-Dorado ist.
Und stimmt auch wieder nicht, denn auch die Mehrzahl der Wiener Jüdinnen und Juden nehmen die 613 Ge- und Verbote für den jüdischen Alltag so, wie es Doron Rabinovici in seinem Beitrag für den wunderbaren Katalog zur Ausstellung „Kosher for…“ im Jüdischen Museum Wien formuliert: „Meine Familie folgte in ihrem Umgang den Vorstellungen einer israelischen Moderne und eines dezidiert säkularen Judentums. Wir wussten durchaus um die religiösen Verbote, doch wir ignorierten sie nicht einmal.“ Später beschreibt der Schriftsteller dann, wie seine Mutter, ungeachtet dieses familiären Prinzips, vor den großen jüdischen Feiertagen zu kochen und zu backen begann – und die gesamte Familie in eine Art „Instant koscher“-Haltung verfiel.Das ist eine schöne Parallele zu meiner, der unchristlichsten aller Familien, die kein Weihnachten ohne Karpfen und kein Ostern ohne Schinken passieren lässt. Also weg mit den Bedenken und endlich koscher eingekauft, sonst … eh schon wissen.
Nettes Personal: im Preis inbegriffen
Etwas naiv hatte ich mir vorgenommen, eine Art „Mystery Shopping“ zu betreiben – nur so kann man schließlich dem Verhältnis von Preis, Leistung und vor allem Service möglichst wahrheitsgetreu auf den Grund gehen. Zum Glück verfügt NU über Ida Salamon als Chefin vom Dienst, die auf ihre ruhige, dezente, aber umso bestimmtere Art darauf hinwies, dass jede längere Geschichte tunlichst bebildert sein sollte, fromme Menschen sich aber weder gern noch überhaupt fotografieren lassen – man also ergo erst überall fragen müsse, ob Fotografieren erlaubt sei. (Ich frage Sie: Welche g’standene Journalistin denkt denn an sowas?!)
Also losgezogen im strömenden Regen, das Kind gut eingepackt im Kinderwagen. Zuallererst ging es zur Bäckerei-Konditorei Ohel-Moshe in der Lilienbrunngasse, um statt eines Striezels eines der hochgerühmten, ausgezeichneten Challa-Brote auszuprobieren. Es heißt ja in Wien, dass die ordentliche jüdische Hausfrau ihr Challa-Brot entweder selbst bäckt oder beim Ohel ordert – nicht ohne Grund, wie sich im Selbstversuch herausstellte. Luftig und saftig und weich, ist es tatsächlich die Reise wert. Da kauft man gleich ein paar Rogelach dazu, die später den Älteren am Spielplatz höchst erfreuen. Die Bedienung ist höflich, wenn auch nicht über-freundlich (warum auch, man hat mich hier zuvor noch nie gesehen). Und schon ist man fast 20 Euro los, aber die haben sich ausgezahlt. Danach ging’s ins Koscherland, es war sehr eng und voll – und hat uns trotzdem sehr gefreut. Gute drei Meter hoch, vom Boden bis zur Decke, nichts als Kekse, Kuchen, Muffins, Doughnuts und so weiter – fast wie in den publix-Supermärkten während unseres Florida-Urlaubs. Schnell den Einkaufswagen angefüllt, damit sich der Mann daheim freut, und weiter durch die schmalen Gänge balanciert, zu den Kühlregalen. Hier wird’s noch amerikanischer. Was es nicht alles gibt: gefrorene Mazzes in verschiedenen Geschmacksrichtungen, Würstchen, Burger, Steaks, jede Menge Chicken irgendwas, vorfrittiert, paniert, wie es Herz und Magen begehren. Merke also: Koscher bedeutet nicht unbedingt gesund, was man zwar eh wusste seit einem denkwürdigen Restaurantbesuch in Budapest, nach dem man tagelang den vollen Magen herumschleppte. Hat man aber wohl verdrängt. Der gefilte Fisch ist, rein optisch, auch nicht zu empfehlen. Er sieht, in dicker Wurstform, verpackt in festes Plastik, nicht gerade einladend aus.
Die Frage nach dem Schokolade-Regal wird wortkarg, aber eindeutig mit „Na dada“ beantwortet – das Personal im Koscherland pflegt einen rustikalen Ton. Man ist aber insgesamt durchaus nett zu uns – das ist wohl im (großzügig kalkulierten) Preis inbegriffen. Dafür machen wir die Erfahrung, dass Frömmigkeit und Höflichkeit nicht immer Hand in Hand gehen. Der Supermarkt ist voller Männer, man sieht uns gleichgültig dabei zu, wie wir uns mit Kinderwagen und Einkaufstaschen aus der Tür wuzzeln – kein einziger geht uns hilfreich zur Hand. Dafür ist der Fleischhauer am Karmelitermarkt umso zuvorkommender. Eigentlich wollte er gerade Mittagspause machen, aber als er uns, etwas ratlos und tropfnass vom Regen, vor der verschlossenen Tür stehen sieht, macht er kehrt und sperrt die Fleischerei Bahur Tov wieder auf. Drinnen gibt es Rind und Lamm und Huhn, zur sehr schönen Hühnerbrust um fünf Euro gibts, als ich niese, gratis ein Sackerl Hühnerhälse dazu. „Für die Penicillin- Suppe“, sagen er und Ida im Chor. Tatsächlich erweisen sich die Hälse, langsam in viel Wasser gekocht, mit zwei Bund Suppengrün, als köstliche und sehr wirkungsvolle Medizin gegen den aufkeimenden Schnupfen, den der Kleine und ich von unserem verregneten Koscher-Shopping mit nach Hause bringen.
In der Greißlerei Hadar, praktischerweise gleich nebenan, ist das Sortiment klein, aber ziemlich fein – zum Teil liebevoller ausgesucht als im größeren Koscherland. Die kernlosen Trauben sind zwar überreif, aber Äpfel, Birnen und allerlei Gemüse sind sehr in Ordnung. Für die kleine Geldbörse gibt es ein großes Regal mit abgelaufener Ware zum reduzierten Preis. Und – eine ausgesucht feine, koschere Vinothek. Die Preise sind auch fein, aber man bekommt etwas für sein Geld – zum Beispiel einen wunderbaren Sauvignon Blanc oder einen köstlichen Welschriesling von der reizenden Frau Hafner aus dem Burgenland, die zufällig gerade mitten im Geschäft steht und ebenso spontan wie engagiert die individuelle Weinberatung macht. Sie erklärt, wie sich biologischer Weinbau und Koscher- Gebote geradezu ideal ergänzen, und man verlässt die Greißlerei nicht ohne das feste Versprechen, sie ganz sicher und ganz bald in Mönchhof zu besuchen.
Jetzt geht es heim zum Kochen
So. Fertig. Alles eingekauft, eigentlich nix vergessen. Obwohl – eine besondere Glühbirne wären noch zu besorgen. Vielleicht kann ja der Koscher- Minimarkt in der Hollandstraße helfen. Kann er zwar nicht, aber der Besuch lohnt sich allemal. Hier gibt es (fast) alles: Von Kosmetikartikeln über Süßigkeiten bis hin zu koscherem Geschirr und Besteck in unterschiedlichem Design. Wir dürfen uns ausgiebig umsehen und Fotos machen. Der Eigentümer ist freundlich und gelassen.
Die Koscher-Shoppingtour kann mit dem guten Gefühl einer vollständig abgearbeiteten Liste und einem schlafenden Kleinkind beschlossen werden. Herrlich. Jetzt geht es heim zum Kochen.
Es ist schon so: Das Essen ist ein wesentlicher Bestandteil jeder Kultur – im Judentum kommt wohl noch dazu, dass der gedeckte Schabbat-Tisch die ohnehin starken familiären Bande noch weiter stärkt und jede Familie ihren eigenen, speziellen Umgang mit den religiösen Ge- und Verboten und der jüdischen Tradition hat. Frei nach dem Witz, was Gott am Berg Sinai auf die steten, pedantischen Nachfragen Moses’ bezüglich Essensvorschriften sagt: „Ach, macht doch, was ihr wollt!“
Wer mehr darüber wissen will, dem sei die „Kosher for…“-Ausstellung im Jüdischen Museum empfohlen. Sie läuft noch bis 8. März 2015 und bietet anhand von acht Fragen Einblick in die historischen, kulturellen, religiösen und sozialen Dimensionen des vielschichtigen Begriffs „koscher“.